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Nahost-Konflikt
"Hamas verhindert, dass Menschen geschützt werden"

Der Grünen-Politiker Volker Beck hat der palästinensischen Hamas vorgeworfen, Völkerrecht zur brechen. Sie setze "die Menschen im Gazastreifen als menschliche Schutzschilde ein", sagte Beck im DLF. Die antisemitischen Proteste in Deutschland verurteilte er.

Volker Beck im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 22.07.2014
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    Volker Beck, innenpolitischer Sprecher der Grünen und Vorsitzender der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe (picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini)
    Dirk-Oliver Heckmann: Telefonisch zugeschaltet ist uns jetzt Volker Beck. Er ist innenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen und Vorsitzender der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe. Guten Tag, Herr Beck.
    Volker Beck: Guten Tag!
    Heckmann: Herr Beck, auf Demonstrationen in Deutschland werden antisemitische und antiisraelische Parolen gerufen. Die Bundesregierung sieht derzeit keinen Handlungsbedarf. Sie auch nicht?
    Beck: Der Handlungsbedarf besteht vor allen Dingen einerseits bei der Anwendung des Rechts. Es ist richtig, wir brauchen keine Rechtsänderung. Aber auch das Versammlungsrecht muss konsequent angewandt werden. Deshalb ist es richtig, wenn man jetzt, wenn auch ein bisschen spät, bei solchen Veranstaltungen Auflagen macht. Wenn die Auflagen verletzt werden, ist das ein Grund, um auch eine Versammlung zu unterbinden. Es darf nicht hingenommen werden, wenn antisemitische Volksverhetzung auf den Straßen gerufen wird, und es darf auch nicht hingenommen werden, wenn "Tod Israel" gerufen wird. Da habe ich den Eindruck, da war die Anwendung des Rechts nicht bei allen Veranstaltungen so konsequent, wie man das sich wünschen würde.
    Heckmann: Woran liegt das aus Ihrer Sicht?
    Beck: Ich glaube, manchmal ist man so überwältigt von der Veranstaltung, dass man nicht richtig nachdenkt, was der Sinn eigentlich einer Äußerung ist, und dass "Jude, Jude, feiges Schwein" eine Kollektivbeleidigung ist und dass die anderen Formulierungen Volksverhetzung waren, das sollte man eigentlich erkennen. Manchmal greift man auch nicht unmittelbar ein, um eine Eskalation zu vermeiden, aber dann muss wenigstens die Strafverfolgung funktionieren, und ich hoffe, dass auch die Täter da verfolgt werden.
    Beck: Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft
    Heckmann: Pardon, Herr Beck. Ein Sprecher der Berliner Polizei hat jetzt gesagt, bisher habe die Polizei nicht handeln können, weil diese Parole, ich zitiere das noch mal, "Jude, Jude, feiges Schwein, komm heraus und kämpf' allein", weil diese Parole nach einer vorläufigen Einschätzung der Staatsanwaltschaft keine Volksverhetzung darstelle.
    Beck: Volksverhetzung ist das nicht, das ist eine Beleidigung. Eine Volksverhetzung setzt immer voraus, dass man zu Gewalt gegen eine Gruppe auffordert. Das wird hiermit nicht getan und deshalb ist es keine Volksverhetzung, aber womöglich eine Beleidigung. Das muss die Staatsanwaltschaft jetzt prüfen und dann entsprechend gegebenenfalls einschreiten. Aber wir sollten nicht nur über das Rechtliche reden, weil es geht auch um gesellschaftliche Antworten, und da teile ich die Auffassung der Bundesregierung nicht. Wir sind in dem Bereich Kampf gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus zu schlecht ausgestattet. Da muss mehr geschehen, und insbesondere muss auch für alle Zielgruppen was geschehen. Wir haben da in der Vergangenheit hauptsächlich deutschstämmige Jugendliche aus dem rechtsextremen Milieu adressiert. Wir müssen uns aber kümmern um den Antisemitismus in der Mitte der Gesellschaft und auch um den Antisemitismus bei Muslimen.
    Heckmann: Weil man Demonstrationen verbieten kann, Meinung aber nicht?
    Beck: Meinung kann man nicht verbieten, und eine demokratische Zivilgesellschaft muss sich immer um ihre demokratische Substanz kümmern und Minderheitenfeindlichkeit wie Antisemitismus zersetzen, die demokratische Substanz der Gesellschaft. Deshalb muss man dagegen auch jenseits des Strafrechts anarbeiten, und das ist die Aufgabe, die sich jetzt stellt. Und ich fände es sehr gut, wenn in dieser zugespitzten Situation die beiden großen Kirchen zusammen mit den vier islamischen Verbänden ein Wort zu dieser Problematik gemeinsam herausgeben würden. Das würde zeigen, es geht uns gemeinsam, Christen und Muslimen darum, dass wir gut mit den jüdischen Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes zusammenleben, die ja nun für Sachen, die in Israel geschehen, überhaupt nichts können, weil sie leben in Deutschland, und sie sind Juden, und in der großen Mehrheit sind die Juden in Deutschland auch keine Israelis.
    Beck: Hamas nutzt Zivil-Bevölkerung als menschlichen Schutzschild
    Heckmann: Herr Beck, Professor Rolf Verleger - der war Direktoriumsmitglied im Zentralrat der Juden -, der war heute bei uns im Programm im Interview, und der hat diese antisemitischen Ausfälle verurteilt, klar verurteilt. Aber er hat auch Verständnis gezeigt für wütende Reaktionen. Das israelische Militär verübe derzeit immerhin ein Massaker. Und auf die Frage, ob er es verstehen kann, wenn deutsche Politiker sich zurückhalten mit Kritik, vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte, sagte er folgendes:
    O-Ton Rolf Verleger: "Ich kann das nicht mehr verstehen. Ich finde, das sind Angsthasen, und ich finde, sie sollten mal das sagen, was sie nach abgeschalteten Mikrofonen sagen. Das sollten sie mal bei laufenden Mikrofonen sagen. Ich finde es eine Absurdität, sich hinzustellen und zu sagen, das sei das selbstverständliche Verteidigungsrecht Israels, jetzt dieses Massaker in Gaza anzurichten. Jeder vernünftige Mensch sagt sich, da stimmt doch was nicht. Und wenn da dagegen Protest laut wird, der dann überbordet, dann muss man sich doch nicht wundern, wenn man so einen Blödsinn sagt."
    Heckmann: Das meinte Rolf Verleger heute Früh im Deutschlandfunk, ehemals Direktoriumsmitglied im Zentralrat der Juden. – Herr Beck, Herr Verleger spricht von Angsthasen. Fühlen Sie sich angesprochen?
    Beck: Nein, fühle ich mich überhaupt nicht angesprochen. Ich habe in der Vergangenheit immer die israelische Siedlungspolitik kritisiert, weil sie eines der großen Probleme auf dem Weg hin zu einem Frieden und einem palästinensischen Staat ist und sein wird, und warum man ein Problem größer macht, das ohnehin im Wege steht, wenn man einen Frieden aushandelt, das ist für mich unbegreiflich, und da würde ich mir auch wünschen, dass die israelische Regierung die Kraft hat, die Rechten in ihrer Koalition hier stärker in die Ecke zu stellen.
    Heckmann: Aber, Herr Beck, vielleicht wird diese Kritik nicht deutlich genug und nicht laut genug geäußert. Wo bleibt die Kritik, beispielsweise daran, dass Israel möglicherweise Völkerrecht verletzt bei dem Vorgehen jetzt im Gazastreifen? Jetzt kommt ja auch die Meldung, dass eine deutsch-palästinensische Familie getötet worden ist.
    Beck: Die Toten, das macht uns alle betroffen. Aber ohne die genauen Fakten zu kennen, kann keiner sagen, was ist jetzt völkerrechtskonform oder völkerrechtswidrig gewesen. Was sicher völkerrechtswidrig ist, ist der Umgang der Hamas mit diesem Konflikt, wo sie die Aktionen torpediert, die Israel macht, um die Zahl der zivilen Opfer zu reduzieren, indem sie die Leute warnen, und die Hamas setzt einfach die Menschen im Gazastreifen, Kinder, Jugendliche, Frauen, Männer, Zivilisten ein als menschliche Schutzschilde, um ihre Militäraktionen zu decken. Die UNRWA, die sonst immer auf der Seite der Palästinenser ist, weil sie für die Versorgung der palästinensischen Bevölkerung zuständig ist, hat erst in der letzten Woche protestiert, dass in einer Schule 24 Raketen der Hamas gelagert wurden. Das ist auch einer der Gründe, warum wir so hohe Zahlen bei den zivilen Opfern haben, weil hier die Hamas ganz gezielt verhindert, dass man die zivilen Menschen schützt und dass sie sich von den Stätten, wo es zu militärischen Auseinandersetzungen kommen wird, entfernen können, nachdem sie von Israel gewarnt wurden.
    Heckmann: Der innenpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen, Volker Beck war das. Er ist auch Vorsitzender der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe. Herr Beck, danke Ihnen für das Gespräch!
    Beck: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.