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Nach der Griechenland-Wahl
Antonaros: Mitsotakis braucht wirtschaftlichen Aufschwung

Kyriakos Mitsotakis von der liberalkonservativen Nea Dimokratia werde in den kommenden vier Jahren bequem regieren können, sagte der frühere Regierungssprecher Evangelos Antonaros im Dlf. Jetzt erwarte ihn eine Doppelaufgabe: den wirtschaftlichen Aufschwung zu verstetigen und für mehr sozialen Ausgleich zu sorgen.

Evangelos Antonaros im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 08.07.2019
Der Kandidat der Nea Dimokratia Partei, Kyriakos Mitsotakis, in einem Meer von griechischen Flaggen am 4. Juli 2019 bei einer Wahlkamfveranstaltung in Athen.
Der Kandidat der Nea Dimokratia Partei, Kyriakos Mitsotakis, geht als klarer Wahlsieger aus der Entscheidung hervor (picture alliance / Lefteris Partsalis)
Dirk-Oliver Heckmann: Vier Jahre lang war er der Regierungschef in Griechenland, Alexis Tsipras von der linken Syriza-Partei. Er war 2015 mit der Ansage angetreten, sich auf keinen Fall dem Spardiktat der Europäer unterwerfen zu wollen. Doch das Gegenteil ist eingetroffen: Tsipras hat die Sparvorgaben sogar übererfüllt. Die Arbeitslosigkeit ging deutlich zurück, Athen konnte im vergangenen Jahr den Euro-Rettungsschirm verlassen und steht jetzt, wenn auch wackelig auf eigenen Beinen. Viele Wählerinnen und Wähler sind aber enttäuscht. Bei der vorgezogenen Neuwahl gestern ging der Christdemokrat Kyriakos Mitsotakis deshalb deutlich als Sieger vom Platz.
Darüber können wir in den folgenden Minuten sprechen mit Evangelos Antonaros. Er war jahrelang Korrespondent der Tageszeitung "Die Welt". Er war Regierungssprecher unter dem Christdemokraten Karamanlis. Im vergangenen Jahr ist er aus der Nea Dimokratia ausgeschlossen worden, weil er der neuen Parteiführung vorwarf, rechtsextreme Tendenzen nicht nur zu dulden, sondern an höchster Stelle sogar zu fördern. Schönen guten Morgen, Herr Antonaros!
Evangelos Antonaros: Guten Morgen, Herr Heckmann.
Mitsotakis kann in den kommenden vier Jahren "bequem regieren"
Heckmann: Alexis Tsipras hat angefangen, das Land zu sanieren, hat Griechenland aus dem Euro-Rettungsschirm herausgeführt. Jetzt ist er abgewählt. Sind die Griechen undankbar?
Antonaros: Sie sind auf jeden Fall unzufrieden, zu einer großen Mehrheit, und das spiegelt dieses klare Wahlergebnis wieder. Der neue künftige Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis an der Spitze der liberalkonservativen Nea Dimokratia hat einen deutlichen Vorsprung bei diesen Wahlen erreicht. Er hat knapp 40 Prozent der Gesamtstimmen und damit eine klare Sitzmehrheit im neuen Parlament, 158 von insgesamt 300 Sitzen. Er kann bequem voraussichtlich in den nächsten vier Jahren regieren.
Heckmann: Nach den Verlusten bei der EU-Wahl vor wenigen Wochen, da hatte Alexis Tsipras ja diese vorgezogenen Neuwahlen ausgerufen. Hat er sich verspekuliert?
Antonaros: Ich glaube, er hat sich verspekuliert. Er hat es eigentlich rein politisch nicht nötig gehabt, diese Wahlen um drei bis vier Monate vorzuziehen, aber er hat, wie er gesagt hat, aus moralischen Gründen, weil er natürlich eine klare Wahlniederlage erlitten hat bei den Europawahlen, diese Entscheidung getroffen, und dadurch hat er die Parlamentswahlen gestern in Griechenland verloren.
Heckmann: Warum hat er das gemacht? Warum hat er dieses Vorziehen gemacht?
Antonaros: Wie er das öffentlich gesagt hat, weil er sich moralisch dazu verpflichtet sah, diesen Wahltermin vorzuziehen, weil er die Europawahlen so haushoch verloren hat, mit knapp zehn Prozent der Gesamtstimmen. Da hat sich allerdings Alexis Tsipras entgegen der ursprünglichen Voraussagen bei der gestrigen Parlamentswahl gut halten können. Er hat 31,5 Prozent der Stimmen bekommen, erheblich mehr als zunächst erwartet wurde, und bei den ersten Hochrechnungen am gestrigen Sonntagabend sogar vorausgesagt worden war. Insofern bleibt er als die links von der Mitte angesiedelte Opposition eine Alternative zu der neuen Regierung.
"Viele Regierungen haben die Krise mitverschuldet"
Heckmann: Er ist nicht unbedingt Geschichte; vielleicht kommt er noch mal wieder in ein paar Jahren. – Blicken wir mal zur Gewinnerseite. Kyriakos Mitsotakis und seine Nea Dimokratia, die haben die Wahlen deutlich gewonnen. Mitsotakis hatte angekündigt, alles auf Wirtschaftsaufschwung zu setzen und die Hunderttausenden Griechen, die ja aus dem Land gegangen sind, wieder zurückzulocken, zumindest es zu versuchen. Dabei war es doch die ND, die das Land in die Krise geführt hat, oder?
Antonaros: Auf jeden Fall die ND hat auch mitregiert in allen diesen Jahren. Wissen Sie, viele Regierungen haben die Krise mitverschuldet. Das Land hat im Grunde genommen viele Reformen, die längst überfällig waren, nicht durchsetzen wollen. Jetzt geht es natürlich darum, zweierlei zu erreichen: Einmal den wirtschaftlichen Aufschwung wirklich zur Realität zu machen und auf der anderen Seite die erschöpften Griechen nach zehn Jahren Krise davon zu überzeugen, dass es zu einer, wie soll ich sagen, sozialen Gerechtigkeit und Ausgeglichenheit kommen soll. Sehr viele, Hunderttausende von Leuten sind, wie Sie richtig gesagt haben, aus dem Land rausgegangen. Sie haben Arbeit irgendwo sonst, in erster Linie in Europa gesucht. Andere Leute kommen mit dem, was sie verdienen beziehungsweise was sie mittlerweile an Rente kassieren, schlecht über die Runden, und es geht darum, diese Leute nicht zu marginalisieren, davon zu überzeugen, dass sie doch eine Zukunft haben in ihrem eigenen Land. Das ist die Doppelaufgabe von Mitsotakis.
"Abwärtssog wurde gestoppt"
Heckmann: Wie würden Sie denn den Zustand Ihres Landes derzeit beschreiben?
Antonaros: Das Land hat sich einigermaßen stabilisiert. Das ist ganz klar. Dieser Abwärtssog, der lange gedauert hat, ist gestoppt worden. Die Arbeitslosigkeit ist, wie Sie auch richtig gesagt haben, von 28 Prozent auf 18 Prozent heruntergedrückt worden. Nur viele Leute haben Jobs, bei denen sie sehr schlecht verdienen, 500 Euro im Monat, und da fragt man sich, wie kann man damit leben. Vor allem ältere Leute, deren Renten gestutzt worden sind, um bis zu 40 Prozent, haben große Schwierigkeiten, damit auszukommen, und ohne die Unterstützung ihrer Kinder, ihrer Enkelkinder könnten sie im Grunde genommen nicht überleben. Für Griechenland ist das eine besonders gute Sache, dass es einen ausgeprägten Familiensinn gibt, wo sich die Familienmitglieder untereinander sehr stark unterstützen, aber die Ersparnisse dieser Familien, die gehen auch zur Neige.
Mitsotakis braucht wirtschaftlichen Aufschwung
Heckmann: Kyriakos Mitsotakis hat Steuersenkungen in Aussicht gestellt, versprochen auch gegenüber den Unternehmern und den Unternehmen. Aber die Staatskasse ist leer, muss man sagen. Die Schulden sind immer noch überbordend.
Antonaros: Die Schulden sind sehr hoch, die Auslandsschulden, aber Griechenland hat im Grunde genommen die Rückzahlung seiner Auslandsschulden verlängert bekommen. Insofern ist es im Moment nicht so stark unter Druck, wie es vor fünf Jahren noch war.
Auf der anderen Seite hat Mitsotakis in den letzten zwei Wahlkampfwochen ein bisschen zurückgerudert und er hat gesagt, dass die Kürzung der Steuern, der Steuerlast, die in der Tat sehr hoch ist, erst graduell erfolgen soll und voraussichtlich erst nach 18 Monaten bis zwei Jahren. Das ist, glaube ich, auch eine vernünftige Betrachtungsweise, weil nur, wenn der wirtschaftliche Aufschwung einsetzt, nur dann kann er die Steuern auch tatsächlich kürzen.
Heckmann: Das werden wir beobachten, Herr Antonaros. Sie sind ja im vergangenen Jahr aus der Nea Dimokratia ausgeschlossen worden, weil Sie Mitsotakis vorgeworfen haben, Rechtsextreme in der Partei auch an führender Stelle zu dulden. Hat sich die Partei bedenklich nach rechts bewegt? Haben Sie dafür ein Beispiel?
Antonaros: Wissen Sie, ich meine, es ist unschön, nach einer gewonnenen Wahl eine Partei zu kritisieren, und meine eigene frühere Partei, der ich auch über 40 Jahre lang angehört habe. Ich würde sagen, Mitsotakis ist mit Sicherheit kein Rechtsextremist. Mitsotakis ist ein Mann der Mitte und ich kenne ihn auch persönlich. Wir waren auch zusammen im Parlament und er hat auch eine bemerkenswerte politische Karriere hinter sich, und ich gehe davon aus, auch eine wichtige politische Karriere vor sich. Aber er hat beim Versuch, rechte Stimmen zurückzugewinnen, einige in der Tat rechtsradikale Leute einverleibt in die Partei, die vorübergehend auch den Ton angegeben haben.
Heckmann: Zum Beispiel den Parteivize Georgiadis.
Antonaros: Georgiadis, ja. Aber ich glaube, im Moment sitzt Mitsotakis so fest im Sattel, dass er von sich aus und ohne Rücksichtnahme auf diese Personen die Entscheidungen treffen kann, und ich möchte hoffen, dass er doch die Partei auf dem traditionellen liberalkonservativen, sozial engagierten Kurs halten wird.
Heckmann: Das heißt, Ihre Kritik war ein bisschen überzogen?
Antonaros: Meine Kritik war zu diesem Zeitpunkt, als ich ausgeschlossen wurde, nicht überzogen. Aber ich bin froh, dass eine gewisse Korrektur inzwischen eingetreten zu sein scheint, und ich bin bereit, solche Verbesserungen beziehungsweise eigene Fehler auch einzugestehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.