Dieses ist das Jahr, in dem Jürgen Gosch noch nachträglich ein Denkmal gesetzt wird – in den Inszenierungen, die seinen Arbeiten ähneln. Schon Jürgen Schimmelpfennig hatte sein eigenes neues Stück "Der goldene Drache" in Wien im Geiste des Meisters und mit dessen bewährtem Bühnenbildner Johannes Schütz erarbeitet. Karin Beiers "König Lear" ist eine deutliche Reminiszenz an Goschs umstrittenen Düsseldorfer "Macbeth". Das ist keineswegs epigonal oder nachgemacht. Sondern es zeigt sich, dass die von Gosch und Schütz entwickelte Bühnensprache die Zumutungen der Shakespeare-Stücke kongenial übersetzt.
Für Köln hat Johannes Schütz die anthrazitfarbene Bühne wieder bis zur Brandmauer offen gelassen, ein Riesenraum. Hinten sind zwei Musikerinnen platziert; vorne liegt quer eine niedrige Mauer aus gelben Lehmziegeln.
Es sind einfache, berückend poetische Bilder dabei: wenn Goneril und Regan mit Gartenschläuchen Regen machen, Edgar sich im Lehm wälzt, um unkenntlich zu sein, oder wenn die Frauen später die Lehmmauer zerstören, bis es so staubt, dass der Bühnenraum vernebelt ist wie die Küste von Dover. Das ganze Chaos, der ganze Irrsinn, das ganze Todesspiel ist so in wenigen, einfachen Requisiten und in den Körpern der Schauspielerinnen präsent.
Dieser Abend ist schmerzvoll und stark und ähnlich wuchtig und zeichenhaft wie die Düsseldorfer Blutorgie und wirkt doch feiner komponiert, zarter, was daran liegen mag, dass alle Rollen von Frauen gespielt werden. Die dürfen zwar im Laufe des gut zweistündigen Abends auch richtig auf die Kacke hauen, intrigieren, kämpfen, morden oder Augen ausstechen, aber es liegt eine schöne Irritation darin, ebenso wie in den genialen Rollenwechseln der Schwestern, die auch Edgar oder Edmund spielen oder sich Clownsnasen aufsetzen. Die Narrenszenen könnten auch ein flirrender Spuk sein, so heiter und trotzdem tief, tief traurig sind sie. Die leichtfüßige Verspieltheit ist gutes Handwerk, was aber dahinter sichtbar wird, ist eine fast Beckett'sche Dimension des Shakespearetexts. Tänzelnd stehen alle vor dem Abgrund, den sie in sich gefunden, in sich selbst aufgerissen haben.
Barbara Nüsse ist Lear, zu Beginn ein strenger, alter Mann mit Pappkrone, selbstgerechten Reden und übergriffigen Umarmungen. Dann stellt Nüsse uns das Drama des Alterns vor Augen, Verfall, Verwirrtheit, Selbstmitleid, Kauzigkeit. Eigentlich aber ist alles an dieser Schauspielerin schlank und edel: der Wahnsinn, der Altersschwachsinn, auch die Verzweiflung und Trauer. Wenn sie mit Blätterkrone und Grasbündel auftaucht wie ein Naturwesen, ist sie der alte Mensch an sich: ein kindlicher Weiser, ein weises Kind. Anja Lais, Angelika Richter, Julia Wieninger und Anja Herden und mit besonderer Intensität Kathrin Wehlisch erarbeiten jeder ihrer Figuren bei aller Spielfreude tragische Größe. Wie König Lear sind sie bald halb nackt, verdreckt, der Insignien ihrer Würde ledig. "Man muss den Abgang so erdulden wie den Auftritt. Reif sein ist alles", heißt es immer wieder. Karin Beier hat mit dieser Inszenierung nach ihren starken, bunten "Nibelungen" und nach dem kargen, intensiven "Goldenen Vlies" noch einen Schritt gemacht. Hier entblößt sie wirklich. Das ist nacktes Menschsein in purem Theater.
Für Köln hat Johannes Schütz die anthrazitfarbene Bühne wieder bis zur Brandmauer offen gelassen, ein Riesenraum. Hinten sind zwei Musikerinnen platziert; vorne liegt quer eine niedrige Mauer aus gelben Lehmziegeln.
Es sind einfache, berückend poetische Bilder dabei: wenn Goneril und Regan mit Gartenschläuchen Regen machen, Edgar sich im Lehm wälzt, um unkenntlich zu sein, oder wenn die Frauen später die Lehmmauer zerstören, bis es so staubt, dass der Bühnenraum vernebelt ist wie die Küste von Dover. Das ganze Chaos, der ganze Irrsinn, das ganze Todesspiel ist so in wenigen, einfachen Requisiten und in den Körpern der Schauspielerinnen präsent.
Dieser Abend ist schmerzvoll und stark und ähnlich wuchtig und zeichenhaft wie die Düsseldorfer Blutorgie und wirkt doch feiner komponiert, zarter, was daran liegen mag, dass alle Rollen von Frauen gespielt werden. Die dürfen zwar im Laufe des gut zweistündigen Abends auch richtig auf die Kacke hauen, intrigieren, kämpfen, morden oder Augen ausstechen, aber es liegt eine schöne Irritation darin, ebenso wie in den genialen Rollenwechseln der Schwestern, die auch Edgar oder Edmund spielen oder sich Clownsnasen aufsetzen. Die Narrenszenen könnten auch ein flirrender Spuk sein, so heiter und trotzdem tief, tief traurig sind sie. Die leichtfüßige Verspieltheit ist gutes Handwerk, was aber dahinter sichtbar wird, ist eine fast Beckett'sche Dimension des Shakespearetexts. Tänzelnd stehen alle vor dem Abgrund, den sie in sich gefunden, in sich selbst aufgerissen haben.
Barbara Nüsse ist Lear, zu Beginn ein strenger, alter Mann mit Pappkrone, selbstgerechten Reden und übergriffigen Umarmungen. Dann stellt Nüsse uns das Drama des Alterns vor Augen, Verfall, Verwirrtheit, Selbstmitleid, Kauzigkeit. Eigentlich aber ist alles an dieser Schauspielerin schlank und edel: der Wahnsinn, der Altersschwachsinn, auch die Verzweiflung und Trauer. Wenn sie mit Blätterkrone und Grasbündel auftaucht wie ein Naturwesen, ist sie der alte Mensch an sich: ein kindlicher Weiser, ein weises Kind. Anja Lais, Angelika Richter, Julia Wieninger und Anja Herden und mit besonderer Intensität Kathrin Wehlisch erarbeiten jeder ihrer Figuren bei aller Spielfreude tragische Größe. Wie König Lear sind sie bald halb nackt, verdreckt, der Insignien ihrer Würde ledig. "Man muss den Abgang so erdulden wie den Auftritt. Reif sein ist alles", heißt es immer wieder. Karin Beier hat mit dieser Inszenierung nach ihren starken, bunten "Nibelungen" und nach dem kargen, intensiven "Goldenen Vlies" noch einen Schritt gemacht. Hier entblößt sie wirklich. Das ist nacktes Menschsein in purem Theater.