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Neonazi-Prozess
"Die Szene ist nachhaltig geschwächt worden"

Der Prozess gegen das "Aktionsbüro Mittelrhein" ist geplatzt, aber er hat weitreichende Folgen für die Neonazi-Szene in Nordrhein-Westfalen und Rheinland Pfalz gehabt. "Gerade hier für die Stadt Köln können wir sagen, dass die Szene sich von diesem Schlag bis heute nicht erholt hat", sagt Rechtsextremismus-Experte Patrick Fels im Dlf.

Patrick Fels im Gespräch mit Ulrike Winkelmann | 13.07.2017
    Patrick Fels sitzt im NS-Dokumentionszentrum vor einer Leinwand mit männlichen Köpfen
    Patrick Fels: "Gerichtssaal war das Wohnzimmer der Neonazis" (dpa/ Henning Kaiser)
    Ulrike Winkelmann: Es sollte der größte Neonazi-Prozess der Bundesrepublik werden, doch vor gut einem Monat endete es mit einem leisen Plopp: Das Verfahren gegen das "Aktionsbüro Mittelrhein", das 2012 vorm Landgericht Koblenz begann. 26 Männer waren angeklagt, als kriminelle Vereinigung Linke und antifaschistisch Engagierte verfolgt und angegriffen zu haben. Das Aktionsbüro hatte seinen Sitz im "Braunen Haus" in Bad Neuenahr-Ahrweiler, benannt nach der NSDAP-Zentrale Adolf Hitlers in München.
    Doch nun, fünf Jahre später, hat die Landgerichts-Kammer das Verfahren eingestellt – denn der vorsitzende Richter ist in Pension gegangen. Ich habe vor der Sendung mit Patrick Fels von der Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus in Köln gesprochen, die den Prozess verfolgt hat. Gefragt habe ich ihn: Herr Fels, wie kann es sein, dass ein so groß angelegter Prozess gegen 26 Neonazis nach fünf Jahren so leise endet?
    Richter in Rente - Verfahren geplatzt
    Patrick Fels: Na ja, das liegt an der Dauer des Verfahrens, dass einfach der Richter jetzt im Juli in Rente geht und der Ersatzrichter, der dann eigentlich einspringt, schon 2014 einen in Rente gegangenen Richter ersetzt hat, und damit ist dieses Verfahren geplatzt, ob einem das gefällt oder nicht. So sind einfach die Verfahrensvorschriften. Und man muss vielleicht auch noch erwähnen: 26 Neonazis mit jeweils zwei Rechtsanwälten oder Rechtsanwältinnen, das sind enorm viele Leute in so einem Prozess.
    Und es war eigentlich von Anfang an so, dass sich diese Neonazis in dem Gericht recht wohl gefühlt haben. Also, man hat salopp vom Wohnzimmer der Neonazis gesprochen, das hat es für Leute, die diesen Prozess beobachten wollten, sehr, sehr schwierig gemacht, weil sie sich da also jedes Mal doch dieser großen Menge an Leuten ausgesetzt haben, die natürlich kein Interesse daran haben, dass Leute diesen Prozess beobachten und darüber berichten. Was also auch dazu geführt hat, dass die Aufmerksamkeit mehr und mehr zurückgegangen ist.
    Winkelmann: Wie konnte der Prozess jetzt einfach so eingestellt werden? Hat das Gericht in Koblenz sich verhoben und wollte das jetzt nicht mehr zugestehen oder was ist da passiert?
    Fels: Also, letztendlich kann ich das nicht abschätzen. Aber da sind bestimmt vereinzelt Fehler gemacht worden, dass man also nicht geglaubt hat, dass das Verfahren so lange dauert. Es sind ursprünglich mal vier Wochen angesetzt gewesen, daraus sind jetzt fast fünf Jahre geworden. Das heißt, ja, man hat es unterschätzt, das kann man schon so sagen; auf der anderen Seite, bei 26 Angeklagten, die jeweils von zwei Leuten vertreten werden, ist natürlich die Möglichkeit gegeben, das Verfahren zu verschleppen und in die Länge zu ziehen.
    26 Angeklagte, 52 Anwälte - "Das frisst viel Zeit"
    Winkelmann: Können Sie schildern, wie das aussah, dass das Verfahren in die Länge gezogen wurde? Welche Taktiken wurden da angewandt?
    Fels: Na ja, das ist insgesamt schon ein gewaltiger logistischer Aufwand. Bis 26 Personen da sind, dann muss natürlich Anträgen der Rechtsanwälte stattgegeben werden, dann werden Zeugen verhört, die theoretisch von allen 52 Anwälten auch befragt werden dürfen, das frisst natürlich unglaublich viel Zeit. Und wenn man juristisch natürlich ein Interesse daran hat, ein Verfahren in die Länge zu ziehen, weil man weiß, irgendwann wird dieses Verfahren zwangsweise zu einem Ende kommen, weil eben die Richter in Pension gehen, dann ist dem natürlich auch Tür und Tor geöffnet.
    Winkelmann: Muss man sagen, dass die Rechtsextremisten und Neonazis der Republik nun daraus lernen dürfen, dass sie es vor allem auf Verschleppung anzulegen haben?
    Fels: Ja und nein. Ich glaube, dass aber auch von juristischer Seite aus so einem Verfahren gelernt wird, gerade wenn nach Paragraf 129 – also Bildung einer kriminellen Vereinigung – verfahren wird, wo eben sehr viele Voraussetzungen erfüllt werden müssen, um auch zu einem Schuldspruch zu kommen, dass also von juristischer Seite auch daraus gelernt wird, dass man solche Verfahren besser vorbereiten muss und dass man sich darauf einstellen muss, je nach Menge der Angeklagten, dass es auch eben sehr, sehr lange dauern kann.
    Ich glaube, dass der Wille, Neonazis wegen Straftaten vor Gericht zu bringen, auf jeden Fall gewachsen ist und dass man dort auch bereit ist, längere oder aufwändigere Verhandlungen in Kauf zu nehmen. Also, Ereignisse wie die Aufdeckung des Nationalsozialistischen Untergrunds haben natürlich eine höhere Wachsamkeit nach sich gezogen und auch mehr Willen erkennen lassen. Ob sich das aber durchgängig so durchzieht und auch für alle Bundesländer in Deutschland so gesagt werden kann, da bin ich doch etwas zurückhaltend.
    Angeklagte sind auf ihre Weise bestraft worden
    Winkelmann: Glauben Sie, dass die Angeklagten, die jetzt ja fünf Jahre da auch bis zu dreimal pro Woche antreten mussten, auf ihre Weise schon bestraft sind?
    Fels: Ja, das denke ich schon. Also, ein Teil dieser Angeklagten hat ja auch fast anderthalb Jahre in Untersuchungshaft gesessen. Dieses lange Verfahren bedeutet natürlich, dass man einem geregelten Leben so in dieser Form nicht mehr nachgehen kann. Und auch wenn jetzt erst mal kein Schuldspruch dabei rumgekommen ist, sind diese Leute natürlich schon auch verstärkt in der Öffentlichkeit dadurch gewesen, und es ist über ihre Taten verhandelt worden. Also, es ist natürlich nicht das, was man sich wünscht, eine Verurteilung wäre natürlich besser gewesen, aber eine Form von Strafe ist es natürlich auch, zudem eben von diesen zuletzt noch 17 Angeklagten 15 auch die kompletten Kosten des Verfahrens selbst tragen müssen. Das sind natürlich unglaubliche Summen, die da zusammenkommen.
    Winkelmann: Welche Folgen für die Szene hier in Nordrhein-Westfalen und auch in Rheinland-Pfalz hat das Verfahren gehabt?
    Fels: Also, die Szene ist schon nachhaltig geschwächt worden. Es sind also Kaderstrukturen geschwächt worden, es sind Leute weggebrochen, es gibt Menschen, die der Szene daraufhin den Rücken gekehrt haben, eben aus Angst vor juristischer Verfolgung. Und, also, gerade hier für die Stadt Köln können wir sagen, dass die Szene sich von diesem Schlag bis heute nicht erholt hat. Gleichwohl haben einige der Angeklagten durch den Prozess ihre Gesinnung gefestigt und haben also durch dieses Verfahren auch ein Prestige in der Szene gewonnen, sind also zu neuen Führungsfiguren herangewachsen und, na ja, haben natürlich auch etwas, worauf sie verweisen können. Also, diese Anklage ist in der Szene durchaus auch als eine Art Auszeichnung zu verstehen. Aber letztendlich ist die Szene schon geschwächt.
    Chance auf einen neuen Prozess
    Winkelmann: Was erwarten Sie jetzt vom Oberlandesgericht?
    Fels: Es ist zu hoffen, dass dieser Prozess neu aufgerollt wird. Also, so unschön das ist, es müssen alle Zeugen neu gehört werden, es müssen alle Beweise noch mal gewürdigt werden, aber es ist wichtig, dass letztendlich juristisch festgestellt wird, dass diese Menschen die Dinge, die ihnen vorgeworfen werden, auch begangen haben, und dass da ein juristischer Schuldspruch auch folgt. Das ist natürlich ärgerlich und das wird jetzt noch mal, wenn es so weit kommt, ein sehr langes Verfahren bedeuten, aber ich denke mal, da führt kein Weg dran vorbei.
    Das war Patrick Fels von der Kölner Info- und Bildungsstelle gegen Rechtsextremismus.
    Dass es eine Chance auf einen neuen Prozess gegen das Aktionsbüro Mittelrhein gibt, hat der Deutschlandfunk erst gestern erfahren. Der Koblenzer Generalstaatsanwalt erklärte dem Deutschlandfunk, er unterstütze eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft beim Oberlandesgericht Koblenz gegen die Einstellung des Verfahrens. Jetzt muss das OLG entscheiden.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.