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Mythos des wilden Künstlers

Bis zum Schluss drehte Paul Gauguin an dem Mythos des wilden Künstlers. Denn er vergaß nie, dass er einen Markt zu füttern hatte. Sein Werk entstand großteils in der Südsee.

Von Hans Pietsch |
    Kein angenehmer Mensch, dieser Paul Gauguin: arrogant, hält sich für den größten lebenden Künstler, überwirft sich mit Freunden, verlässt Frau und Kinder für ein nicht existentes Paradies auf Erden in der Südsee, nimmt sich dort mehrere ganz junge Geliebte, die ihm Kinder gebären.

    Seine Biografie bestimmt seine Kunst, stellt sich ihr aber gleichzeitig in den Weg. Der Ausstellung gelingt aber wider Erwarten eine Ehrenrettung Gauguins – trotz, oder vielleicht gerade wegen - seiner menschlichen Unzulänglichkeiten verlangt seine Kunst unsere Aufmerksamkeit.

    Kuratorin Belinda Thomson entschied sich für eine thematische Gliederung der mehr als 150 Arbeiten. So lassen sich die verschiedenen Motivketten und Erzählstränge in Gauguins Werk besser herausarbeiten - "erzählerische Strategien” nennt es die Kuratorin. Gauguin als Schöpfer von Mythen – so der Untertitel der Schau – als Geschichtenerzähler.

    Sie beginnt mit einem Raum voller Selbstporträts. Er malt sich als guter Bürger, als Maler, als Held, als stolzer Seefahrer, als Christus. Ein Chamäleon. Und dann, in seinem Todesjahr, mit weißem Büßerhemd, bleich, seines Glanzes beraubt. Ist das er?

    In diesem ersten Raum hängt auch eines seiner bekanntesten Bilder, das im Hintergrund eines Selbstporträts zu sehen ist: "Manao Tupapau” von 1892 – die Rückenansicht eines liegenden jungen Mädchens aus Tahiti, neben ihr eine Figur in Schwarz mit Kapuze, mit stechenden Augen, mysteriös, düster, bedrohlich: ein Geist der Toten hält Wache, so der Untertitel des Werks. Das ist eines der Gemälde, auf denen er Ängste und Sehnsüchte des Menschen darstellt, anders als auf seinen Selbstporträts, wo er, wie in seinem Leben, in immer neue Rollen schlüpft.

    Die Schau macht klar, dass Gauguin die Saat seines unverwechselbaren Stils säte, bevor er die Exotik der Südsee für sich entdeckte. "Die Vision nach der Predigt” etwa entstand im Sommer 1888 im bretonischen Pont-Aven. Hier schon verwirft er bildnerische Illusion: keine Tiefe, keine Schatten. Ein Baum teilt das Bild diagonal in zwei Hälften, die betenden Frauen mit ihren weißen Hauben im Diesseits blicken auf den mit einem Engel ringenden Jakob in der anderen Bildhälfte, im Jenseits, eine blutrote Farbfläche im Zentrum verbindet beide Sphären.

    Noch einen Schritt weiter geht er mit "Der Verlust der Jungfräulichkeit”, 1890 ebenfalls in der Bretagne entstanden. Das nackte junge Mädchen, einen Fuchs im Arm, Symbol der Virilität, liegt auf einem horizontal verlaufenden goldenen Gelb, ein dunkles Grün trennt es von einem Rot, über das ein Hochzeitszug läuft, und das dann in das Blau des Meeres und des Himmels übergeht. Auch hier wieder lädt er Landschaft symbolisch auf.

    Noch stärker leuchten und glühen dann seine Farben nach 1891, seinem ersten Tahiti-Aufenthalt. Ein von innen strahlendes Blau, ein fast überirdisches Grün und vor allem ein gebranntes Orange, das sich auf den Gewändern und sogar auf der Haut seiner Frauen wiederfindet. Diese Farben sind nicht um ihrer selbst willen da, sie geben verdrängten Gefühlen wie Verlangen, Eifersucht, Entfremdung und Todesfurcht bildliche Form.

    Bis zum Schluss drehte Paul Gauguin an dem Mythos des wilden Künstlers weiter, denn er vergaß nie, dass er einen Markt zu füttern hatte. Die letzten zwei Jahre seines Lebens verbrachte er auf der noch weiter abgelegenen Marquesas-Insel Hiva-Oa, wo er sich sein letztes Haus, das "Haus der Freude”, baute und seine letzte, 14 Jahre junge Geliebte nahm. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich ständig, am 8. Mai 1903 starb er an den Folgen von Syphilis.

    Im letzten Raum hängen einige seiner letzten in der Südsee gemalten Bilder. Auf einem, "Die Furt”, stellt er den polynesischen Joseph als Tupapau dar, als die mysteriöse Kapuzenfigur, die hier ganz klar an Albrecht Dürers berittenen Tod erinnert – der Künstler bis zum Schluss als Schöpfer von Mythen.