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Netzwerk gegen Repressalien

Fischer: Wie es in China um die Meinungsfreiheit bestellt ist, ist bekannt, und erstaunlich bei der fast totalen Kontrolle auch des Internets ist eigentlich immer nur, wie findig die entsprechenden Nutzer mit immer neuen temporären Plattformen für gewagte und für die Regierung natürlich unbequemen Thesen sind. Derzeit wird das Netz erstmals zum Forum für chinesische Schriftsteller, und zwar so, dass mein Kollege Shi Ming, der die Szene beobachtet, eine "neue Unabhängigkeitsbewegung" der Autoren ausgemacht haben will. Dem vorausgegangen ist ein massenhafter Austritt aus den offiziellen Schriftstellerverbänden. Woran, Shi Ming, machen Sie diese neue Bewegung fest?

Moderation: Karin Fischer |
    Ming: Es gibt die ersten Erklärung der Austritte der Schriftsteller aus den offiziellen Schriftstellerverbänden. Diese Schriftsteller sind verstreut über ganz China. Sie sind aus zumindest zehn Provinzen zu den Erklärungen gekommen. Sie haben die Erklärungen unterschrieben, sozusagen elektronisch. Dann haben sie natürlich auch diskutiert, warum sie diese Erklärung abgegeben haben. Darin haben sie zuerst ihren Frust sozusagen von sich gegeben.

    Fischer: Also was der Grund des Austritts aus der offiziellen Schriftstellervereinigung ist?

    Ming: Ja, aber es gibt noch mehr. Der Frust betrifft ja nicht nur die Schriftstellerverbände, die sie als sehr gängelnd empfunden haben, sondern sie weisen auch darauf hin, dass die Schriftstellerverbände seit Jahren schon nicht mehr als bisher ihren Fürsorgepflichten nachgekommen sind. Ein Teil des Frusts richtet sich sogar gegen politische Repressalien, auch wenn diese Proteste eher an die Adresse der Provinzführung gerichtet sind, nicht an das ganze System.

    Fischer: Worum geht es im Streit zwischen den Autoren und den, wie Sie sagen, Funktionären und Buchhändlern genau?

    Ming: Es gibt einen Teil des politischen Inhaltes. Vor allen Dingen in den Provinzen, in denen die soziale Härte sehr groß ist und immer wieder auch Fälle von Morden, Brandschatzungen, Vergewaltigungen auftreten, da sind nicht nur die Journalisten, sondern auch die Schriftsteller natürlich an diesen Themen dran, vor allen Dingen die Schriftsteller, die ja die Freiheit auf der Fiktion haben, die Drehbücher verfassen. Die fühlen sich von den Schriftstellerverbänden in diesen Provinzen insoweit sehr bedrängt, weil diese Verbände und Funktionäre ihnen den Mund einfach verbieten und sagen, ihr dürft darüber nicht schreiben. Aber es gibt auch ein großer Frust gegenüber der Vereinigung oder gegen einen faktischen Bund zwischen dem Geld und der Macht, nicht nur dem Geld der chinesischen Kapitalisten, sondern insbesondere dem Geld der westlichen Kapitalisten. Es gibt in China auch so etwas wie Bertelsmann Leserclubs. Diese Clubs schaffen in den Provinzen eine Atmosphäre der Spaßgesellschaft, die es so dort nicht gibt. Aber sie sind sehr erfolgreich, sehr wirkungsvoll. Sie nutzen auch die Schriftstellerverbände für sich aus. Also sie sagen, wenn die Schriftstellerverbände für sie die Autoren anwerben, die in ihrem Sinne schreiben, dann bekommen die Schriftsteller auch Vergünstigungen und die anderen werden damit vernachlässigt. Dies alles bildet die ganze Kulisse des großen Frustes in allen Teilen Chinas.

    Fischer: Wie weit darf man denn im Normalfall - Sie haben es schon angedeutet - gehen in China mit Meinungsäußerungen als Autor in der Literatur? Gibt es so eine Art von "verschlüsselter Literatur", wie wir sie auch in der DDR kennen?

    Ming: Ja. Es gibt sogar mehr. Es gibt Drehbuchautoren, die beispielsweise sich direkt auf große Korruptionsfälle bezogen. Insofern haben sie sich natürlich auch ein Stück Meinungsfreiheit erkämpft. Eine andere große Freiheit ist, diese Schriftsteller, die jetzt aus den Schriftstellerverbänden ausgetreten sind, gründen eigene Buchhandlungen, oder sie verteidigen bestimmte Buchhandlungen, die bisher aus gutem Geschmack oder vielleicht aus Überzeugung diese Schriftsteller auch mehr fördern. Also mehr Seriosität, mehr ernste Literatur und mehr kritische Stimmen. Ein Beispiel aus Peking: ein traditionell sehr renommiertes Verlagshaus wurde vor kurzem übernommen von einer Gruppe von Geschäftsleuten. Diese versuchen diesen Verlag in der redaktionellen Richtung zu drehen. Nun gibt es mehr als 400 Schriftsteller, die gemeinsam eine Erklärung im Internet abgegeben und dagegen protestiert haben, sogar mit einer Petition an das chinesische Kulturministerium, sogar mit der Drohung, dass, wenn diese Verlagshause unter der Regie dieser Geschäftsleute nur noch Kochbücher, Reisebücher verlegen, sie diesem Verlag gegenüber alle Angebote boykottieren werden.

    Fischer: Dank an Shi Ming für diesen Bericht über den Protest gegen den chinesischen Schriftstellerverband und die offizielle Bücherpolitik.