Samstag, 20. April 2024

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NATO-Militäreinsatz gegen Serben notfalls auch ohne UNO-Mandat

Sprecher: Der Westen zeigt sich bereit, die Waffen sprechen zu lassen. Die USA haben den jugoslawischen Präsidenten Milosevic noch einmal aufgefordert, sich den Forderungen von UNO und NATO zur Beilegung der Kosovo-Krise rasch zu fügen. Andernfalls, so Verteidigungsminister William Cohen, riskiere die Führung in Belgrad, daß ein Ultimatum verhängt werde, und an dessen Ablauf stehe dann ein Militärschlag. Am Rande der NATO-Tagung in Portugal hatte mein Kollege Rolf Clement die Gelegenheit zu einem Gespräch mit Bundesverteidigungsminister Volker Rühe und fragte zunächst nach dessen Bewertung der gestrigen Beschlüsse von Wilamora.

25.09.1998
    Rühe: Die Lage hat sich so zugespitzt, daß wir nicht von Resolution zu Resolution gehen können, von Sitzung zu Sitzung reden, während dessen die anderen militärisch dort handeln, und deswegen der heutige Beschluß. Das ist der Abschluß der militärischen Planung. Wir werden einen formellen Kabinettsbeschluß herbeiführen in der nächsten Woche über die Beteiligung deutscher Streitkräfte. Das werden 14 Tornado-Flugzeuge sein. Gleichzeitig kommt es darauf an, jetzt sehr schnell die Bedingungen zu formulieren, die erreicht werden müssen. Das allerwichtigste ist das Schweigen der Waffen, aber auch Beginn des politischen Prozesses, Hilfe für die Flüchtlinge. Wenn das nicht erfüllt wird, dann ist die NATO in der Notwendigkeit, auch militärisch zu handeln.

    Clement: Gibt es jetzt einen Automatismus nach diesem Beschluß? Gibt es noch ein Zurück für die NATO von diesem Verfahren, was Sie gerade beschrieben haben?

    Rühe: Es gibt ja immer die Möglichkeit, daß irgend Jemand auch in Belgrad begreift, daß es ernst gemeint ist. Das wäre natürlich die beste Lösung. Es gibt keinen Automatismus, aber es gibt auch nicht den Weg zurück in dem Sinne, daß wir sagen, wenn die militärisch weiterhin dort gegen ihre eigene Bevölkerung vorgehen, daß wir das dann tolerieren und hinnehmen. Das gibt es nicht.

    Clement: Woher nehmen Sie Ihre Hoffnungen aus den bisherigen Erfahrungen mit Herrn Milosevic, daß er diesmal begreift, worum es geht?

    Rühe: Ich habe nicht gesagt, daß ich die Hoffnung habe, aber vielleicht schaut er ja doch genauer hin und schaut sich an, dies ist nicht irgendeine Organisation, sondern wir sind entschlossen, die Glaubwürdigkeit und die Handlungsfähigkeit der NATO, übrigens auch der Europäer und Amerikaner, gemeinsam zu wahren.

    Clement: Nun wird ja zunächst immer von Milosevic geredet. An ihn werden die Appelle gerichtet. Die UCK ist auch einer der Mitspieler, auch auf dem Schlachtfeld. Gibt es Möglichkeiten, dort Einfluß zu nehmen?

    Rühe: Ja, natürlich. Das gehört auch mit dazu, die Zurückhaltung der UCK, die Aufforderung, daß sie eine gemeinsame politisch-militärische Vertretung schafft. Ich bin aber gegen jede Äquidistanz. Im Augenblick haben wir es damit zu tun, daß Tag für Tag Dörfer mit Artillerie und Panzern beschossen werden durch die Regierung des eigenen Landes und viele Zivilisten ums Leben kommen, sich in die Wälder flüchten. Das muß jetzt gestoppt werden. Daß wir darüber hinaus die Zurückhaltung von der UCK einfordern werden, das war auch immer unsere Linie.

    Clement: Es gab in Deutschland eine Diskussion darüber, wie schnell das gehen kann. Sie haben gesagt, drei bis fünf Wochen. Da wurde schon von seiten Ihres Kabinettskollegen Kinkel gesagt, ob das so schnell gehen würde sei nicht klar. Gibt es darüber Diskussionen zwischen Ihnen und Herrn Kinkel?

    Rühe: Weder Herr Kinkel noch ich entscheidet das; der Winter entscheidet das. Es ist nicht in die Willkür von Politikern gestellt. Ich muß sagen, nachdem ich hier mit den Kollegen gesprochen habe, war ich eher noch zu vorsichtig in der Äußerung statt zu weitgehend. Das heißt, es muß in den nächsten zwei Wochen etwas Entscheidendes passieren.

    Clement: Etwas Entscheidendes ist schon der Eingriff oder erst das Ultimatum?

    Rühe: Nein, das Ultimatum.

    Clement: Und wie lange hat man dann unter Umständen noch Zeit?

    Rühe: Gut, das muß man sehen. Das ist ja die Frage der Formulierung dann.

    Clement: Für das Eingreifen brauchen Sie ja ein Votum des Deutschen Bundestages. Sie haben mit der Opposition gestern schon gesprochen. Wie ist Ihr Eindruck? Bekommen Sie dafür eine große Mehrheit zustande?

    Rühe: Ich habe keinen Zweifel, daß wir eine große Mehrheit im Deutschen Bundestag bekommen. Wichtig ist ja jetzt auch Kontinuität der Handlungsfähigkeit der Bundesregierung, auch wenn es Wahlen am Sonntag gibt. Ich habe Herrn Scharping sehr genau informiert. Er hat deutlich gemacht, daß er keine großen Unterschiede zwischen uns sieht. Ich werde ihn auch in den nächsten Tagen weiter informieren, aber ich habe auch Herrn Fischer informiert, obwohl ich weiß, daß die GRÜNEN hier doch fundamental andere Positionen haben. An einem solchen Beispiel wird aber auch klar, wenn wir einer solchen Politik folgen würden, würde sich Deutschland isolieren und es wären zehn Tausende von Menschen in der Gefahr, ums Leben zu kommen. Also mir liegt daran, die Opposition zu informieren und wo immer das geht sie auch zur Unterstützung zu gewinnen.

    Clement: Der UNO-Sicherheitsrat hat auch eine Resolution gefaßt, von der Sie hier in Vilamora gesagt haben, daß sie, wenn man ein UNO-Mandat erfordert, nicht ausreicht. Unter welchen Kriterien meinen Sie, daß man ohne UNO-Mandat eingreifen kann?

    Rühe: Wenn eine schlimme Katastrophe unmittelbar bevorsteht, dann können wir uns ja nicht zu Zuschauern degradieren lassen. Der amerikanische Kollege hat ganz eindeutig gesagt, es sei wünschenswert, aber nicht notwendig, ein solches Mandat, und man könne auf der Grundlage von Artikel 51 der UN-Charta handeln.

    Clement: Und dies ist mittlerweile auch Konsens in der Bundesregierung?

    Rühe: Der Bundeskanzler hat sich ja in den letzten Tagen auch klar geäußert, daß eine Situation entstehen kann, wo man abweichen muß von der Haltung. Ich habe immer gesagt, das wäre ein Königsweg, das wäre das Wünschbare. Aber wenn wir dann zu bloßen Zuschauern von Krieg und Massakern werden, dann müssen wir auch bereit sein, auf einer allgemein rechtlichen Grundlage, zum Beispiel Artikel 51, zu handeln.

    Sprecher: Bundesverteidigungsminister Volker Rühe, CDU, antwortete auf Fragen von Rolf Clement.