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Naumann: "Barnes & Noble" selbst Schuld am Niedergang

Die zum Verkauf stehende weltgrößte US-Buchhandelskette "Barnes & Noble" hat ihren Niedergang nach Ansicht des Chefredakteurs der Zeitschrift Cicero, Michael Naumann, vor allem selbst verschuldet.

Michael Naumann im Gespräch mit Karin Fischer |
    Karin Fischer: Die Buchhandelskette "Barnes & Noble" war am Anfang unter Buchhändlern und der belesenen Kundschaft etwa so gut angesehen wie "Starbucks" bei Freunden der Wiener Kaffeehauskultur. Meg Ryan und Tom Hanks sind über den Film "You've got Mail" kurzfristig zum Hollywood-Traumpaar geworden, es ging um den Besitzer eines Megastores, der einen Kinderbuchladen in den Ruin treibt, der ihr gehört. So schnell ändern sich die Zeiten, denkt man heute – mal wieder: Heute werden Zeitungen nämlich im Internet gelesen und zumindest in den USA die Bücher auf dem Kindle. Und aus dem Vorzeigegeschäft "Barnes & Noble" ist ein Dinosaurier der Branche geworden, der sich jetzt selbst zum Verkauf anbietet, weil das börsennotierte Unternehmen immer mehr an Wert verliert. Michael Naumann, der Chefredakteur von "Cicero" ist, war als Verleger lange in den USA tätig, und ihn habe ich gefragt, wie das mit "Barnes & Noble" und ihm so war.

    Michael Naumann: Ja, das lustige ist, dass direkt vor meinem Büro in New York in der 18. Straße dieser Film "You've got Mail" zum Teil auch gedreht worden ist, mit einem künstlich angelegten Buchladen. Ich hatte mich damals sehr gefreut, aha, ein Buchladen mehr in New York, bis ich merkte: alles Kulisse. Tatsache ist, dass "Barnes & Noble" natürlich auch nicht nur ein Buchhandel war, eine Buchkette, sondern unter anderem auch ein florierendes Immobiliengeschäft. Tatsache ist, dass es heute, zehn Jahre nach meinem Abschied aus New York, statt der damals schätzungsweise 150 bis 200 Buchhandlungen in New York nur noch 30 Buchhandlungen gibt, diese Buchketten inklusive. "Barnes & Noble" hat gewissermaßen durch sein Bestseller-Geschäft – dort wurden Bestseller unter Ladenpreishöhe zu Schnäppchenpreisniveau angeboten – am Untergang gewissermaßen des Buchhandels selber mitgewirkt, und jetzt stehen sie zum Verkauf. Es stellt sich die Frage: Liegt das an schlechten Investitionen, liegt das an dem Geschäftsmodell selbst oder liegt es an Amazon, oder liegt es möglicherweise auch an einer ganz enormen kulturellen Veränderung, dass junge Leute ganz einfach in den Vereinigten Staaten weniger Bücher lesen und mehr sich dem übrigen Informationsgewitter hingeben?

    Fischer: Die Erklärungen heute für den Niedergang des Unternehmens – der zunächst ja mal nur ein Verlust des Marktwerts an der Börse ist, das aber immerhin von 50 Prozent – sind unterschiedlich: Die einen sagen, es hat auch mit der Krise des Einzelhandels zu tun, die anderen nennen natürlich, was Sie auch gerade taten, die großen Umwälzungen im amerikanischen Buchmarkt und dabei natürlich zuerst das E-Book.

    Naumann: Ja, das spielt sicherlich eine Rolle, aber ich glaube, das ist übertrieben. Ich glaube, es gibt eine ganze Fülle von jetzt en detail schwer darzulegenden Begründungen, unter anderem gibt es in Amerika keinen festen Ladenpreis, das bedeutet, dass gerade die Bücher, die enormen Gewinn bringen können, nämlich die Bestseller, zu Spottpreisen angeboten werden. Die werden bei "Barnes & Noble" als Lockmittel nach vorne in die Regale gestellt, und dann kaufen sich diese Kunden natürlich diese Bücher, in denen praktisch für "Barnes & Nobles" keine Gewinnmarge liegt. Und das ist eines. Dann hat man wohl auch in ein eigenes Lesegerät investiert, das …

    Fischer: Das Nook.

    Naumann: Ja, das scheint sich auch nicht zu verkaufen. Aber prinzipiell, ich sagte es schon, war "Barnes & Noble" eben immer auch ein Immobiliengeschäft, das heißt, man kaufte da niederliegende, ehemalige Warenhäuser und Geschäftshäuser in Innenstädten Amerikas auf, möbelte die kurz auf mit Büchern, die man da praktisch wie Tapeten an die Wände stellte, erhöhte so den Wert des Hauses und verkaufte wieder. Aber wer sich für die unabhängigen Buchhandlungen in Deutschland, aber eben auch in Amerika eingesetzt hat und mit ihnen sympathisierte, konnte seinerzeit beobachten, dass mit einer wirklichen geschäftlichen Brutalität sich "Barnes & Noble" und auch andere Buchketten immer dort hingesetzt haben, wo gut florierende, unabhängige Buchhandlungen existierten. Die haben sie an die Wand gedrückt mit ihren Schnäppchenangeboten, und jetzt sieht es so aus, als ob genau diese Schnäppchenangebote praktisch der Strick waren, den man sich selbst geknüpft hat.

    Fischer: In Deutschland wird das Buch noch als schützenswertes Kulturgut gehandelt und im Prinzip auch der Buchhändler um die Ecke. Das Flächenland USA kann nie eine vergleichbare Dichte an solchen Läden haben, unter anderem deshalb boomt der Online-Buchhandel dort so. Was bedeutet diese Entwicklung aber Ihrer Ansicht nach für Buchhandelsketten in Deutschland, die ja bislang auch eine ernsthafte Konkurrenz für die kleinen Läden waren?

    Naumann: Ja, die sind es auch weiterhin, aber solange – ich wiederhole mich – der gebundene Ladenpreis für Bücher existiert, das heißt, solange dem deutschen Kettenbuchhandel, den Großhandlungen nicht die Gelegenheit gegeben wird, die kleinen plattzudrücken, weil sie die Bestseller, etwa die der "Spiegel"-Liste, für einen Spottpreis von 5 Euro oder von 3,90 Euro anbieten, wie das "Barnes & Noble" eben getan hat, solange wird auch der kleine Buchhandel überleben.

    Fischer: Michael Naumann war das zum Niedergang von "Barnes & Noble", die Buchhandelskette plant Verkauf und Rückzug von der Börse.