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Nagelwälder

Der Maler und Objektkünstler Günter Uecker feiert seinen 75. Geburtstag und gleich drei Berliner Ausstellungen feiern mit. In der Neuen Nationalgalerie baut Uecker gerade eine neue Installation auf. Der Neue Berliner Kunstverein stellt ab dem Wochenende Ueckers farbenfrohe, zarte Aquarelle aus. Und eine große Werkschau ist nun im Gropius-Bau zu sehen: 240 Arbeiten dokumentieren, wie vielseitig und lebendig der berühmte Nagel-Künstler war und ist.

Von Carsten Probst |
    Was hat Günther Uecker nicht für großartige Kunstwerke geschaffen! Die ersten vier seiner "Zwanzig Kapitel", die sein Werk rekapitulieren tauchen noch einmal tief in die intensive Produktion der fünfziger und frühen sechziger Jahre ein, als Uecker gerade aus Mecklenburg nach West-Berlin gewechselt war und dort einen unglaublichen Arbeitsschub erlebt haben muss. Diese frühen Arbeiten des 26- bis 34jährigen sind in ihrer poetischen Strenge, in der sie kraftvoll Physisches mit luzid Abstraktem gekonnt vereinen singulär für diese Zeit.

    Ein scheinbar so simples kleines Gemälde wie die "Fingermalerei" von 1956 lässt Rot- und Ockertöne zu einem züngelnden Flammenmeer auflodern. Eine weiße Leinwand mit vertikalen, aschegrauen Perlschnüren aus Farbtropfen benötigt gar nicht einmal mehr den Titel "Regen", um als visuelle Poesie des Regens sofort einzuleuchten. Eine monochrom gelbe Leinwand von 1957, auf eine Spitze gestellt, ist an den Rändern rundum mit großen Nägeln umlaufen und wirkt wie eine naive Sonne. Auf Einflüsse des russischen Konstruktivismus, aber auch von Yves Klein und Jean Tinguely auf Ueckers Werk wurde schon oft verwiesen. Dennoch ist hier ein sehr eigener Elan am Werk, ein Elan der Neugier, des ständigen Forschens und Experimentierens, immer neuer verspielter Ideen, durch den Uecker sich deutlich vom Mystizismus Kleins, aber auch Anarcho-Rebellen-Zirkus eines Jean Tinguely abhebt.

    Ueckers Rebellion findet immer hochkonzentriert in eigener Sache statt. Genau so ergeben sich Werke wie die "Torkelscheibe" aus der Mitte der sechziger Jahre, einer runden Holzplatte, deren Oberfläche mit Nägeln wie mit einem Fell überzogen ist und auf Betätigung eines Fußschalters hin torkelnd zu kreisen beginnt. So komisch die ganze Apparatur, so kindlich gestrenge die Neugier der Beobachtung, die sie auslöst. Denn Oberflächen mit Nägeln zu überziehen, das war für den späteren Wahl-Düsseldorfer zunächst eine Art Versuchsanordnung zur Erforschung von Licht- und Schattenreflexen. Besonders schön ist das bei Ueckers mit Nägeln übersäten, sich drehenden "Fünf Lichtscheiben" zu sehen, die fast wie antike Sonnenbilder anmuten.

    Irgendwann in der Mitte der sechziger Jahre, nachdem er die von ihm mitbegründete Künstlergruppe ZERO im Zorn verlassen hat, muss bei Uecker ein innerer Bruch erfolgt sein. Man kann eitel darüber streiten, ob dieser seinem Werk gut getan hat. In jedem Fall verläuft dieser Bruch stimmig mit seiner persönlichen Entwicklung. Jetzt ist bei Uecker viel von Aggressionen die Rede, von Widerstand gegen allzu hehre Kunstbegriffe, Kunst soll von ihrem hohen Roß geholt werden und für jeden verständlich sein. Er experimentiert nicht mehr abstrakt, sondern demonstriert. Jetzt benagelt er Stühle, Tische, Klaviere, komplette Einrichtungen, erzeugt zur Freude seines wachsenden Publikums ganze anarchische Nagellandschaften, als wäre es zwanghaft. Schließlich durchbohrt ein riesiger Nagel sogar eine Kaufhausfassade in der Düsseldorfer Innenstadt. Das ohnehin phallische Element seiner Nagelkunst, das Uecker nie bestritten hat, wird nun buchstäblich penetrant und soll es auch sein. Penetrant auch die stark an Fluxus erinnernden Lärminstallationen, mit denen Uecker 1968, damals zusammen mit Gerhard Richter, "Museen zu bewohnbaren Orten" machen will. Das Terrororchester oder die Türschlagmaschine sind solche Krach-Apparaturen zum Leuteerschrecken, in denen der Zeitgeist der 68er seine Spuren hinterlassen hat.

    Seitdem ist Uecker ein Künstler mit sozialem Engagement geblieben. Manche Fans des frühen Uecker bedauern, wie illustrativ und im Grunde humorlos seine mitunter riesenhaften Installationen seither geworden seien Auch das lässt sich durchaus in einigen dieser Kapitel nachvollziehen.. Eine der jüngsten Großinstallationen mit dem Titel "Friedensgebote" kommt als enigmatische Komposition verschiedener Figuren, Bildtafeln, Schriften Schnürpakete, Gestelle in Weiß daher und entwirft ein Panorama der fünf großen Weltreligionen. Das berühmte gefällte Klavier von 1988 bezieht sich auf den Zivilisationsbruch des Nationalsozialismus. Und selbst bei den vielen Reiseaktionen nach Vietnam, China, Rußland und in alle Welt wird man den Eindruck nie recht los, dass die allgemeine Bedeutsamkeit der Aussage, überhaupt die Zuständigkeit der Kunst für die Völkerverständigung ein bisschen zu stark unterstrichen wird.

    Was sich dagegen nicht verändert zu haben scheint, ist der virile Elan, mit dem Günther Uecker immer weiter produziert. Wer ihn so beobachtet, wie er großäugig und mit weit ausladenden Gesten vor seinem Publikum seine Bilder erklärt, wird ihn schwerlich auf 75 Jahre schätzen. Mancher Fünfzigjährige sieht älter aus. Freimütig bezeichnet er sein Werk als eine Arbeit am Trauma seiner frühen Kriegserfahrungen. Uecker hat 1945 als Jugendlicher die angeschwemmte Leichen von versenkten Flüchtlingsschiffen vom Mecklenburger Strand bergen müssen. Später, erzählt er, haben wir mit den Händen in gefrorenem Boden nach Kartoffeln gegraben. Die Arbeit ist noch nicht zuende, bekennt er. Aber es gibt manches vorzuzeigen.