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Nach oben offene Schärfeskala

Chemie. - Die Kantinenpaprika von heute lässt die Assoziation mit Schärfe nicht mehr aufkommen, ihr ist alles Scharfe abgezüchtet worden. Aber die Lust auf Scharfes wächst wieder in einem solchen Maße, dass Chemiker der Universität Oxford eine Technik zum exakten Messen der Schärfe von Chilis für entwickelnswert hielten.

Von Mathias Schulenburg |
    Chilis sind Gewächse der Gattung Paprika. Was sie scharf macht, ist eine Substanz namens Capsaicin. Capsaicin tritt, je nach Chili-Art und Reifezustand, in ganz unterschiedlichen Konzentrationen auf. Die um Standardisierung bemühte Lebensmittelindustrie hat deshalb schon früh eine Möglichkeit erkundet, die Schärfe in verlässlichen Zahlen anzugeben – mit einem einigermaßen kuriosen Verfahren, wie Richard Compton, Chemieprofessor an der Oxford University, erklärt:

    "Das alte Verfahren von 1912 ging so: Man gibt professionellen Kostern einen Chiliextrakt zu schmecken und verdünnt den dann solange mit Wasser, bis die keine Schärfe mehr feststellen. Aus der Zahl der Verdünnungen errechnet man dann die so genannte Scoville-Einheit, als Maß für die Schärfe. Klar, das ist ein bisschen subjektiv, zeitaufwändig, teuer und unpraktisch, wie man's auch dreht und wendet."

    Professor Comptons Schärfegoutierungsvermögen endet beim Würzmittel Tabasco, das mit ungefähr 40.000 Scoville-Einheiten zu Buche schlägt. Es gibt aber auch furchterregende Gebräue, die eine Million Scovilles in sich tragen, wie die Marke "Mad dog's revenge", "Die Rache des tollwütigen Hundes" – ein Tropfen davon macht eine ganze Pfanne Gehacktes heiß. Um Herstellern wie Verbrauchern Überraschungen und Kosten zu ersparen, haben Richard Compton und Mitarbeiter einen offenbar verlässlichen Schärfesensor ersonnen:

    "Wir haben also eine einfache und schnelle Methode gefunden, die die traditionelle Methode ersetzt. Das 'schnell' ist wichtig, denn richtig scharfe Chilis haben Scoville-Einheiten, die in die Millionen gehen, da müssen sie mit der traditionellen Methode furchtbar oft verdünnen, und das dauert."

    Ein wesentliches Element des Schärfesensors sind mit Kohlenstoff-Nanotubes, Nanoröhrchen, bedruckte Elektroden:

    "Die Nanotubes sind nicht nur klein, die sind auch elektrisch leitend. Und das Capsaicin verbindet sich mit der Oberfläche der Nanotubes und elektrochemische Methoden sagen uns dann, was da in welchen Mengen vorhanden ist."

    Chili-Schärfe vertreibt Melancholie, soviel ist klar, mittlerweile aber zeichnen sich für die Scharfmachersubstanz Capsaicin – im berüchtigten Pfefferspray ist sie übrigens auch – immer neue Anwendungsfelder ab:

    "Wir machen gerade Lizenzverhandlungen mit drei verschiedenen Firmen, und interessant ist: Eine Anwendung ist offenbar eine Art Chili-Macho-Meter, mit dem man im Restaurant angeben kann – mein Teller ist der schärfste. Aber das Capsaicin-Molekül hat sich tatsächlich als nützlich herausgestellt. Die Substanz taucht mehr und mehr in der Pharmazie auf; sie wird als Mittel gegen Fettleibigkeit empfohlen; Studien an Ratten deuten auf eine Anti-Krebs-Wirkung hin, sie lindert die Schmerzen nach einer Operation. Also, es wird für Capsaicin tatsächlich ein Riesenmarkt vorhergesagt, in Salben, Cremes und so weiter, das kann für die nächsten paar Jahre ein Fünf-Milliarden-Pfund-Markt werden und wir wollen dabei sein."

    Patente sind eingereicht und Professor Compton ist frohen Mutes, dass sie auch erteilt werden.