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Nachtleben kontra Nachtruhe

Berlin, die trendige Metropole, bekommt 600 Kilometer weiter östlich Konkurrenz: Warschau mausert sich zum Magneten für junge Hipster aus dem Ausland und weltgewandte, kreative Polen. In der einst tristen und grauen Hauptstadt öffnen immer mehr alternative Klubs und Bars für die neue Generation - auch zum Ärger der alten.

Von Adalbert Siniawski | 25.10.2012
    Ein UFO ist an der Weichsel gelandet. Das Dach des Hipster-Hotspots sieht aus wie eine fliegende Untertasse. Oben: der leuchtende Schriftzug "Warszawa Powisle". Und in einem umglasten Pavillon darunter feiert eine junge, szenebewusste Menge, wie sie auch in Kreuzberg, Neukölln und anderswo anzutreffen ist.

    "Ich habe hier den ganzen Sommer verbracht. Hier kannst du ganz ungezwungen sein. Es gibt super Events und Konzerte, DJs aus Polen und der ganzen Welt. Hier treffen sich viele Leute, man kann immer jemand neues kennenlernen. Ein toller Ort, eine außergewöhnliche Atmosphäre."

    Die sich immer mehr in der Stadt verbreitet. Ähnliche Klubs und Kaffeebars schießen wie Pilze aus dem Boden: Plan B, Na lato, Powiekszenie, 1500m2 und viele kreative Wortungetüme mehr. Sie beziehen die Nischen und vergessenen Bauten der Stadt. Sie sind Inseln einer jungen, weltgewandten Subkultur. Anziehungspunkte für Studenten, Künstler, Alternative, Schwule und Lesben und ausländische Besucher.

    Norbert Redkie: "Warschau hat sich sehr verändert und ist offener geworden. Es gibt viele neue Orte im öffentlichen Raum. Sie sollen den Warschauern zeigen, dass die ganze Welt etwas anders aussieht als unser graues, kommunistisches Warschau, wie wir es noch von früher kennen."

    Bartek Kraciuk: "Und das neue Warschau, das sind engagierte Leute voller Energie, die wissen, dass man hier noch viel mehr machen und diese Stadt verändern kann."

    Doch nicht alle sehen das so, wie Norbert Redkie und Bartek Kraciuk, die Macher von "Warszawa Powisle". Zwei Welten prallen aufeinander: Eine neue Generation von Menschen, die die Metropolen der Welt kennen, weil sie dort arbeiten oder es sich leisten können, dort hinzureisen - und die nun Anlaufpunkte für die Subkultur in ihrer Heimat schaffen. Auf der anderen Seite: die alteingesessenen Bewohner und die Stadtverwaltung.

    Vor wenigen Wochen standen 14 Mannschaftswagen der Polizei vor "Warszawa Powisle". Zuvor notierte die Wache 200 Beschwerden: zu viel Lärm, zu viel Bier. Die Behörde drohte zwischenzeitlich mit dem Entzug der Alkoholkonzession. Der Pionier unter den neuen Klubs, Chlodna 25, hat seine Lizenz schon vor Monaten verloren und muss sich notgedrungen neu erfinden. Denn der Treibstoff der Hipster-Klubs ist nun mal hochprozentig.

    "Wenn die Anwohner klagen, dass die Ordnung gestört ist, wenn Alkohol außerhalb der erlaubten Zonen konsumiert und die Nachtruhe gestört wird, oder wenn es zu Rangeleien kommt, dann muss nun mal die Polizei eingreifen","

    sagt der Sprecher der Stadt, Bartosz Milczarczyk. Den Entzug der Konzession hält er allerdings für übertrieben, denn Warschau will sich trendy geben. Die Stadt setzt deshalb auf ein Mediationsverfahren zwischen dem alten und dem neuen Warschau. Und die Klubbetreiber haben sich zusammengeschlossen und eine PR-Offensive gestartet.

    Norbert Redkie und Bartek Kraciuk wollen auch das graue Gesicht der Stadt aufhübschen: Ihre Szenetreffs Warszawa Powisle und die Bar Syreni Spiew residieren in architektonischen Perlen der sozialistischen Moderne, einem Kaffeehaus aus den 70ern und einem ausrangierten Kassenhäuschen der polnischen Bahn. Sie wurden vor dem Verfall gerettet und hochglanzpoliert.

    Norbert Redkie: ""Für mich sind das einfach wunderschöne Gebäude."

    Bartek Kraciuk: "Das ist die letzte gute Architektur, die in diesem Land entstanden ist. Wir wollten den Bauten aus den 50er- und 60er-Jahren neues Leben einhauchen, denn die Architektur ist einzigartig."

    Doch das Engagement im öffentlichen Raum hat seine Grenzen: Exakt um das ehemalige Kassenhäuschen von Warszawa Powisle herum wurde eine weiße Linie gezogen. Die Gäste dürfen diese Linie nicht überschreiten, sonst droht neuer Ärger mit den Nachbarn. Nachtleben und Nachtruhe - das alte und das neue Warschau - zwei Welten begegnen sich.