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Natürlich wild

Fünf deutschen Buchenwäldern tragen das Siegel "Weltnaturerbe", darunter auch der Nationalpark Kellerwald-Edersee in Nordhessen. Dicht an dicht stehen hier die alten Buchen an den steilen Hängen des 68 Kilometer langen Urwaldsteigs.

Von Thielko Grieß | 11.09.2011
    Mitten drin im Nationalpark Kellerwald-Edersee. Es ist Mittagszeit, die Sonne blinzelt zwischen den Bäumen hervor, die Luft ist ruhig – hier und da zwitschert ein Vogel. Hier ist Torsten Daume an seinem Arbeitsplatz, er ist Nationalparkranger. Auf seinem kakifarbenem Hemd prangt ein Wappen mit einer stilisierten Eule, er trägt eine dunkle Hose und robuste Schuhe. Der 40-Jährige ist im Park unterwegs, um nach dem Rechten zu sehen. "Flächenranging" heißt das. Daume deutet nach rechts. Zwischen Bäumen und Büschen führt ein schmaler Gang hindurch; dahinter liegt ein Waldweg.

    "Ja, das ist ein Teil vom Urwaldsteig Edersee. Hier ist es wirklich urig, also hier auf 800 Metern ist auch nachgewiesen, dass seit jeher keine Forstnutzung stattgefunden hat. Und dadurch sieht man auch viele Urwaldrelikte, auf dem Weg von 800 Metern."

    Der gesamte Urwaldsteig ist 68 Kilometer lang. Daume steht hier vor einem Teilstück, das durch den Nationalpark führt, an steilen Hängen und urigen Buchen entlang. Unter ihren ausladenden Kronen ist das Licht matt gedämpft, die Luft angenehm kühl. Kaum ein Geräusch stört die Ruhe.

    Der Ranger geht den Weg entlang. Draußen zu sein, im Wald zu arbeiten, das sei seine Sache. Lange Jahre hat Daume im Forst gearbeitet. Wie sein Bruder und sein Vater auch. Dass er sich aber einmal als Ranger bezeichnen und ganz ohne Motorsäge in einem Wald unterwegs sein würde – das hätte er noch vor wenigen Jahren nicht gedacht. Daumes Schritte werden langsamer. Ein quer liegender Baum versperrt den Weg.

    "Das ist jetzt Totholz, das jetzt eine Höhe ist von einem Meter. Ja gut, unten drunter krabbeln würde ich jetzt nicht. Aber ich würde halt jetzt da drüber steigen. Das werden wir packen!"

    "Das ist im Prinzip das Prädikat des Urwaldsteigs. Und es soll alles urig hier aussehen und es alles, sofern es keine Gefahr irgendwo darstellt, auch so bleiben, sodass man auch direkten Kontakt mit der Natur hat."

    Natur, Urwald, Wildnis – die gibt es im Nationalpark, jedenfalls in Ansätzen. Weil die Fürsten von Waldeck und Pyrmont in dem nordhessischen Waldrevier gerne jagten, hatten auf weiten Flächen Förster oder Waldarbeiter kaum etwas zu sagen. Deshalb sind hier viele der Bäume 160 Jahre oder älter. Die Entscheidungen von früher haben dazu geführt, dass sich der Buchenwald so prächtig entwickeln konnte. Südlich des Edersees ist heutzutage ein großes Gebiet als Naturschutzgebiet ausgewiesen, ein Teil davon, rund 5.700 Hektar, genießt als Nationalpark besonderen Schutz. Damit ist er einer der kleineren in Deutschland. Etwa ein Viertel der Parkfläche, in dem besonders viele alte Buchen wachsen, ist seit Kurzem Unesco-Weltnaturerbe. Dieser Teil, sagt Daume, wird gänzlich in Ruhe gelassen. Keine Eingriffe mehr, getreu dem Motto "Natur Natur sein lassen".

    "Das wächst halt immer mehr zu dann auch, Bäume, die jetzt umfallen, da entsteht ein Lichtkegel, und dadurch ziehen dann andere Bäume, die drumrum stehen, in den Lichtkegel rein ... "

    Wenn die Bäume alt werden und umknicken, dann wird ihr Holz nicht zerkleinert. Jedenfalls nicht von Menschenhand, sondern von Insekten.

    "Im Totholz tobt das Leben!"

    Torsten Daume biegt vom Weg ab, geht zu einem Lichtkegel. Dort liegt eine vermodernde Fichte, die vor vier Jahren ein Sturm abknickte. Der Ranger kniet sich auf die herumliegenden braunen Blätter und gräbt mit der Hand im lockeren Boden.

    "Also was ein sehr seltener Käfer ist, ist der Eremit. Also, die würden wir auf jeden Fall erkennen, weil das auch Indikatortiere sind für einen alten Buchenbestand, oder eben einen alten Wald."

    An dieser Stelle krabbeln allerdings nur wenige Käfer im Erdreich. Das Holz liegt noch nicht lange genug.

    "Das dauert schon seine zehn bis 15 Jahre, bis das Fortschreiten der Vermoderung erstmal so richtig in Gang ist."

    Auch wenn es den Nationalpark selbst erst seit sieben Jahren gibt, hat die Zeit doch gereicht, um manch einem seltenen Tier wieder eine Heimat zu geben, zum Beispiel der Wildkatze. Weil sie so scheu ist, sehen auch die Ranger sie nur sehr selten in freier Wildbahn. Da, sagt Daume. Das Stück Holz!

    "Also, das ist eigentlich eine Dachlatte. Sie guckt jetzt 30 Zentimeter aus'm Boden raus und die Ecken sind ein bisschen eingekerbt. Davon gibt's jetzt 90 Pfähle hier im Nationalpark. Und die werden im Abstand von zwei Wochen mit Baldrian getränkt. Und das funktioniert sehr gut bei den Wildkatzen. Das ist ein Lockstoff, in der Hoffnung, die Wildkatze kommt hier her und reibt sich an dem Pflock und hinterlässt uns ein paar Haare."

    Die Haare werden im Labor auf ihre Gene untersucht. Ergebnis für das laufende Jahr ist, dass im Park ungefähr zehn Wildkatzen leben. Dass sich die Tiere gerade im Buchenwald wohlfühlen, ist kein Zufall. Denn wie Hauskatzen jagen auch Wildkatzen gerne Mäuse.

    "Mäuse kommen sehr häufig, oder oft im Buchenwald vor, Buchen geben natürlich auch die Nahrung für die Mäuse, das heißt Bucheckern. Wo's viele Mäuse gibt, gibt's natürlich auch sehr viele Katzen."

    Der Wald, seine Pflanzen und Tiere, sollen sich entwickeln, oder besser: zurückentwickeln, in einen Zustand, wie es ihn vor Jahrhunderten zuletzt gab. Das aber wird viele Generationen dauern, insofern ist der Urwaldsteig eben noch längst kein Urwald, wie er im Buche steht, sondern die Wildnis von morgen. Die Bedingungen für die Zukunft sind gut: Im Norden grenzt ein Stausee an den Park an, der Edersee. Die Region ist dünn besiedelt, fast ohne Industrie. Auch deshalb fühlen sich seltene Tierarten hier wohl – neben der Wildkatze etwa der Rotmilan oder der Alpenstrudelwurm, der im sauberen Wasser vieler Bäche lebt. Größere Orte gibt es südwestlich von Kassel kaum; Bad Wildungen, der bekannte Kurort, ist die Ausnahme. Der Boden ist karg, weshalb die Menschen, die hier leben, als ihre Lebensgrundlage traditionell auch den Wald betrachten.

    "Nationalpark? Das brauchen wir nicht. Wir haben Angst davor. Leute, die jetzt im Forst arbeiten, die verlieren doch ihre Arbeit. Was sollen die denn dann machen?"

    Andreas Schöneweiß, 48 Jahre alt, kannte den Wald wie seine Westentasche. Das war früher, als auch er vom Geschäft mit Holz lebte. Schöneweiß stammt aus Harbshausen, einem Dorf, das gerade wenige Hundert Meter entfernt in seinem Rücken liegt. Vor ihm: der Waldrand. Die Bäume zu nutzen, wie sie es immer hier getan hatten, das wollte er nicht aufgeben, erzählt er. Seit dem Ende der 80er-Jahre haben die Menschen in den Dörfern ringsherum erlebt, wie aus Wiesbaden, der hessischen Landeshauptstadt, immer neue Vorstöße kamen, mit denen die Politik im Staatsforst Kellerwald einen Nationalpark ins Leben rufen wollte. Aber gleich mehrere Landesregierungen unterschiedlicher Couleur und Naturschützer bissen sich am Widerstand der Menschen der Region die Zähne aus.

    "So haben wir in Versammlungen dann schon heftig emotionsgeladen haben wir gegeneinandergestanden und haben dann so richtig herzhaft gestritten. Ich habe dann auch mal gesagt, ihr grünen Spinner, ihr mit eurem blöden Nationalpark, wir stehen dann da und haben nichts mehr zu tun. Das wollen wir einfach nicht. Das war ein richtiger Kampf um den Nationalpark."

    Die Stirn von Andreas Schöneweiß ist zerfurcht, seine Gestik energisch. Still und schweigend liegt der Nationalpark vor ihm in einer dicht bewaldeten Senke, in der Buchen ein dichtes Dach bilden. Auf der Anhöhe ist es nahezu windstill, die Sonne schafft es nur sehr selten, einige Strahlen an den Wolken vorbei zu schicken.

    "Es gab Ängste, also einmal die Einschränkung der Bewirtschaftung des Waldes und Einschränkungen vielleicht im Umfeld, dass wir unsere landwirtschaftlichen Flächen nicht mehr so bewirtschaften dürfen, wie wir das gewöhnt sind."

    Naturschützer aber entgegneten: Wenn die Äcker und Wälder nicht mehr wie gewohnt behandelt werden, wenn der Umgang mit ihnen sanfter wird, dann ist es gut so.

    In Hemfurth, einem anderen Dorf am Edersee, biegt Georg Schutte von der Hauptstraße in einen schmalen Weg ein. Seine Frau sitzt neben ihm. Nach wenigen Metern passieren sie mit einem in die Jahre gekommenen Transporter ein großes Tor aus braunem Holz. "Herzlich willkommen im Nationalpark" ist darauf zu lesen. Die Schuttes sind zwei von wenigen, die hinter dem Tor auch mit dem Wagen weiter fahren dürfen. Sie ist gelernte Pädagogin, er ist diplomierter Biologe. Schutte fährt um einige Kurven, es geht bergauf und parkt das Auto neben einer Wiese.

    "Pandas Papa, der Tiger, Pandas Opa, der Pfeil, und Pandas Großneffe, der Leon, hinkt ein bisschen, das ist Pfeils Bruder, das ist unsere Belegschaft."

    Die Hunde springen aus dem Auto und laufen auf die Wiese. Es sind vier Mischlinge, ein bisschen Labrador, Border Collie, ein wenig Schäferhund.

    "Jetzt macht mal langsam jetzt, Hunde zu mir (pfeift). Hier her!"

    Schutte ruft sie zusammen. Wenige Meter entfernt steht auf der Wiese ein Zaun aus Draht und Kunststoff. Eingezäunt dösen und grasen rund 70 Schafe. Die meisten haben sich in den Schatten einiger Bäume verzogen.

    "Das sind alles Heidschnucken, und das ist vor allem die grau gehörnte Heidschnucke, es gibt aber auch die weiße Heidschnucke ... "

    Entweder Georg Schutte oder seine Frau Julia, mindestens einer von beiden kommt täglich zur Herde; diese hier ist nur eine von Vieren. Alle 24 Stunden versetzen sie den Zaun um einige Meter, damit die Schnucken neue Fläche zum Grasen haben.

    "So, Tiger, hole sie mir mal. Hopp, und hau rein. Komm, hol sie. ... Laaangsam, Tiger langsam, Mädels Kommet! ... Ja, das ist unser Noah, der mit dem Glöckchen, der Bock, mitten in der Mitte drin. So mach mal Platz hinten, Platz! Voilà ... gut! Und noch mal: Platz! Tiger, mach mal Platz."

    Die Hunde gehorchen auf's Wort und kreisen die Herde ein, die sich auf engem Raum drängt. Während die Schuttes den Zaun umsetzen, soll keines der Schafe entkommen. Es scheint wie ein Widerspruch: Mitten im Nationalpark, in dem die Natur sich selbst überlassen sein soll, grasen Schafe einige Flächen unermüdlich wieder frei.

    "Wir machen Kulturlandschaftsschutz, und die Natur, der Weißdorn, die Schlehe ... das Bestreben ist hier zuzuwachsen. Jetzt kommt die Brombeere ... Und da machen wir halt auf besonders wertvollen Flächen, wo auch noch seltene Falter rumfliegen, also hochbedrohte Arten, hat man doch beschlossen, selbst wo das Motto 'Natur Natur sein lassen' hier im Nationalpark ist, zu sagen: Die paar Ecken halten wir offen."

    Diese Ecken heißen Triesch, sie gehen auf Besiedlung im Mittelalter zurück. Hier lebten einst Menschen, die sich kleine Lichtungen freischlugen. Ringsherum steht, damals wie heute, der Buchenwald. Der dünne Erdboden, auf dem die Herde steht, erlaubt wenig mehr als Magerrasen. Damit kommen viele Schafrassen nicht zurecht – die Heidschnucke aber schon.

    "Das ist eine sehr ursprüngliche Rasse einfach, die hartnäckig sind, wetterfest, einfach gern draußen sind"

    , sagt Schutte und beginnt, einige Stäbe des Zauns aus der Erde zu ziehen. Währenddessen schweifen seine Augen unablässig nach links und rechts, um Herde und Hunde im Auge zu behalten.

    "Unser Leon ist auch schon neun, war aber nie so der begnadete Hütehund. Ist aber unser Professor, versteht alles. In Theorie sehr gut, in Praxis nicht so. Komm' mal her! Aber ein lieber Kerl ist er."

    Jeden Tag arbeitet der 48-Jährige unter freiem Himmel. An manchen Tagen weit mehr als zwölf Stunden am Stück. Seit gut einem Jahrzehnt hat er die Schafe, und die Arbeit ist ihm anzusehen. Die hellen Locken, die unter seinem Lederhut auf die Schultern fallen, sind von der Sonne gebleicht, sein Gesicht wettergegerbt. Schäfer darf er sich nicht nennen, weil er den Beruf nicht gelernt hat.

    Schuttes vier Herden zählen mehr als 400 Tiere, doch auf ihnen eine Existenz zu gründen, sei nicht so leicht, sagt er. Denn viel Fleisch, Felle und Wolle falle bei Heidschnucken nicht ab.

    "So vom wirtschaftlichen Standort, wenn ich gewusst hätte, dass ich jetzt nach neun Jahren so weit bin, tja, ich hätt's wesentlich optimistischer eingeschätzt, bin aber heute auch glücklich. Hätt' schon gedacht, dass, wenn wir mit so vielen Herden gehen, dass ich mir nach neun Jahren doch mal eine Woche Urlaub gönnen könnte."

    Schutte unterbricht seine Arbeit am Zaun und dreht sich eine Zigarette. Aufhören? Nein, das könne er nicht, sagt er, und deutet auf eine Heidenelke neben seinem Fuß. Die gelbe Blume gab es hier früher nur noch selten. Inzwischen blüht sie wieder häufiger, dank des Nationalparks und seiner Beweidung an manchen Stellen.

    "Der Antrieb ist für mich Naturschutz, weil ich an den Pflänzchen häng'! Weil ich weiß, wie wichtig es ist, einfach das Artensterben irgendwie zumindest anfangen abzubremsen. Nicht nur einen Button dran, wir sind jetzt Weltnaturerbe. Das ist toll, dass wir Weltnaturerbe sind, aber es gibt keinen Grund, sich auf irgendwelchen Lorbeeren auszuruhen!"

    Die Hunde springen wieder in das Auto, und das Ehepaar Schutte fährt zur nächsten Herde, die darauf wartet, dass ihr Zaun umgesetzt wird.

    Menschen wie sie mussten ihren Frieden mit dem Nationalpark nicht erst machen. Wohl aber der Harbshäuser Andreas Schöneweiß. Er, der genauso alt ist wie Schafhalter Schutte, focht seinen Kampf gegen den Park, weil er mit ihm seine Lebensgrundlage in Gefahr sah.

    "Anders gesagt: Alternativlose Geschichte, das ist immer schlecht. Wenn ich irgendwas verändern will, oder wenn jemand was vorhat, dann muss man den Menschen, die bis dahin sich damit auseinandergesetzt haben, denen muss eine Alternative geboten werden, dass sie erkennen können: 'Jawoll, das kann für uns ne Chance bedeuten. Dann ist das Ganze viel einfacher."

    Vor Jahren, als noch heiß gestritten wurde, setzte er sich eines Tages ins Auto und fuhr in den Bayerischen Wald – auch ein Nationalpark, gegen den es vor dessen Gründung heftigen Widerstand gab. Hat er sich für die Menschen dort letztlich ausgezahlt?

    "Ich hab mir ja nichts anderes angeguckt bis dahin. Und dann bin ich eben woanders hingefahren und habe mir angeguckt, wie das dort läuft – und habe gesehen: Das ist eine Chance für uns. Das ist ja auch nicht so einfach, wenn die Nachbarn sagen: Umfaller, du hattest doch eine ganz andere Meinung! Aber ich habe mir dann auch meine Meinung gebildet, ich war vielleicht auch von anderen ein bisschen gelenkt."

    Die damalige hessische Landesregierung von Ministerpräsident Roland Koch machte 2004 letztlich ernst – obwohl der CDU-Politiker noch vor der Wahl versprochen hatte, die Parkpläne keinesfalls weiter zu verfolgen. Nach etwa anderthalb Jahrzehnten der Diskussion schwand rund um den Edersee der Widerstand; und die Menschen begannen, sich auf die neuen Begebenheiten einzustellen. Forstarbeiter schulten um, aus ihnen wurden Ranger. So wie Torsten Daume, sein Bruder und sein Vater.

    "Wir haben Blockunterricht gemacht über anderthalb Jahre, Landschafts- und Naturpfleger. Es ist ein stetiges Lernen oder halt dazulernen..."

    Wie sie lebt auch Andreas Schöneweiß inzwischen vom Nationalpark, zumindest teilweise. Er hat den Tourismus für sich entdeckt. Auf einem großen Grundstück im Dorf Harbshausen, auf dem seine Eltern früher Landwirtschaft betrieben, war Platz für Ferienhäuser. Seine Gäste kommen wegen des Edersees und, immer häufiger, wegen des Parks. Auch deshalb hat Schöneweiß den geschützten Wald Schritt für Schritt schätzen gelernt – auch wenn es in ihm von Jahr zu Jahr mehr aussieht wie Kraut und Rüben. Nun zieht er den Reißverschluss an seiner schwarzen Outdoorjacke hoch. Der Weg in den Wald hinein ist matschig vom Regen der vergangenen Tage.

    "Die Unordnung, die wir hier sehen, das macht uns Angst. Wir wollen unser Leben geordnet haben. Unser Umfeld, das muss auch geordnet sein. Damit erstmal klarzukommen, dass man sagt 'Mensch, wir lassen es jetzt wirklich so, wie es ist', das ist, glaube ich, der schwierige Punkt, was die Umsetzung des Nationalparks angeht."

    Auch der 48-Jährige hat sich fortgebildet. Inzwischen ist er ehrenamtlicher Nationalparkführer und zeigt Wandergruppen oder Schulklassen, wie er betont, "unser" Weltnaturerbe. Wer sich ihm anschließt, kann lernen, der Fantasie freien Lauf zu lassen.

    "Manchmal ist das ja, wenn man einen uralten Baum umarmt, und hört einfach mal, das können wir ja mal machen, jeder sucht sich einen Baum aus und lauscht, umarmt den Baum und lauscht, was er zu erzählen hat. Wer ist hier vorbeigekommen in den vergangenen Jahren? Baum, wie alt bist du? Wer hat dich besucht in deiner Jugend?"

    Beim Weitergehen sagt der Harbshäuser mit dem grau melierten Dreitagebart von sich selbst: Seit es den Nationalpark gibt, hat er vor allem viel über sich selbst gelernt. Vor einer schief gewachsenen Buche, die sich am Rande des Weges auf steinigem Untergrund in die Höhe reckt, hält er inne.

    "Wir sehen hier wunderschön, unser Urgestein, und wie sich der Baum mit dem Urgestein verkrallt, mit den Wurzeln. So sind wir Menschen hier auch. Der Standort ist nicht einfach, aber wir bleiben hier und machen's genau wie der Baum: Wir kämpfen uns hier durch. Und hier kann man fast gar nicht erkennen, was ist es jetzt, Stein, oder ist es Wurzel? Das ist eins. Und so sind wir Menschen, die hier in der Region leben. So fühlen wir uns."