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Nepal-Beben
Eine seismologische Nachlese

Die starken Beben in Nepal haben nach Angaben von offiziellen Stellen über 8.000 Menschenleben gefordert. Die zwei starken Beben hintereinander haben die Nation schwer getroffen. Derzeit stellt sich die Frage, ob es weitere Erschütterungen gibt. Denn Seismologen haben ein seltsames Muster der Nachbeben festgestellt.

Von Dagmar Röhrlich | 20.05.2015
    Eine Landschaft, übersät mit Trümmern vieler eingestürzter Häuser, nur noch wenige Gebäude stehen.
    Im nepalesischen Dorf Barpak im Epizentrum des Erdbebens stehen nur noch wenige Häuser. (picture alliance / dpa / Diego Azubel)
    Der Himalaja ist das sichtbare Zeichen der Zeitlupenkollision von Indien und Eurasien. In der Grenzzone, in der die beiden Platten aufeinanderprallen, kommt es immer wieder zu starken Erdbeben mit den entsprechenden Nachwehen. Was derzeit in Nepal passiere, sei nicht ungewöhnlich, so etwas wie einen "Erdbebensturm" kenne die Geophysik nicht, erklärt Ross Stein, Emeritus des USGS, des Geologischen Dienstes der USA:
    "Nachbeben haben ganz besondere Eigenschaften: Obwohl sie mit der Zeit seltener werden, können auch noch etliche Monate nach dem Hauptereignis Nachbeben auftreten, die es von der Stärke her mit dem Hauptschock aufnehmen: Ein Nachbeben mit der Magnitude 7,3 rund zwei Wochen nach einem Magnitude-7,8-Beben ist nichts Ungewöhnliches."
    Das Hauptbeben in Kathmandu hatte die Erdkruste auf eine Länge von 120 Kilometern aufgerissen, erläutert der USGS-Seismologe Gavin Hayes:
    "Das schwere Nachbeben entstand in dem Abschnitt der tektonischen Störungszone, der direkt an den des Hauptbebens grenzt, und es riss einen 30 bis 40 Kilometer langen Abschnitt auf."
    Muster der Nachbeben
    Die Wucht dieses Nachbebens war also sehr viel schwächer, es setzte nur ein Sechstel der Energie des Hauptbebens frei. An sich passiere in Nepal nichts Ungewöhnliches, allerdings sei das Muster der Nachbeben bizarr, erklärt Ross Stein:
    "Auf der einen Seite gibt es im Vergleich zur Stärke des Hauptbebens zu wenige Nachbeben. Das gilt sowohl absolut, als auch mit Blick auf andere Beben der Region: Im Vergleich zum Kaschmirbeben von 2006 erzeugt das Nepalbeben nur etwa ein Viertel der Nachbeben. Andererseits gibt es trotzdem starke Nachbeben. Lassen Sie es mich so sagen: Auf der einen Seite ist das Nepalbeben ein Versager, auf der anderen ein Überflieger."
    Was dieses seltsame Muster bedeutet, können die Seismologen nicht sagen. Jedenfalls zweifelt Paul Tapponnier vom Earth Observatory in Singapur daran, dass der tektonische Stress abgebaut worden ist, der sich in der Region seit dem letzten großen Beben angesammelt hat:
    "Dort gibt es durchaus das Potenzial für weitere starke Beben, aber wir können nicht sagen, ob sie sich morgen ereignen oder in zehn, 20 oder 30 Jahren. Wir erwarten auch weitere Nachbeben, die vielleicht noch stärker werden können als die bisherigen. Die Menschen dort sollten in den nächsten Monaten sehr vorsichtig bleiben und immer darauf vorbereitet sein, ihre Häuser zu verlassen."
    Lage bleibt unsicher
    Außerdem seien Erdbeben an den angrenzenden Abschnitten der Störungszone überfällig, erklärt Paul Tapponnier. Durch Stressverschiebungen im Untergrund könnten sie durchaus ausgelöst werden. Die Lage bleibt also unsicher. Wenigstens jedoch könnte sich eine Befürchtung aus der Erstanalyse der Hauptbebendaten nicht bewahrheiten. Zunächst hatte es so ausgehen, als würde sich die Bruchzone in 15 Kilometern Tiefe unerwartet weit nach Norden ausdehnen: Sie sollte bis in ein Gebiet reichen, das bislang als immun gegen Erdbeben galt, da die Gesteine dort durch den auflastenden Himalaya plastisch reagieren. Gavin Hayes:
    "Wenn diese Erstanalyse stimmt, wären größere Erdbeben möglich, als wir gedacht haben. Allerdings verliert sich dieser Effekt in einigen der genaueren Berechnungen, die wir inzwischen durchgeführt haben."
    Also wird wohl erst die Analyse der GPS-Daten über die Geländebewegungen zeigen, ob die Bruchzone und die damit verbundenen Erdbeben wirklich größer werden können als von den Geophysikern ohnehin befürchtet.