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Netzneutralität
Überholspur im Internet wird Realität

Das Europäische Parlament hat ein Gesetz zur Netzneutralität beschlossen, bei dem nun zukünftig nicht näher definierten Spezialdiensten die Überholspur im Internet ermöglicht werden soll. Netzaktivisten sind dagegen - hoffen aber noch auf Nachbesserungen.

Von Peter Welchering | 31.10.2015
    Kabel stecken in einer Buchse.
    Künftig sollen Spezialdienste mehr Internetgeschwindigkeit bekommen. (afp/Coex)
    Der erste Entwurf des Europäischen Parlaments, mit dem die Abgeordneten die Netzneutralität in Europa vor eineinhalb Jahren festschreiben wollten, wurde auch von Netzaktivisten freudig begrüßt. Doch die EU-Kommission und zahlreiche Mitgliedsstaaten hatten andere Vorstellungen. Und so ist von dem ursprünglichen Gesetzesentwurf zur Netzneutralität nicht mehr viel übrig geblieben. Sabine Verheyen von der Fraktion der europäischen Volksparteien EVP im Europäischen Parlament begründet das so:
    "Ich glaube, das liegt auch daran, dass Neelie Kroes in der letzten Legislaturperiode ein Paket geschnürt hat. Man ist – ich sage das persönlich – leider nicht in Einzelteilen an die Telekommunikationsregulierung herangegangen, sondern man hat ein Paket geschnürt, wo man das Roaming mit den Vertragskonditionen und der Netzneutralität und den Spezialdiensten alles zusammen gepackt hat. Für mich ist das eine Sache, wo die Mitgliedsstaaten auch sagen: Wir müssen sehen, wenn wir auf der einen Seite den Telekommunikationsnetzbetreibern die Einnahmequelle Roaming abnehmen, wie man ansonsten noch dauerhaft gewährleisten kann, dass Netzausbau stattfindet, ohne dass insgesamt die Preise für Internet drastisch in die Höhe steigen."
    Spezialdienste dürfen auf die Überholspur
    So haben die Mitgliedsstaaten durchgesetzt, dass die Anbieter von sogenannten Spezialdiensten ihre Datenpäckchen dann doch auf die Überholspur schicken dürfen. EU-Digitalkommissar Günther Oettinger begründete das in erster Linie mit den Notwendigkeiten der Telemedizin. Operationen dürften nicht wegen eines Staus am Gateway unterbrochen werden. Julia Reda, Abgeordnete der Piraten-Fraktion im Europäischen Parlament, kann das Argument nicht nachvollziehen:
    "Es ist völlig illusorisch, zu denken, dass Operationen einfach mit priorisierter Durchleitung über das Internet stattfinden würden, weil auch eine Verletzung der Netzneutralität durch Priorisierung führt ja nicht dazu, dass man eine garantierte Übertragungsqualität hat. Das ist aber genau das, was man für solche Anwendungen wie eine Operation aus der Ferne braucht. Insofern, ich glaube, dass da Kommissar Oettinger die öffentliche Diskussion auch gezielt fehlgeleitet hat, um eben Spezialdienste weitergehend zu erlauben."
    Gleich sechs Mitgliedsländer der EU haben starken Druck auf die EU-Kommission ausgeübt, um Spezialdienste durchzusetzen.
    "Es sind vor allen Dingen Staaten mit großen Telekommunikationsunternehmen, die natürlich entsprechend Druck gemacht haben, dass sie möglichst viel Freiheit haben, bestimmte Angebote nicht nur an die Endkunden zu machen, sondern eben auch an die Anbieter von Diensten. Ich glaube, die Regierungen, die dort mit Blick auf ihre heimischen Telekommunikationsunternehmen gebremst haben, haben sich eigentlich langfristig volkswirtschaftlich einen Bärendienst erwiesen."
    Politiker hoffen auf Nachbesserungen
    Die EVP-Fraktion will deshalb die Auswirkungen der jetzt beschlossenen Telekommunikationsverordnung in einem Evaluationsprozess sehr genau prüfen. Auftauchende Schwächen oder Probleme sollen dann über wettbewerbsrechtliche und verbraucherschutzrechtliche Bestimmungen nachgebessert werden. Für Sabine Verheyen ist das Gesetz nur ein Anfangspunkt:
    "Eines ist auch klar: Bisher hat es keine Festschreibung der Netzneutralität gegeben. Das heißt, das Parlament hat nicht etwas vernichtet, was es bisher gab, sondern wir haben versucht, soweit wir das mit den Mitgliedsstaaten hinbekommen haben, Netzneutralität abzusichern. Wir haben nur sehr, sehr wenige Mitgliedsstaaten in Europa, die bisher die Netzneutralität gesetzlich festgeschrieben haben."
    Auf Nachbesserungen hofft auch Julia Reda von der Piratenfraktion:
    "Es gab sehr viele Abgeordnete, die für die Verordnung gestimmt haben, obwohl sie Kritik an den Regelungen zur Netzneutralität haben, eben mit der Begründung, dass könne man ja alles noch durch die Umsetzungsrichtlinien der Telekommunikationsbehörde Berec lösen. Es wird eine Konsultation seitens Berec geben, an der sich auch die Öffentlichkeit beteiligen kann. Und da werde ich auf jeden Fall zur Teilnahme aufrufen und auch normalen Menschen, die um die Netzneutralität besorgt sind, Unterstützung geben, diese technischen Fragen in einer sinnvollen Art und Weise zu beantworten."