Dienstag, 23. April 2024

Archiv


"Natürlich lesen Richter die Berichte über die Prozesse"

Die Verteidigung hält heute ihre Plädoyers im Prozess gegen den Wettermoderator Jörg Kachelmann. Die Medien hätten in einer selten da gewesenen Weise vor einem Urteil Partei bezogen, hat Rechtsanwalt Martin Huff beobachtet.

Martin W. Huff im Gepräch Peter Kapern | 24.05.2011
    Peter Kapern: Heute geht der Prozess gegen Jörg Kachelmann in die vorletzte Runde. Die Verteidigung wird ihre Plädoyers halten. Ende des Monats wird dann das Urteil erwartet in einem der spektakulärsten Prozesse der letzten Jahre. Dem prominenten Wettermoderator wird Vergewaltigung vorgeworfen. Was diesen Prozess aber so spektakulär gemacht hat, das war vor allem die Art und Weise, in der die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung die Medien für ihre Zwecke zu instrumentalisieren versucht haben.
    Mitgehört hat Martin W. Huff, Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer in Köln, Lehrbeauftragter hier an der Fachhochschule und früher Mitarbeiter bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Guten Morgen, Herr Huff.

    Martin W. Huff: Guten Morgen!

    Kapern: Wird es in diesem Prozess nach diesem Vorspiel – und wir haben das ja gerade noch mal in der Zusammenfassung gehört – überhaupt noch ein faires Urteil geben können?

    Huff: Also ich hoffe sehr, dass die Richter sich von diesen Äußerungen beider Seiten freimachen können. Es ist in diesem Prozess – übrigens für mich zum zweiten Mal in rund 20 Jahren – eine massive Beeinflussung von beiden Seiten geschehen. Es wurde versucht, beide Seiten durch Informationen zu beeinflussen, und selten haben die Medien – und Herr Brand hat das in seinem Beitrag eben angesprochen – so Partei genommen, wie dies im Fall Kachelmann geschah, allerdings nicht zum ersten Mal, denn im Fall der getöteten Kinder von Monika Böttcher-Weimar vor gut 15 Jahren haben wir genau das Gleiche schon einmal erlebt. Wir haben erlebt, wie Medien plötzlich unter guter oder auch nicht guter Kenntnis von Akten vor einem Urteil Partei bezogen haben.

    Kapern: Sie sagen, Sie hoffen, dass sich die Richter freimachen können von diesem öffentlichen Meinungsdruck. Ist das denn mehr als eine fromme Hoffnung, denn der Medienwissenschaftler Hans Mathias Kepplinger beispielsweise sagt, man könne durch empirische Studien belegen, dass öffentliche Meinung Urteile beeinflusst.

    Huff: Ja. Ich kenne die Studien von Professor Kepplinger aus Mainz, die aber auf einer relativ schmalen, wie ich finde, Datenbasis zustande gekommen sind. Allerdings muss man eines sagen: Natürlich lesen Richter die Berichte über die Prozesse. Sie kennen aber mehr. Sie kennen die Akten, sie waren im Saal und sie müssen sich ein Urteil bilden. Und ich glaube schon, dass die Frage, ob Herr Kachelmann nun seine Freundin vergewaltigt hat oder nicht, oder ob es eine sexuelle Nötigung war, dass das eine Frage ist, die das Gericht, denn es geht ja auf jeden Fall in die Revision, sehr ordentlich begründen wird, und ich glaube, dass Richter schon abstrahieren können von dem, was in den Medien steht, und von dem, was sie aus dem Prozess wissen. Dass es natürlich im Ergebnis zu einer Schlussfolgerung führen kann, dass man eventuell die Medienpräsenz, dass man eventuell das durch die Medien ziehen strafmildernd berücksichtigt, das ist heutzutage nicht mehr ausgeschlossen, wobei man sagen muss, auch Herr Kachelmann hat ja ganz gezielte Öffentlichkeitsarbeit in ganz erheblichem Umfang betrieben.

    Kapern: Also wenn ich das richtig zusammenfasse, dann sagen Sie, dass die massive Öffentlichkeitsarbeit von Verteidigung und Staatsanwaltschaft im Wesentlichen schadlos bleiben wird. Ist es gleichwohl gut, wenn wir eine solche Entwicklung beobachten?

    Huff: Also, ich glaube, man muss die beiden Seiten jetzt voneinander trennen. Wenn wir uns die Seite der Staatsanwaltschaft angucken, dann wundert man sich manchmal schon, wie weit Staatsanwaltschaften gehen. Sie müssen natürlich Auskunft erteilen, sie dürfen und müssen die Anklage in der Öffentlichkeit mitteilen, wenn sie denn nun erhoben wird, und in diesem Zeitpunkt ist ja die Staatsanwaltschaft der Auffassung, dass sie einen Angeklagten verurteilen, dass das Gericht den Angeklagten verurteilen wird, und es muss dann allerdings die Staatsanwaltschaft sehr vorsichtig sein mit dem, was im Ermittlungsverfahren an Informationen herausgegeben wird.
    Diese Bindungen hat die Verteidigung natürlich nicht. Die Verteidigung darf, muss abwägen, ob es gut ist, wenn sie mit Medien zusammenarbeiten, um ein bestimmtes Stimmungsbild für den Angeklagten zu erzeugen. Hier wird ja nicht nur der Strafverteidiger mittlerweile aktiv, sondern es gab ja bei Herrn Kachelmann auch einen sogenannten "Medienanwalt", der hier tätig war, ein Spannungsverhältnis übrigens, das immer stärker wird, zwischen Verteidigern und Juristen, die das begleiten. Das ist eine schwierige Entscheidung, die der Verteidiger auch mit seinem Mandanten besprechen muss, wie weit er in die Öffentlichkeit geht.

    Kapern: Also die Verteidiger dürfen das, die Staatsanwälte sollten es nicht. Warum ist das so? Wie begründen Sie diese Differenzierung? Sollten die beiden nicht sozusagen mit gleichen Waffen dann antreten?

    Huff: Nein. Meines Erachtens ist die Staatsanwaltschaft Teil der Anklagebehörde, sie ist Anklagebehörde und auch aus Persönlichkeitsschutzgründen darf sie mitteilen spektakuläre Ermittlungsschritte.
    Ich mache das mal fest. Da ist jemand verhaftet worden wie Herr Kachelmann, ja sehr leise und ohne großes Aufsehen. Er hat dann selber in einer Pressemitteilung seines früheren Unternehmens bestätigt, dass er verhaftet worden ist wegen des Verdachts der Vergewaltigung und dass er unschuldig ist. Diese Tatsachen darf die Staatsanwaltschaft mitteilen. Sie darf zum Beispiel auch mitteilen, wenn sie große Durchsuchungen gemacht hat und sie gefragt wird. Ermittlungsergebnisse, Ermittlungsschritte, dort muss die Staatsanwaltschaft sehr zurückhaltend sein, weil es sind Vermutungen, es sind Punkte in einem Ermittlungsstrang. - Der nächste Schritt ist dann die Mitteilung über die Anklage, und da darf die Staatsanwaltschaft einiges tun.
    Der Angeklagte hat viel mehr Freiheit. Er muss sich verteidigen, er darf sich verteidigen. Der Angeklagte darf in unserem System ja auch lügen, er darf die Unwahrheit sagen. Insofern ist diese Waffenungleichheit, die manche Staatsanwälte stört, aber in unserem System nach meiner Überzeugung angelegt.

    Kapern: Martin W. Huff war das, der Geschäftsführer der Rechtsanwaltskammer in Köln. Ich bedanke mich für das Gespräch und sage auf Wiederhören.

    Huff: Auf Wiederhören.

    Hintergrund: Der Fall Kachelmann und die Medien

    "Spiegel"-Gerichtsreporterin Friedrichsen über den Fall Kachelmann und das heutige Plädoyer der Staatsanwaltschaft

    Gerichtsreporterin Friedrichsen: Beschuldigter Kachelmann bedient sich der Medien