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Netzwerk für Spezialfälle

Etwa vier Millionen Menschen leiden in Deutschland an einer seltenen Krankheit. Dazu gehören Krankheiten wie Mukoviszidose oder Kleinwuchs oder die Ichthyose, eine genetisch bedingte Hauterkrankung. Oft durchlaufen die Betroffenen eine Odyssee, bis Diagnose und Therapie geklärt sind. Viele Ärzte haben in ihrem Praxisalltag fast nie mit solchen Patienten zu tun. Sie behandeln dann möglicherweise nur einzelne Symptome, ohne die Krankheit in ihrer Gesamtheit zu erkennen. Diese Situation will nun die Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen verbessern. Das Netzwerk, in dem verschiedene Selbsthilfegruppen zusammengeschlossen sind, hat in Berlin ein Zentrum für seltene chronische Erkrankungen gegründet, das sich als Anlaufstelle für Betroffene und Ärzte versteht.

Von Andrea Kalbe |
    Eigentlich ist Joachim Grüneberg sein ganzes Leben lang nie ernsthaft krank gewesen. Vor einiger Zeit jedoch merkt der 66-Jährige, dass irgendetwas nicht stimmt.

    " Es ging so vor ungefähr anderthalb Jahren los, ich bekam rote Ohren, die entzündet aussahen. Sie hingen runter, richtige Schlappohren. Sie taten nicht weh, waren aber immer heiß, und die Ohrenärzte waren ziemlich hilflos und sagten nur immer wieder, wir müssen Geduld haben. "

    Schon bald kommen Fieber und Schüttelfrost hinzu. Der Rentner erleidet einen Hörsturz. Bei einer Blutuntersuchung stellen die Ärzte dann eine Entzündung fest. Doch woher diese kommt, kann noch immer niemand sagen. Joachim Grüneberg läuft von Arzt zu Arzt - vergeblich. Eher durch Zufall gerät er an einen Rheumatologen, der schließlich die richtige Diagnose stellt.

    " Es stellte sich raus als eine rezidivierende, da muss ich kurz überlegen, Polychondritis, also eine Knorpelentzündung, die überall im Körper Knorpelmassen befallen kann. Gefährlich ist die Krankheit deshalb, weil sie wie gesagt alle Partien im Körper mit Knorpel, das können alle Gelenke sein, da hatte ich auch Probleme mit, wie bei Rheuma, aber eben auch die Luftröhre, befallen kann, und dagegen kann man wohl nichts machen. "

    Joachim Grüneberg ist einer von etwa vier Millionen Menschen in Deutschland, die an einer seltenen Erkrankung leiden. Wie er bekommen viele der Betroffenen erst nach langer Zeit eine Diagnose, wenn überhaupt. Die Behandlung beginnt dann oft zu spät. So hat die Krankheit bei Joachim Grüneberg bereits das Herz und die Stimmbänder erfasst. Diese Situation soll sich nun ändern. Seit Kurzem gibt es in den DRK-Kliniken Westend in Berlin ein Zentrum für seltene chronische Krankheiten, gegründet von der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen - kurz ACHSE.

    " ACHSE, Güdokeit, guten Tag. Ja ... Und um welche Krankheit geht’s da bei Ihrem Sohn? "

    Noch befindet sich die Einrichtung im Aufbau, im Moment gibt es nur eine Mitarbeiterin. Schon bald soll hier aber ein richtiges Beratungszentrum entstehen. Dazu Anne Kreiling, Vorsitzende der ACHSE:

    " Wir wollen dort den Menschen eine Anlaufstelle bieten. Wir hoffen, dass wir unsere Personalsituation verbessern können in den nächsten Wochen und Monaten, damit immer jemand da ist, telefonisch zu erreichen ist, und den Menschen ihre Fragen beantworten kann, aber auch persönlich, wenn jemand vorsprechen will, dort ein Gespräch anbieten kann. In erster Linie geht es darum, einzelne Menschen mit seltenen Erkrankungen aufzufangen in dieser Situation des Alleinseins. "

    Das Problem für die Betroffenen: Weil ihre Krankheit so selten ist, wird daran kaum wissenschaftlich geforscht, spezielle Therapien gibt es meist nicht. Auch sind nur wenige Ärzte auf die einzelnen Krankheiten spezialisiert. Manche Betroffene erfahren nie, was ihnen fehlt. Neben den Patienten will die ACHSE deshalb auch verstärkt die Mediziner ansprechen und das Wissen um seltene Erkrankungen vergrößern:

    " Das heißt also, wir werden eine Datenbank starten, die Informationen über alle einzelnen seltenen Erkrankungen enthält, die auch enthält Spezialisten und ihre Adressen, die Behandlungsansätze aufzeigt. Und wir denken, dass nicht nur Ärzte, sondern auch andere niedergelassene Therapeuten, Krankengymnasten, Logopäden, diese Informationsdatenbank dann benutzen können, um ihren betroffenen Patienten weiterzuhelfen. "

    Joachim Grüneberg hatte Glück und geriet zufällig an den richtigen Arzt. Mit einer hohen Dosis Kortison versucht man nun, seine Krankheit zumindest unter Kontrolle zu halten. Denn wie die meisten seltenen Erkrankungen ist auch die Polychondritis nicht heilbar. Das Beratungszentrum - für Joachim Grüneberg eine sinnvolle Maßnahme.

    " Also ich halte das aus meiner Sicht bei dieser Krankheit geradezu für ideal. Das ist genau das, was man eigentlich braucht, denn hier kommen die Disziplinen zusammen. Und ich wünschte, ich hätte davon gewusst. Jetzt weiß ich, dass es das gibt, jetzt würde ich mich natürlich dort sofort hinwenden, in der Hoffnung, dass man dort eben mehrdimensional an solche Krankheiten herangeht, die einfach, ich sag jetzt mal, die Fachbereiche sprengen. "