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Mythos "Mosaik"

Gestartet 1955 in Ostberlin und immer noch erscheinend gehört "Mosaik" zu den größten Erfolgen der jüngeren deutschen Comic-Geschichte - was vor allem an dem Begründer Hannes Hegen lag. Der machte die "Bildergeschichten" - wie Comics im DDR-Jargon hießen - im Osten populär.

Von Nils Kahlefendt |
    Als der Verlagshistoriker Mark Lehmstedt 1991 zum Gründungskongress der Society for the History of Autorship, Reading and Publishing (SHARP) eingeladen wurde, wollte er eigentlich seine Forschungen zur deutschen Buchhandels- und Verlagsgeschichte des 18. Jahrhunderts vorstellen. Ein guter Freund riet ab: Gab es nicht auch in der DDR, obwohl im offiziellen Jargon "Bildergeschichte" genannt, Comics, ein ur-amerikanisches Genre? Und spielte nicht sogar eine der Geschichten des "Mosaik" über Jahre im Amerika der Sezessionskriege, Schaufelraddampfer-Wettfahrt auf dem Mississippi und Goldsuche im Wilden Westen inklusive? Damit ließe sich in New York doch eher punkten.

    "Und so war es dann auch. Ich habe dann einen Vortrag über die Geschichte des 'Mosaik' und Comics in der DDR gehalten, die Amerikaner waren begeistert – und ich hatte Blut geleckt. Und fing dann an, in die Archive zu gehen, die sich ja damals – 1991/92 – gerade geöffnet hatten. Und ich fing an, mit den damals noch fast komplett lebenden Beteiligten – den Zeichnern, den Grafikern, den Textern – zu sprechen, Interviews zu machen. Und daraus ergab sich dann ein großes, sehr differenziertes und an vielen Stellen auch überraschendes Material. Und aus dem ist dann, mit vielen Jahren Verspätung, dieses Buch geworden."
    Das "Mosaik", gestartet 1955 und heute im 56. Jahrgang erscheinend, gehört zu den größten Erfolgen der jüngeren Comic-Geschichte; sein beängstigend geschäftstüchtiger Begründer Hannes Hegen, mit bürgerlichem Namen Johannes Hegenbarth, war, salopp formuliert, eine Art Rolf Kauka des Ostens. Besonders die unter seiner Ägide über zwei Jahrzehnte geführten Hefte, die von den Abenteuern dreier knollennasiger Kobolde namens Dig, Dag und Digedag, kurz: den Digedags, erzählten, wurden in der DDR Legende. Lag die Auflage der anfangs vierteljährlich, alsbald monatlich erscheinenden und komplett vierfarbig gedruckten Zeitschrift zunächst bei 100.000 Exemplaren, erreichte sie 1975, mit dem Ausscheiden Hegens, stolze 600.000. Als die Digedags im Juni 1975 in einer Fata Morgana über der ägyptischen Wüste verschwanden, schlug die Geburtsstunde eines Mythos:

    "Also, ich glaube, es ist ein ganzes Bündel von Faktoren, die da zusammenspielen. Es beginnt damit, dass es natürlich unter den Bedingungen der DDR etwas ganz Einzigartiges gewesen ist; das heißt: Wer in der DDR aufgewachsen ist, und das sind ja mehrere Generationen von Kindern und Jugendlichen, die haben das alle gelesen. Und sie hatten wenig anderes Vergleichbares. Es ist also in gewisser Weise auch ein Resultat der Mangelwirtschaft der DDR. Dann kommt sicher noch dazu als einer der Hauptgründe, warum daraus so eine 'mythologische' Größe geworden ist, dass man aus dem 'Mosaik' natürlich ungeheuer viel mitgenommen hat. Sei es an Witz und Komik, sei es aber auch sogar an konkretem historischem Wissen. Das 'Mosaik' hat fast immer in konkreten historischen Situationen gespielt, sei es eben die Zeit um 1300 im Orient, wo die Ritter Runkel-Serie spielt, oder die Zeit des amerikanischen Bürgerkrieges in der Amerika-Serie. Und es gibt heute noch viele, viele in der DDR Aufgewachsene, die sagen: Ja, mein historisches Wissen verdanke ich dem "Mosaik". Das ist vielleicht ein bisschen zugespitzt – aber ganz verkehrt ist es nicht. Und die "Mythologie" setzt natürlich dann ganz deutlich dadurch ein, dass 1975 – ohne dass die Öffentlichkeit irgendeine Erklärung bekommt – die Digedags verschwinden. Und Hannes Hegen verschwindet. Und man einfach nichts mehr erfährt. Und das ist natürlich immer wunderbar! Eine Ursuppe für Gerüchte, die dann köcheln können."
    Lehmstedt, 1961 in Ostberlin geboren, war selbst "Mosaik"-Fan. Aber er hat, erfreulicherweise, kein weiteres Fan-Buch geschrieben. Stattdessen erzählt er die Geschichte hinter den Geschichten der Digedags – und die liest sich spannend genug. Akribisch werden die permanenten Schwierigkeiten, denen Texter und Grafiker unter den Bedingungen der DDR-Kulturpolitik ausgesetzt waren, recherchiert. Die Genossen hatten viel zu bekritteln: Mal störten die frechen Sprüche, mal eine Pistole auf dem Cover, mal orientalische "Sexbusen". Nicht immer ist es mit kleinen Retuschen getan. Der ideologische Kampf um den Umgang mit einem - beileibe nicht nur im Osten - misstrauisch beäugten Genre wird mit Haken und Ösen geführt. Doch wer weiß, wie wenig zimperlich Funktionäre und Zensoren, etwa im Umfeld des 6. Parteitags der SED 1963, gegen vermeintlich Missliebige vorgingen, reibt sich bei den mitunter kabarettreifen Ränken die Augen: Es ging nicht primär um die Gestaltung der Hefte, nicht um die Frage, ob die Geschichten in Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft spielten, nicht um Sprechblasen oder grellbunte Farben. Der Punkt, das zeigt Lehmstedts Rekonstruktion der Entscheidungswege vom Verlag bis hinauf in die zuständigen Ministerien, war ein anderer: Das "Mosaik" blieb über 20 DDR-Jahre de facto ein Privatunternehmen Hegenbarths. Mit ihm musste man verhandeln, ob man wollte oder nicht. Und das im Wissen, stets am kürzeren Hebel zu sitzen.

    "Johannes Hegenbarth hat sich – clevererweise, muss man sagen, weil er ein sehr guter Geschäftsmann offensichtlich auch gewesen ist – von Anfang an die Urheberrechte an seinen drei Hauptfiguren Dig, Dag und Digedag und am Titel 'Mosaik' gesichert. Und an diesem juristisch abgesicherten Punkt hat auch nie jemand gewagt zu rütteln. Und deswegen konnte man ihm, auch vonseiten der Zensur oder der politischen Funktionsträger oder der Pädagogen, immer nur so weit eingreifen, wie er mitgemacht hat. Natürlich ging das nie ganz ohne Kompromisse ab. Aber in letzter Instanz hat er gesagt, was passiert."

    Für die Herstellung des Hefts hatte Hegenbarth bereits 1955 eine Gruppe von Künstlern, Bühnenbildnern und Autoren rekrutiert – das Impressum führt erst ab 1961 den Vermerk "gestaltet im Mosaik-Kollektiv". Als man 1965 in den Räumen des Ostberliner Verlags Junge Welt das zehnjährige Bestehen des "Mosaik" feiert, ist auch der junge Einar Schleef dabei, der von der Kunsthochschule relegiert worden war und sich für vier Monate zur "Bewährung in der Produktion" beim "Mosaik" befand. In seinem Tagebuch notiert er:

    Blumen im stalinalleeschen Sitzungsraum, Wein, elegante Anzüge, am Vorstandstisch ein Blauhemd, Reden, Geschenke, Ehrennadeln, Grußadressen, Händeschütteln, dazwischen Hegenbarths derbes, bäuerisches, brutales sich selbst feierndes Lachen. Nur ein Ich. Er ist der Stärkere, sogar geschmeidig kann er lächeln, er hat Macht, und langsam schafft er seine Tausender. Ein kleiner ungekrönter König in Ostberlin.

    Längst war das "Mosaik" zur wichtigsten Einnahmequelle des Verlags geworden. Da der jedoch offiziell der Freien Deutschen Jugend, der DDR-Jugendorganisation, gehörte und seinen Gewinn zu 90 Prozent an diese abführen musste, wird verständlich, dass das lange Zeit ungeliebte, mittlerweile still gelittene "Mosaik" eine erstrangige ökonomische Größe darstellte, an deren Fortbestand nicht gerüttelt werden durfte.

    "Die FDJ hat einen nicht unerheblichen Teil ihrer politischen Tätigkeit mit den Gewinnen, die das 'Mosaik' erzielt hat, finanzieren können. Und das bedeutete dann, als es hart auf hart ging immer wieder in den politischen Auseinandersetzungen, dass man es sich nicht leisten konnte, das 'Mosaik' einzustellen. Denn man brauchte den Gewinn, den das 'Mosaik' erzielte. Und das war ein, vielleicht sogar der wichtigste Schutz, den diese Orchideenblüte im Pressehimmel der DDR gehabt hat: Sie erwirtschaftete Gewinn und konnte auch deswegen nicht einfach angegriffen und abgeschafft werden. Deswegen konnte Johannes Hegenbarth weitestgehend tun, was er wollte."
    Zu den gern kolportierten "Mosaik"-Legenden, mit denen Lehmstedts Buch aufräumt, gehört auch jene um die vermeintlich politischen Gründen geschuldete Einstellung der Digedag-Serie und das mysteriöse Abtauchen ihres Schöpfers. Es war Hegenbarth, der am Ende zu hoch pokerte: Als er dem Verlag Mitte der Siebziger eine nur noch zweimonatliche Erscheinungsweise des Hefts abringen wollte, schließlich kündigte, machte das "Kollektiv" ohne ihn weiter. Die Abrafaxe entstanden, die Hegenbarth – so erbittert wie erfolglos – als Plagiat seiner Digedags bekämpfte. Seither schweigt der Mann, der im letzten November mit dem Bundesverdienstkreuz dekoriert wurde, ziemlich eisern. Auch Lehmstedts Bitte um Mitarbeit, um Einsicht in Hegenbarths Korrespondenz mit Verlagen, Mitarbeitern und Lesern, wurde abschlägig beschieden. Letzte Fragen bleiben - dennoch ist dem Autor eine trotz aller Materialfülle glänzend geschriebene Studie gelungen, die auch jenen wärmstens ans Herz gelegt sei, die mit Micky Maus & Co. sozialisiert wurden. Und die Digedags? Ihr Platz in den Comic-Annalen ist gesichert. Alle zu DDR-Zeiten unternommenen Versuche, sie in den Westen zu exportieren, floppten indes kläglich; die Reprints, die ein westdeutscher Verlag nach 1990 produzierte, verkauften sich zu 95 Prozent im Osten. Dig, Dag und Digedag blieben, so anarchisch sie in Zeit und Raum ausschwärmten, gute Staatsbürger einer Märchen-DDR:

    "Es ist ein Ostprodukt in jeder Hinsicht – auch ästhetisch und von der Erzählhaltung. Das ist ganz stark von Karl May, von Gerstäcker oder den großen Romanciers des 19. Jahrhunderts geprägt. Und zeichnerisch bleibt es in der Tradition der 20er-Jahre. Es passte dann natürlich auch in den stark in dem im 19. Jahrhundert wurzelnden ästhetischen Verständnis des Realismus zum Beispiel, der Menschendarstellung, des Menschenbildes. Das war Teil dieses Systems, des ästhetischen Systems. Und war aber – ich will nicht sagen anti-modern. Aber es war 'unmodern'. Es gibt sogar antimoderne Tendenzen, in bestimmten Heften kann man demonstrieren, wie sich Hegenbarth und seine Zeichner lustig über die moderne abstrakte Malerei machen - und damit sozusagen in die Formalismus- und Dekadenz-Debatte der DDR mit ihren verheerenden Auswirkungen satirisch eingreifen. Aber natürlich nicht im Interesse der Modernen, sondern als 'Gegner' der Modernen. Also, das sind alles Dinge, wo auch Hegenbarth und sein Texter Lothar Dräger selber als Personen natürlich nicht modern waren, nicht modern gedacht haben, sondern konservativ waren. Und das passt aber in das Gesamtsystem der DDR, die sehr auf Stabilität und Traditionen fußte. Und sich aus dem 18., 19. Jahrhundert her definierte, nicht aus der Moderne des 20. Jahrhunderts."

    Mark Lehmstedt: "Die geheime Geschichte der Digedags". Die Publikations- und Zensurgeschichte des "Mosaik" von Hannes Hegen. Lehmstedt Verlag, 430 Seiten, 24.90 Euro

    Ab November 2011 zeigt das Zeitgeschichtliche Forum in Leipzig, dem Hegenbarth 2009 sein künstlerisches Werk vermacht hat, eine große Ausstellung zur Geschichte des "Mosaik".