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Nach dem Referendum in Katalonien
"Die Unabhängigkeitserklärung wird kommen"

Die Vertreterin der katalanischen Regionalregierung in Deutschland, Marie Kapretz, hat die EU zur Vermittlung im Konflikt mit der Zentralregierung aufgefordert. Das Abstimmungsergebnis des Referendums für die Unabhängigkeit Kataloniens habe Gültigkeit, sagte Kapretz im Dlf. 90 Prozent der Wähler hatten gestern nach offiziellen Angaben mit Ja gestimmt.

Marie Kapretz im Gespräch Sandra Schulz |
    Demonstration für die Unabhängigkeit Kataloniens in Barcelona
    Demonstration für die Unabhängigkeit Kataloniens in Barcelona (AFP/ Lluis Gene)
    Die Wahlbeteiligung am Unabhängigkeitsreferendum lag den Angaben zufolge bei etwa 42 Prozent. Allerdings waren die spanischen Sicherheitskräfte mehrfach gewaltsam gegen Bürger vorgegangen, die ihre Stimme abgeben wollten. Es kam zu Zusammenstößen mit Hunderten Verletzten, darunter auch mehr als 30 Polizisten. "So kann man natürlich kein normales Referendum abhalten", sagte Marie Kapretz, Vertreterin der katalanischen Regionalregierung in Deutschland. "Das Referendum ist aber der Weg gewesen, damit der Wähler seinen Willen ausdrücken kann, und deshalb ist es für die katalanische Regierung gültig." Man könne sich nicht ständig demütigen lassen. Katalonien werde die Unabhängigkeit ausrufen, sobald 100 Prozent der Stimmen ausgezählt seien.
    Kapretz betonte, die Katalenen seien zu 90 Prozent für die Mitgliedschaft in der EU. "Katalonien ist Netto-Beitragszahler und dazu steht jeder." Die EU solle jetzt in Bewegung kommen und im Konflikt zwischen der Zentralregierung in Madrid und der katalanischen Regionalregierung vermitteln. Darauf drängten die Katalanen schon seit Jahren. "Wir verstehen nicht, warum ein friedlicher und demokratischer Prozess so kritisch gesehen wird", sagte Kapretz. Der Gesprächstisch sei immer gedeckt.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Gewalt überschattet den Referendumstag gestern in Katalonien. Hart geht die Polizei gegen die Abstimmenden vor, teils mit Gummigeschossen und Schlagstöcken. Die katalanische Regierung meldet Hunderte Verletzte. Aber auch mehr als zwei Dutzend Polizisten wurden bei den Zusammenstößen verletzt. Kommt nach dem Mehrheitsvotum für eine Unabhängigkeit jetzt auch ganz schnell die Unabhängigkeitserklärung?
    Mitgehört hat Marie Kapretz, sie leitet die Vertretung der katalanischen Regierung in Berlin. Schönen guten Morgen.
    Marie Kapretz: Guten Morgen. Ich grüße Sie.
    Schulz: Hunderte Menschen wurden verletzt. Es waren heftige Konfrontationen. Was ist jetzt gewonnen durch dieses Referendum?
    Kapretz: Dazu muss man sagen, dass die Konfrontationen nicht von katalanischer Seite kamen. Die Leute wollten ja friedlich abstimmen. Wir sind natürlich entsetzt darüber, dass die körperliche Unversehrtheit in Katalonien nicht garantiert ist, nur weil man abstimmen möchte.
    "Wir haben seit 2005 den Dialog gesucht"
    Schulz: Die Diskussion darüber ist ja eröffnet. Die Regierung in Madrid argumentiert mit der Verfassung, mit der Entscheidung eines Verfassungsgerichts. Warum zählt die in Katalonien nichts?
    Kapretz: Wissen Sie, wir suchen seit 2005 eine Neuorganisierung der eigenen Institutionen, weil man sieht, dass man innerhalb der gegebenen Gesetze und des gegebenen Autonomiestatuts nicht für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts gewappnet ist. Da haben wir bis jetzt immer auf Granit gebissen, und das ist durchaus auch politisches Taktieren von Seiten Madrids, die diesen Dialog, den Herr Rajoy gerade so schön angesprochen hat, nie zugelassen hat. Wenn man seit 2005 versucht, den Dialog zu suchen, und immer nur auf Granit beißt, dann sagt man irgendwann, vielleicht ist ja ein anderer Weg angegeben.
    Schulz: Aber, Frau Kapretz, da bin ich eigentlich bei meiner Ausgangsfrage. Was ist denn jetzt durch dieses Referendum gewonnen?
    Kapretz: Durch das Referendum ist gewonnen, dass man ein Ergebnis hat, und zwar ging es ja darum zu wissen, was will eigentlich der Großteil der Bevölkerung. Möchten sie, dass Nein gewinnt, nicht die Unabhängigkeit – dann wäre es sofort zu vorgezogenen Neuwahlen gekommen -, oder möchte die Bevölkerung mit Ja stimmen und einen unabhängigen Staat haben.
    "Man kann sich nicht ständig demütigen lassen"
    Schulz: Aber dieses Ergebnis halten Sie für tragfähig, obwohl wir die Situation haben, dass nur gut 40 Prozent der Menschen überhaupt zur Wahl gegangen sind, was man unter den Umständen natürlich auch verstehen kann, aber weil es ja auch diese Unregelmäßigkeiten gegeben hat, dass teilweise Stimmen doppelt abgegeben worden sein sollen? Das wurde ja auch alles mit Wahlzetteln zum Ausdrucken und so weiter gemacht. Sagen Sie das noch mal: Wie tragfähig ist das Ergebnis vor dem Hintergrund?
    Kapretz: Gut, es ist natürlich ein Problem, wenn man ständig die Wahlzettel beschlagnahmt bekommt und wenn man die Urnen beschlagnahmt bekommt und wenn man Gewaltanwendung vor den Wahllokalen hat. So kann man natürlich kein normales Referendum abhalten. Das Referendum ist aber der Weg gewesen, damit der Wähler seinen Willen ausdrücken kann, und deswegen ist es für die katalanische Regierung gültig. Man kann sich nicht ständig demütigen lassen und Gewalt ausgesetzt sehen, die ja überhaupt nicht gewünscht ist, sondern wir leben im 21. Jahrhundert. Jeder kann für seinen gewünschten Ausgang des Referendums Kampagne machen. Jeder kann die Argumente bringen. Das ist das, was die Katalanen gemacht haben. Das hätte die Gegenseite genauso machen müssen in unseren Augen.
    Schulz: Aber wir haben trotzdem ja den rechtlichen Rahmen. Die Polizeiaktionen, die werden sicherlich diskutiert werden. Die Diskussion hat ja auch schon angefangen um die Frage der Verhältnismäßigkeit. Das wird sicherlich alles stattfinden.
    Kapretz: Ja, wir hoffen das sehr stark.
    Schulz: Aber noch mal, weil wir beide ja jetzt miteinander sprechen und die Ursache ja doch mit auch der Rechtsbruch in Katalonien ist. Ist es am Tag danach Ihre Einschätzung, dass es das wert war?
    Kapretz: Auf jeden Fall. Und wir dringen ja schon seit Jahren auf internationale Vermittlung, die wir auch nicht bekommen, und ich denke, dass es jetzt wenigstens klar geworden ist, nachdem selbst CNN gesagt hat, the Shame of Europe, dass jetzt da jemand mal hinguckt. Die EU sollte doch langsam wirklich in Bewegung kommen, nachdem das Problem schon so lange schwelt, und mal einen Vermittlungsausschuss dort hinschicken. Das wünschen wir uns sehr, denn wir sehen in der EU den Garant für die Einhaltung der demokratischen Spielregeln.
    "Katalonien möchte in der EU sein"
    Schulz: Umgekehrt stellt sich die Frage: Sie würden mit einer Unabhängigkeit ja gerade der EU auch den Rücken zukehren. Ist das die Idee?
    Kapretz: Das ist nicht die Idee, weil die Katalanen sind ja zum größten Teil, 90 Prozent pro EU. Katalonien ist Nettobeitragszahler der EU. Das heißt, Katalonien zahlt mehr in die EU ein, als es bekommt, und dazu steht auch jeder, denn jeder sieht in der EU eine tolle Sache. Katalonien möchte in der EU sein. Nur möchten wir näher an der EU sein, als das mit derzeitigen Bedingungen möglich ist.
    Schulz: Sie wissen aber, dass der Weg dahin auch ein ganz schwieriger sein wird. Ein unabhängiges Katalonien wäre ja erst mal draußen und um reinzukommen, müssten alle EU-Staaten zustimmen. Damit würden Sie rechnen, dass Spanien da auch Ja sagt?
    Kapretz: Ich denke, das sollte auf EU-Ebene dann ausgehandelt werden. Das ist dann aber nicht eine Angelegenheit nur von Katalonien. Das ist für die ganze EU. Kann es sich die EU leisten, klare Gewalt gegen die eigene Bevölkerung zuzulassen? Das ist meine Frage. Wir verstehen nicht, warum ein friedlicher und demokratischer Prozess so kritisch gesehen wird. Wir sehen, dass das Problem was ganz anderes ist.
    Sie haben mich vorhin nach der Gesetzeslage gefragt. Daraufhin möchte ich auch gerne sagen: Man muss auch immer schauen, was legitim ist. Die Gesetze machen die Menschen und die Politiker machen die Gesetze. Das heißt, man kann die Gesetze auch ändern. Das haben wir ja bereits in Schottland gesehen.
    "Die Zentralregierung sitzt immer am längeren Hebel"
    Schulz: Aber die Gesetze sind ja im Moment nicht geändert, und das ist ja auch eines der Argumente aus Brüssel, dass man dort sagt, wenn wir jetzt denen, die sich so offen dem Recht entgegenstellen oder sich so darüber hinwegsetzen, wenn wir denen jetzt den Rücken stärken, dann werden unsere Diskussionen, die wir führen mit Ungarn und Polen, die werden dann noch mal schwieriger.
    Kapretz: Ich verstehe Sie da, aber wir haben ja wirklich alles versucht, um in dem Gesetzesrahmen zu handeln. Das hat zu nichts geführt. Unsere Experten sehen auch eine Möglichkeit für ein Unabhängigkeitsreferendum innerhalb des gegebenen Gesetzesrahmens. Das ist immer eine Sache der Interpretation auch. Vielleicht müssten wir gar nicht die Gesetze ändern. Vielleicht ist da nur die Frage der Interpretation der springende Punkt. Da gibt es immer eine Zentralregierung, die am längeren Hebel sitzt in Sachen der Interpretation der Gesetze.
    Schulz: Was macht die katalanische Regierung jetzt als nächstes?
    Kapretz: Wir werden sehen. Wir haben ja gestern Abend schon gehört, dass die großen Gewerkschaften eventuell zu einem Generalstreik aufrufen, um den Ganzen noch mal Nachdruck zu geben. Das müssen wir beobachten. Der Gesprächstisch ist immer gedeckt. Wir warten immer darauf, dass man über diese Angelegenheit spricht, auch von Madrid, auch mit anderen Ländern. Nur ist es dazu noch nicht gekommen, weil sich keiner an diesen Tisch setzt auf der anderen Seite.
    Schulz: Aber ich verstehe Sie richtig, dass mit dieser Unabhängigkeitserklärung – dafür ist ja das "Window of Opportunity" jetzt 48 Stunden offen nach der Abstimmung – jetzt nicht zu rechnen ist?
    Kapretz: Doch, doch!
    Schulz: Wird die kommen?
    Kapretz: Ja.
    Schulz: Die Unabhängigkeitserklärung wird kommen. Heute?
    Kapretz: Die Unabhängigkeitserklärung wird dann kommen, wenn 100 Prozent der Stimmen ausgezählt sind. Ich bin jetzt auf dem Stand von vor drei Stunden. Da waren wir noch bei 95 Prozent. Aber das werden wir in dieser Woche sehen.
    Schulz: Marie Kapretz, die Leiterin der Vertretung der katalanischen Regierung in Berlin, heute Morgen bei uns im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank dafür.
    Kapretz: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.