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Nationale Nostalgie

In Uniformen und Schaftstiefeln marschieren sie auf, im Gleichschritt und militärisch gedrillt: die Mitglieder der Ungarische Garde, eine paramilitärische Gruppe junger rechtsextremistischer Ungarn, die gegen Juden und Roma hetzen und die Wiederherstellung eines völkischen Ungarntums fordern. Gerade unter jungen Ungarn finden die Rechtsextremisten immer mehr Befürworter. Jan-Uwe Stahr berichtet.

    "Man hat diese Demonstration am Donauufer gemacht, und da sind einige Schuhe am Ufer an den Stellen, wo von den Pfeilkreuzlern die Juden in die Donau geschossen worden sind. Und da war die Gegendemonstration, und da kamen die Leute mit den Pfeilkreuzler-Fahnen und haben gebrüllt, und da habe ich wirklich Angst gehabt."

    György Markus, einem Überlebenden des Budapester Juden-Ghettos, kamen böse Kindheits-Erinnerungen: wachgerufen durch den Aufmarsch ungarischer Rechtsextremisten, direkt vor dem Budapester-Holocaust-Mahnmal. György Markus ist Professor für Politikwissenschaft und beschäftigt sich auch beruflich mit dem Rechtsextremismus in Ungarn. Neue repräsentative Umfragen haben ergeben:

    "Dass die Zahl der Rechtsextremen unter Jugendlichen 27 Prozent ist, und in der Bevölkerung 12 Prozent."

    Es ist wieder populär, vor allem Juden und Roma, die in Ungarn noch immer "Zigeuner" heißen, die Schuld zu geben, für die derzeit wachsenden ökonomischen und sozialen Probleme des Landes. Die Einbindung ihres Landes in die Europäische Union lehnen bekennende Rechtsextremisten ab, ebenso wie die parlamentarische Demokratie. Sie träumen stattdessen von der Wiederherstellung eines völkischen Ungarntums in den Grenzen von 1918. Auch viele junge Akademiker fühlen sich von dieser Vorstellungswelt angezogen.

    "Die Rechtsextremen wollen ein vormodernes Ungarn. Die wollen die alten Grenzen zurück und die wollen sogar die Lehre der heiligen Krone. Sie sind enttäuscht - natürlich sind sie Antikommunisten, aber sie sind auch Antiglobalisten - und enttäuscht von der Westintegration und sie hoffen mit alten historischen Symbolen, etwas zu finden. Und sie haben ein ganz schlimmes historisches Symbol gefunden und das ist die Fahne mit den Arpadstreifen."

    Die rotweißen Streifen stehen nicht nur für ungarischen König Arpad, der vor über 1000 Jahren sein Volk aus Mittelasien nach Mitteleuropa führte und sich dem Christentum anschloss. Die Arpadfahne wurde während des Zweiten Weltkrieges auch als offizielle Flagge von den ungarischen Faschisten, den Pfeilkreuzlern, hochgehalten. Diese Doppeldeutigkeit der Arpaden-Symbolik wird von Ungarns neuen rechtsextremen Bewegungen ganz bewusst eingesetzt, sagt Politikforscher Markus:

    "Mit dieser Fahne erreichen sie beides: Einmal eine historische Nostalgie - eine nationalistische, romantische, historische Nostalgie - und einen Anknüpfungspunkt an den Hungarismus, an die ungarische Variante des Nationalsozialismus."

    Mit der Verknüpfung aus Arpaden-Nostalgie und Nationalsozialismus lassen sich immer mehr Menschen mobilisieren. Das macht die Sache so gefährlich.

    "Diese Arpadenfahne sind nicht nur bei den Rechtsextremen zu sehen, sondern wenn die große Volkspartei der Rechten, eine große Demonstration oder ein Sozialprogramm ankündigt und da sind Massen dabei, da neben der ungarische Fahne sind 20 bis 30 Prozent diese Arpadenfahnen."

    Die rechtskonservative Volkspartei Fidez und ihr Anführer Viktor Orban distanzieren sich - nach einigem Zögern - inzwischen von den rechtsextremistischen Gruppen. Dennoch sind die Grenzen zwischen Rechtskonservativen und Neofaschisten in Ungarn fließend. Auch die Parlamentspartei Fidez, die laut Umfragen zurzeit eine absolute Mehrheit bekommen würde, vertritt noch durchweg nationalistische Vorkriegsauffassungen, sagt Markus.

    "Ungarn, Ungarn über alles, Kirche über alles, gegen Säkularismus und überhaupt: Liberalismus ist etwas ganz schlimmes."

    Als größten Helfer des neuen Rechtsextremismus sieht der Politikwissenschaftler jedoch den gewaltigen ökonomischen Anpassungsdruck, unter dem die junge Demokratie steht - ausgelöst durch den für 2010 geplanten Beitritt zur Euro-Währungszone und umgesetzt ausgerechnet durch eine linksliberale Regierung.

    "Und der Grund, dass nicht einmal die Linken für ihre Partei einstehen, weil sie mit den neoliberalen Reformen nicht einverstanden sind - und deshalb in dieser defensiven Situation – sind Leute schwer zu mobilisieren."

    Gleichzeitig setzen die derzeitig regierenden Postsozialisten auch darauf, dass die Rechtsextremen möglichst offen ihre hässliche Fratze zeigen, analysiert Markus.

    "Ein taktischer Grund vielleicht. Die Linke braucht eine Gefahr, um zu mobilisieren, eben wegen dieser Wirtschafts- und Sozialpolitik ist das vielleicht der einzige Grund, warum die Leute links wählen: Dass nicht die Rechten kommen."

    Ein gefährliches Spiel mit dem Feuer.