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Nationales Gedenken in Polen

Vor genau 86 Jahren, am 11. November 1918, hat Jozéf Pilsudski Polen als Republik neu gegründet. Erst einen Tag zuvor war er mit dem Zug in Warschau eingetroffen - aus Magdeburg kommend, wo er in Haft gesessen hatte, weil er dem deutschen Kaiser die Gefolgschaft verweigerte. Seither sind in Polen Dutzende von Museen gegründet worden, in denen auch Pilsudski gewürdigt wird. Am Mittwoch aber wurde im ehemaligen Wohnhaus des Politikers im Warschauer Villenvorort Sulejowek das erste nur Pilsudski gewidmete Museum eröffnet.

Autor: Martin Sander |
    Das hier ist eine Kanone, die wir uns für die heutige Feier aus dem polnischen Armeemuseum ausgeliehen haben. Es ist eine Kanone von 1920, aus der Schlacht um Warschau, einer der bedeutendsten Schlachten, die nicht nur über das weitere Los Polens, sondern auch Europas entschieden hat. Bei Warschau stoppten die polnischen Truppen unter der Führung von Marschall Pilsudski den Vormarsch der Sowjetarmee nach Westen.

    Jerzy Pawlowski ist ein Großneffe von Jozef Pilsudski. Gemeinsam mit der jüngsten Piludski-Tochter Jadwiga, die vor einiger Zeit aus dem Londoner Exil nach Warschau zurückgekehrt ist, zeichnet Pawlowski verantwortlich für die Einweihung des Jozef-Pilsudski-Museums - im originalgetreu restaurierten Wohnhaus von Sulejowek. In Sulejowek, unweit von Warschau, sollen ab Mai nächsten Jahres die persönliche Habe Pilsudskis, Dokumente und seine umfangreiche Privatbibliothek zu besichtigen sein. Einstweilen zeigt man eine Pilotausstellung mit Kanone, Säbel, Uniform und anderen Devotionalien.

    Jozef Pilsudski gilt vielen Polen als überragende Gestalt der jüngeren polnischen Geschichte. In politischen und militärischen Kämpfen errang er die Unabhängigkeit Polens - nach eineinhalb Jahrhunderten deutscher, österreichischer und russischer Fremdherrschaft. Am 11. November 1918 gründete er die zweite polnische Republik. Im polnisch-sowjetischen Krieg von 1920 schlug er mit seinen Truppen die scheinbar übermächtige Sowjetarmee bei Warschau in die Flucht. Von 1926 bis zu seinem Tod 1935 regierte er Polen praktisch mit diktatorischer Vollmacht. Pilsudski, von Hause aus Sozialist, war ein autoritärer Staatsführer, zweifelsohne kein Demokrat, aber auch kein überschäumender Nationalist, kein Antisemit wie seine Gegner auf der Rechten und kein Freund der katholischen Kirche. Im kommunistischen Nachkriegspolen wurde er zur Unperson. Der Politikwissenschaftler Klaus Ziemer ist Leiter des Deutschen Historischen Instituts in Warschau. Ziemer beschreibt die Gegensätze in der offiziellen Bewertung Pilsudskis so:

    Der Pilsudski-Kult der dreißiger Jahre, vor allem aber nach seinem Tode, der ist nach dem Krieg einer offiziellen Verdammung gewichen. Es wurden nicht die Verdienste gesehen, die Pilsudski zweifellos auch hat, bei der Wiedergründung Polens, Wiedererlangung der Unabhängigkeit 1918, sondern es wurde nur negativ gezeichnet die fatale Lage, in der sich Polen 1939 befand, als Ergebnis der Politik Pilsudskis und seiner Nachfolger.

    Doch spätestens seit den achtziger Jahren spielte Pilsudski wieder eine Rolle, wenigstens für Teile der Solidarnosc-Opposition. Gedenktafeln, Büsten und Plaketten konnten zwar nicht offen gezeigt werden. Doch schmückten sie viele private Wohnungen - und auch den Nebenraum mancher katholischen Kirche. Seit der Wende wurden alte Pilsudski-Denkmäler auf öffentlichen Plätzen wiederaufgestellt. Und neue kamen hinzu. Dafür war nicht zuletzt Lech Walesa, der vormalige Solidarnosc-Führer und spätere Staatspräsident, verantwortlich.

    Der prominenteste Pilsudski-Fan der neunziger Jahre war Staatspräsident Walesa. Er hat Pilsudski zum Vorbild genommen. Und Walesa ist ja selbst nicht frei von autoritären Zügen. Er ging sogar soweit, dass er eine politische Gruppierung hat gründen lassen, BBWR wie die Partei, die Pilsudski als politische Unterstützung für seine Politik in den zwanziger Jahren hat gründen lassen.

    Den Gründern des Jozef-Pilsudski-Museums in Sulejowek geht es indes vor allem darum, die privaten Gegenstände Pilsudskis für das polnische Publikum zugänglich zu machen. Dafür will man das Landhaus nutzen, das der Staatsgründer zu Beginn des zwanziger Jahre für sich und seine Familie errichten ließ und das im kommunistischen Nachkriegspolen vom Staat in Beschlag genommen worden war. Viele Exponate stammen aus dem Londoner Pilsudski-Institut, einer Einrichtung des polnischen Exils nach dem zweiten Weltkrieg. Von einer neuerlichen politischen Vereinnahmung will man in der Jozef-Pilsudski-Familienstiftung allerdings nichts wissen, wie Jerzy Pawlowski betont.

    Es gibt natürlich politische Strömungen, die sich seiner bedienen, ohne dass sie eigentlich mit ihm übereinstimmen. Ich würde gern verhindern, dass die Popularität des Marschalls für derartige politische Zwecke ausgenutzt wird.