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Nachhaltige Umweltpolitik in der EU

Die Umweltpolitik in Europa läuft unter dem Begriff Nachhaltigkeit. Hinter diesem Motto verbirgt sich der Gedanke, dass die Menschen heute nicht auf Kosten der nachfolgenden Generationen handeln und wirtschaften sollen. Oder, wirtschaftlich ausgedrückt: von den Zinsen leben und nicht an der Substanz zehren. Leider sieht die Wirklichkeit derzeit eher anders aus. Das jedenfalls war das Ergebnis einer Tagung der Europäischen Union, gemeinsam veranstaltet unter anderem mit dem Dachverband der deutschen Umweltorganisationen, dem Deutschen Naturschutzring und der Grünen Liga zur Frage: wie nachhaltig ist Europa?

Von Andreas Baum |
    Es ist schon der Begriff der Nachhaltigkeit, der es in Brüssel schwer hat: Obwohl die Europäische Union im Jahr 2001 ihre Nachhaltigkeitsstrategie öffentlichkeitswirksam verabschiedet hat und sie in diesem Jahr überarbeiten will, muss sich diese Strategie stets der Konkurrenz zur Wirtschafts- und Sozialpolitik stellen. Im Zweifel, so sieht es Stefan Krug von der Berliner Greenpeace-Geschäftsstelle, zieht sie den Kürzeren:
    Nachhaltigkeit galt und gilt bis heute als weiches Politikfeld, das, wenn es denn hart auf hart kommt, von den harten Politikfeldern an die Wand gedrängt wird. In der Praxis wird immer mehr deutlich, dass Nachhaltigkeit nur zu oft als Hindernis für eine effektive Wettbewerbspolitik und Standortpolitik begriffen wird.
    Das könnte eine Reihe von negativen Folgen haben. Zu den Kernbereichen der Strategie gehören die Stabilisierung des Weltklimas, eine nachhaltige Verkehrspolitik, die Reduktion von Umweltgiften, ein verantwortliches Ressourcen-Management, die Bekämpfung der Armut und Reaktionen auf die Alterung der europäischen Gesellschaften. Schlimm, wenn diese Ziele nun auf dem Altar der Ökonomie geopfert würden, da waren sich die Experten weitgehend einig. Nationale Alleingänge seien im Zweifel nur Tropfen auf heiße Steine, und, so die Argumentation von Günther Bachmann, dem Geschäftsführer des Berliner Rates für Nachhaltigkeit: Ohne Europa geht es nicht.
    Wir werden eben kein weiter gehendes Klimaziel ohne Europa in Deutschland hinbekommen. Wir kommen auch bei den Biokraftstoffen nicht weiter ohne Europa. Und ich find es schon bemerkenswert, dass das Wort "zero emmission car" mit Kalifornien assoziiert wird und nicht mit Europa. Es sei denn, wir bekommen mit europäischer Nachhaltigkeitspolitik da noch die Kurve.
    Es sind die Unternehmen der Privatwirtschaft, die die Schlüssel zur nachhaltigen Entwicklung in der Hand halten. Deren Interessen vertrat auf dem Podium Sebastian Siegele von der Hamburger Beraterfirma Systain Consulting, der klar machte, dass die Durchsetzung sozialer und politischer Utopien nicht zu den Zielen europäischer Unternehmer gehören:
    Aus der Sicht der Unternehmen ist wichtig: Was ist, wenn eine Negativmeldung transportiert wird über die Medien, sei es über verseuchtes Trinkwasser durch einen unserer Lieferanten, was hat das für eine Auswirkung, wie beeinflusst das das Kaufverhalten des Kunden.
    Die logische Folge daraus: Erst wenn nachhaltiges Handeln in Gewinnmargen übersetzbar ist, werden die Unternehmer und ihre Lobbyisten ihren Widerstand gegen die europäische Nachhaltigkeitsstrategie aufgeben. Aber auch die formulierten Ziele selbst gehen vielen Experten nicht weit genug. Die Schwerpunkte seien falsch gesetzt, immer noch fordere das Papier Wirtschaftswachstum – und das, sagt Stefan Richter, Geschäftsführer der Grünen Liga, sei ein Denkfehler:
    Wenn man sich die Effekte des Wirtschaftswachstums der letzten Jahrzehnte in den entwickelten Ländern anschaut, ist es Zeit, diese Strategie wirklich zu überdenken. Das Pro-Kopf-Einkommen ist zwar maßgeblich gestiegen, keine Frage. Auf der anderen Seite ist aber das Wohlbefinden der Bürger, das hat eher abgenommen. Es gibt eine massive Zunahme von Krankheiten, Themen wie Lärm, wie Enge, wie Zeitnot oder auch auch Befindlichkeitsstörungen prägen die entwickelten Gesellschaften.
    Was dagegen in der Strategie fehle, seien Überlegungen zur Friedenssicherung. Soziale Gerechtigkeit auf globaler Ebene komme ebenfalls zu kurz, und immer noch sei die Armut das Umweltgift Nummer eins. Die Europäische Kommission hatte mit Timo Mäkelä, dem zuständigen Direktor für nachhaltige Entwicklung, einen der ihren geschickt, um die eigene Position zu verteidigen. Und doch musste der Finne eingestehen, dass das Primat der Ökonomie in Brüssel nach wie vor common sense ist:

    Umweltpolitik ist immer ein Kostenfaktor für die Industrie, so beschreibt Mäkelä den Standpunkt der Wirtschaft, weshalb Umweltstandards heruntergefahren, vielleicht sogar vergessen werden sollten, bis sich Europa der Realität in China und Indien angepasst habe. Jedenfalls so lange, wie diese aufstrebenden Industrienationen eine ernst zu nehmende Konkurrenz darstellten.
    Es ist offenkundig, diese Meinung war immer wieder herauszuhören, dass es noch einiger Arbeit an Details bedarf, um zu verhindern, dass die Nachhaltigkeitsstrategie der Europäischen Kommission als zahnloser Papiertiger endet.