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Neu im Kino: "Familienbande"
Traurig und komisch

Er wird aus dem Knast entlassen, um sich um seine Nichte zu kümmern, deren Mutter gestorben ist: "Game Of Thrones"-Star Aidan Gillen und Newcomerin Lauren Kinsella spielen wunderbar diese beiden vom Leben Geschundenen. Die Bilder der irischen Midlands unterstützen die melancholische Grundatmosphäre des ersten Langzeitfilms von Mark Noonan.

Von Hartwig Tegeler | 19.11.2015
    Mark Noonan bei der Premiere des Kinofilms "Familienbande"
    Regisseur Mark Noonan bei der Premiere des Kinofilms "Familienbande" (imago / xFredericx)
    Will wird aus dem Knast entlassen, auf Bewährung, weil seine Nichte Stacey, elf Jahre alt, sonst in ein Heim müsste. Staceys Mutter ist gerade gestorben. Stacey und Will auf dem Weg in die irischen Midlands zu einem Caravanpark. Zum Wohnwagen, der Staceys Mutter gehörte. Ein melancholischer Ex-Knacki auf Bewährung und seine altkluge Nichte.
    "Familienbande" ist Kino über Menschenalltag. Die belgischen Dardenne-Brüder hätten ihn inspiriert, sagt Regisseur Mark Noonan, Wim Wenders mit "Alice in den Städten". Aber vor allem "Paper Moon" von Peter Bogdanovich, wo sich - wie jetzt auch hier in "Familienbande" - eine eigenartige, holprige Beziehung entwickelt.
    "Was ist denn?"
    Zwischen einem Erwachsenen ...
    "Ich glaube, der Backofen ist kaputt."
    ... und einem Kind entwickelt. Traurig und komisch und komisch und traurig.
    "Wofür brauchst du den denn?"
    "Für den Lachs."
    "Dann musst du ihn in Folie wickeln und ohne Spülmittel und Teller in den Geschirrspüler legen."
    "Du glaubst wohl, ich hätte zu heiß gebadet?"
    "Dann würdest du bestimmt nicht so blass aussehen."
    "Game Of Thrones"-Star Aidan Gillen und Newcomerin Lauren Kinsella spielen wunderbar diese beiden vom Leben Geschundenen. Will und Stacey wirken real und intensiv in ihrer tiefen Trauer und Melancholie. Vielleicht auch deshalb, weil Filmemacher Mark Noon nicht alle Geheimnisse seiner Figuren, die diese offensichtlich antreiben, reflexartig enthüllt. Was ist mit Wills Drogensucht? Was ist mit dieser Nachbarin im Trailerpark, die, von ihrem Mann geschlagen, eines Nachts an Wills und Staceys Wohnwagen klopft:
    "[Emilie:] Oh, äh, es tut mir leid, dass ich zu der Zeit noch ... Könnte ich vielleicht für einen Moment reinkommen?" [Will:] "Nein, ich glaube nicht, ich finde, das ist schon ein bisschen ..."
    [Stacey:] "Ja, komm rein."
    [Will:] "Ja, sicher! Kommen Sie rein."
    Die Frau mit dem blauen Auge ...
    "Dürfte ich vielleicht auf Ihrer Couch schlafen?"
    ... wird in dieser Nacht bei Will und Stacey bleiben,
    "Ich, ich bleib lieber hier."
    Aber "Familienbande" erzählt dann eben doch nicht von einer Affäre oder dem Rachefeldzug des Ehemannes. Mike Noonans Figuren sehnen sich nach Nähe, Wärme, nach Beziehung. Das treibt sie auch zu ganz widersprüchlichen Handlungen.
    "Familienbande" ist ein Film, der auch mit den Bildern der irischen Midlands, dem dünnbesiedelten Herz der grünen Insel, eine melancholische Grundatmosphäre schafft. Die karge Landschaft wird zum Spiegelbild ihrer Bewohner. Und dann, manchmal, das Bild einer Blume, eines Grashalms, in Großaufnahme, das wie der Einbruch des prallen Lebens in die Kargheit wirkt. Oder dieser wunderbar staunende, schöne Blick der anfänglich besserwisserischen, altklugen Stacey, die mit diesen Eigenschaften sich doch nur abschotten will gegen die Trauer über den Tod ihrer Mutter, die ihr die Seele zerreißt.
    "Warum läufst du eigentlich immer mit diesem Skateboard rum?"
    "Das war ein Geschenk von Mom."
    "Ah."
    Die Eigenschaft "rotzig" ist bei Stacey übrigens wörtlich zu nehmen. Was ihren durchaus hartgesottenen Onkel Will doch ziemlich auf die Palme ringt:
    [Will:] "Du bekommst von mir für jeden Tag, an dem du nicht spuckst, fünf Mäuse, ja!"
    [Stacey:] "Zehn!"
    "Fünf!"
    "Acht!"
    "Fünf!"
    "Sechs!"
    "Fünf!!!"
    "Deal!"
    "Familienbande" ist ein Film, der mit faszinierender Präzision und Lakonie die Grenzen zwischen Tragik und Komödie vermisst und uns dabei verführt, ja, verführt, mit Will und Stacey mitzuempfinden.
    "Nächste Woche ist das Gespräch beim Jugendamt. Wenn es gut läuft, darfst du bei mir bleiben."
    "Das heißt, wenn es gut läuft, musst du nicht wieder zurück in den Knast?"
    "Ich meine ..."
    "Du kümmerst dich nur um mich, damit du aus dem Knast raus bist. Oder?""
    Wir wollen gerne wissen, wie es den beiden, Onkel und Nichte, geht, wie es ihnen gehen wird. Wenn er am Ende weg muss für eine Zeit. Und sie da bleibt bei den Pflegeeltern. Ich denke, sagt der Schöpfer dieser beiden Figuren, Mark Noonan, ich denke, ja, sie würden zusammenkommen; er würde sich anstrengen, ein besserer Ersatzvater zu werden. Doch zehn Leute in meinem Filmteam, meint Filmemacher Noonan, waren nicht der Ansicht. Und dann sagt Noonan noch - und dem ist nun wahrhaftig nichts hinzuzufügen: Diese Spekulationen machen eben die Magie des Kinos aus.