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Nach der Fußball-WM in Russland
Opposition wird weiter verfolgt

Seit über drei Monaten hungert der ukrainische Filmregisseur Oleg Senzow in Haft. Sein Ziel: die Freilassung aller politischer Gefangener in Russland. An seinem Fall hat sich durch die Fußball-WM und auch nach dem Turnier nichts verändert. Wie steht es um das Erbe der WM?

Von Olga Sviridenko | 18.08.2018
    Auf einer Leinwand sind Mohammed Bin Salman, Gianni Infantino und Wladimir Putin während des Eröffnungsspiels der Fußball-WM 2018 im Stadion zu sehen
    Auf einer Leinwand sind Mohammed Bin Salman, Gianni Infantino und Wladimir Putin während des Eröffnungsspiels der Fußball-WM 2018 im Stadion zu sehen (Fayez Nureldine / AFP)
    Sein Zustand sei immer problematischer, sagt Soja Swetowa. Zwei Stunden konnte sie am Dienstag Oleg Senzow in seiner Strafkolonie am Polarkreis besuchen. Senzow verbüßt dort unter verschärften Bedingungen seit vier Jahren eine 20-jährige Haftstrafe wegen Terrorverdachts. Senzow ist in Simferopol geboren und ein erklärter Gegner der russischen Annexion der Krim. Nun droht der 42jährige im Gefängnis zu sterben.
    "Oleg ist in einem sehr schlechten Zustand. Er sagte mir, dass die nächste Stufe der kritische Zustand sei. Dann müsste man ihn in ein Krankenhaus bringen, um ihn weiter am Leben zu erhalten."
    Es ist 96 Tage her, seitdem Senzow mit seinem Hungerstreik begann. Sein Ziel: die Freilassung von rund 70 ukrainischen politischen Gefangenen in russischen Gefängnissen. Laut Soja Swetowa sei Senzow von diesem Ziel nicht abzubringen, im Gegenteil.
    Ernährung durch spezielles Gemisch
    "Oleg hat gesagt, dass er nicht vorhat, den Hungerstreik zu beenden. Sein Ziel ist die Freilassung der ukrainischen politischen Gefangenen und er ist davon überzeugt, dass er das Richtige tut. Er wird im Moment mit einem speziellen Gemisch ernährt, das normalerweise Patienten nach einer schweren Operation verabreicht wird, wenn sie selber keine Nahrung zu sich nehmen können. Nur deshalb ist er noch nicht tot."
    Vor wenigen Tagen wurde ein von Senzows Mutter eingereichtes Gnadengesuch, das sie noch während der Fußball-Weltmeisterschaft stellte, von der russischen Regierung unbeeindruckt zurückgewiesen. Ein solches Gesuch müsse vom Verurteilten selbst an den Präsidenten herangetragen werden, heißt es in dem Antwortschreiben des Kremls, dass der ukrainische Fernsehsender Hromadske TV veröffentlichte. Für die bekannte Menschenrechtlerin Soja Swetowa keine Überraschung:
    "Es war absolut klar, dass Putin ihn nie während der WM freilassen und dem Druck nicht nachgeben würde. Die russische Regierung muss meiner Meinung nach mit dem Austausch der ukrainischen politischen Gefangenen in Russland gegen die russischen Kriegsgefangenen in der Ukraine beginnen. Putin hatte sogar selber davon gesprochen, dass alle gegen alle ausgetauscht werden sollen. Und ich denke, dass die westlichen Politiker Putin davon überzeugen müssen, dass es notwendig ist. Das es in seinem pragmatischen Interesse liegt und auch für sein Image gut wäre."
    Druck auf Putin wächst
    Auch wenn bislang alle internationalen Vermittlungsversuche scheiterten, der Druck auf Putin wächst. Während der Weltfußball während der WM schwieg, werden die Forderungen nach der Freilassung Senzows nun eindringlicher. Unter der Woche unterzeichneten über 100 internationale Kulturschaffende einen Brief, in dem sie sich für den ukrainischen Filmregisseur einsetzen. "Nicht handeln, das bedeutet, Oleg Senzow sterben zu lassen", heißt es in der Petition. Auch das Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte fordert Russland jetzt auf, Senzow sofort und bedingungslos freizulassen.
    Auch im eigenen Land gerät Putin immer mehr unter Druck - seine Umfragewerte sanken im letzten Monat um 17 Prozent. Tausende Menschen im ganzen Land protestierten gegen die Erhöhung des Rentenalters. Am Mittwoch versammelten sich über 1500 Menschen auf Moskaus Straßen, um die Freilassung von zwei inhaftierten Teenagern zu erreichen - der sogenannte "Marsch der Mütter". Seit einiger Zeit geht die russische Regierung verstärkt gegen Jugendliche wegen des Vorwurfs des "Extremismus" vor.
    Verhaftungen wegen Social-Media-Aktivitäten
    "Denn in Russland ist es jetzt leider populär, dass man für Aussagen und Bilder in den sozialen Netzwerken verhaftet wird. Es ist gefährlich, seine Meinung zu sagen. Ich bin für das Schicksal meiner Kinder hier."
    Sagte Tatjana, eine Teilnehmerin der Aktion gegenüber Radio Svoboda. Vor allem die Willkür der Behörden und Gerichte wollen viele hier nicht mehr hinnehmen.
    Die Menschenrechtlerin Soja Swetowa ist überzeugt, dass das Bild des glänzenden und weltoffenen Russlands während der WM ein Trugbild war und die Russen nun wieder von der Realität eingeholt werden.
    "Es ist klar, dass es während der WM viel weniger Verhaftungen gab und ausländische Touristen sogar Alkohol auf der Straße trinken durften, was bei uns normalerweise verboten ist. Wofür man sogar festgenommen werden kann. Es entstand der Eindruck, dass hier alles wunderbar ist. Es gab tatsächlich viel weniger Repressionen. Alles drehte sich ja nur um das Sportfest. Aber: Die Opposition wird noch mehr verfolgt, seitdem Wladimir Putin erneut zum Präsidenten gewählt wurde. Das ist auch ein Fakt."
    Daran hat auch die Fußball-WM nichts geändert.