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Neue Arbeit, neue Urbanität

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Thomas Gesterkamp |
    "Das Büro der Zukunft hat eine peinliche Eigenschaft: Morgens um sieben macht es den Eindruck, als hätte darin noch nie ein Mensch gearbeitet. Keine Aktenberge wachsen gegen die Decke, kein Gummibaum wächst dem Licht entgegen, weder Frau noch Hund warten gerahmt am vorderen Pultrand darauf, dass der Ernährer die Arbeit aufnimmt. Später am Morgen setzt ein seltsames Treiben ein: Die Mitarbeiter nehmen kleine Rollkoffer aus ihrem Garderobenfach und bahnen sich damit den Weg durch das Büro. Die einen steuern zielstrebig auf einen bestimmten Schreibtisch zu, andere bleiben kurz stehen und spähen in alle Richtungen, bevor ihr Rollkoffer wieder Fahrt aufnimmt und sie einen Arbeitsplatz finden - einen Arbeitsplatz wohlverstanden, nicht ihren Arbeitsplatz."

    "Shared Desk": Das Prinzip des geteilten Schreibtisches hat in Deutschland der amerikanische Computerriese IBM eingeführt. Der Konzern bietet seit über zehn Jahren alternierende Telearbeit auf freiwilliger Basis an. Über 4000 Mitarbeiter und damit ein Fünftel der Belegschaft verbringen inzwischen mindestens die Hälfte ihrer Arbeitszeit außerhalb der Firma. Sie verfügen über Online-Zugänge zum Unternehmen; die Kosten für tragbare Computer und die Übermittlung trägt der Arbeitgeber. Für den rechnet sich die Auslagerung trotzdem, weil er Büroflächen einspart und die betriebliche Infrastruktur.

    In regelmäßigen Abständen sind die mobilen Telewerker verpflichtet, sich im Betrieb blicken zu lassen. Wer dort arbeiten will, sucht sich einen freien Computer mit Netzzugang - und räumt diesen, sobald er fertig ist. Persönliche Gegenstände und kleinteiliges Handwerkszeug, die einst den eigenen Schreibtisch schmückten, sind in Schließfächern verschwunden, die die umherziehenden Jobnomaden bei Bedarf öffnen können. Sieht so die Arbeitswelt der Zukunft aus? Günter Voß, Soziologe an der Technischen Universität in Chemnitz:

    Wir erleben derzeit einen fundamentalen Strukturwandel in der Arbeitswelt. Ein Teil dieses Wandels ist, dass ganz neue Anforderungen an Arbeitskräfte gestellt werden dahingehend, dass sie verstärkt ihre Tätigkeit selbst organisieren müssen. Das hat ganz unterschiedliche Formen. In normalen Beschäftigungsverhältnissen etwa im Rahmen von Gruppenarbeit oder Profitcentermodellen, aber, wie wir sagen, auch betriebsübergreifend, sogenannte Scheinselbstständigkeit, in dem auf freie Arbeitskräfte zurückgegriffen wird, die eben sehr selbstständig arbeiten müssen. Wir vermuten, wenn sich dies ausweitet - was wir annehmen - dass daraus eine grundlegende Veränderung des Typs von Arbeitskraft entsteht, den wir in unserer Gesellschaft haben.

    Aus dem Arbeitnehmer wird der "Arbeitskraft-Unternehmer", der seine Fähigkeiten eigenhändig vermarkten muss: So überspitzt formulieren es Voß und sein Münchner Kollege Hans Pongratz, die den Trend zur "Projektarbeit" wissenschaftlich untersucht haben. Die beiden Forscher gehen davon aus, dass die bunte, immer wieder unterbrochene Berufslaufbahn zur neuen Regel wird. Die jahrzehntelangen Strukturen der Industriegesellschaft lösen sich auf.

    Im überspitzten Szenario gehen die Menschen nicht mehr zur Arbeit; statt dessen kommt die Arbeit zu ihnen. Mein Büro ist immer da, wo mein Laptop ist, verkünden die modernen Telearbeiter. Üblich wird der schnelle Wechsel zwischen Betrieb und Privatwohnung, die Kommunikation per Handy im Zug oder auf dem Flughafen, die phasenweise Tätigkeit im Tagungsbüro oder am Rechner des Auftraggebers. In der Wissensökonomie löst sich der feste Arbeitsort auf. Diese Entwicklung, die erst am Anfang steht, hat gravierende Konsequenzen für das Alltagsleben - und auch für die Wohn- und Stadtstrukturen, glaubt Gerd Held. Der Raumplaner an der Universität Dortmund knüpft eine Verbindung zwischen den Erkenntnissen der Arbeitsmarktforscher und stadtsoziologischen Befunden:

    Wenn man sich diesen Arbeitskraftunternehmer nur so vorstellt, dass er zu Hause in seinen vier Wänden seine Arbeitskraft qualifiziert und vermarktet, dann wird er das nicht bewältigen. Dafür braucht er den städtischen Raum, also einen relativ leicht zugänglichen Raum, wo er nicht besonders große zusätzliche Investitionen vornehmen muss, um sich ihn zu erschließen. Wenn wir uns vorstellen, dieser Arbeitskraftunternehmer würde im ländlichen oder suburbanen Raum sein, so müsste er beispielsweise ein Auto haben, er müsste große Zeitbudgets haben, und er müsste relativ weit hinfahren, zurückfahren. Er hätte also sehr große Begleitkosten für seine Lebensführung.

    Die Stadtforschung hat die Großstadt einst mit den Begriffen "Heterogenität und Dichte" charakterisiert. Genau diese Vielfältigkeit auf engem Raum erleichtert den häufig ungesichert und prekär arbeitenden Vagabunden, sich beruflich zu etablieren. Die buntgemischten innerstädtischen Viertel mit funktionierender öffentlicher Infrastruktur funktionieren als eine Art sicherer Hafen. Empirische Daten belegen, dass sich in diesen Quartieren besonders viele Mini-Unternehmen ansiedeln. Großstädtische Lagen werden für die neuen Jobnomaden zu bevorzugten Räumen.

    Mit Hilfe elektronischer Netze können Menschen heute zwar auch von der tiefsten Provinz aus mit ihren Arbeit- oder Auftraggebern kommunizieren. Die Soziologen bezweifeln aber, dass das Internet eine neue Welle der Stadtflucht auslöst. Denn der Solo-Unternehmer braucht neben dem Zugriff auf Daten auch persönliche berufliche Beziehungen. Viele Selbstständige leiden unter ihrer Vereinzelung bei der Arbeit, glaubt der Münchner Sozialwissenschaftler Hans Ponkratz:

    Viele Menschen, die heute noch über ihre Kollegen schimpfen, werden sie vielleicht noch einmal bitter vermissen. Was man heute ganz selbstverständlich hinnimmt, was in normalen Arbeitsverhältnissen gegeben ist: ein fester Arbeitsplatz, Kollegen, eine bestimmte Ausstattung, wird unter veränderten Arbeitsbedingungen, wie wir sie mit dem Arbeitskraft-Unternehmer skizzieren, sich auflösen und selbst organisiert werden müssen. In einer gewissen Form muss ich mir meine eigenen Kollegen dann suchen, mir eine Kollegenschaft schaffen. Und das ist wiederum Arbeit, die Zeit kostet.

    Arbeitsnomaden können sich weite Entfernungen und langes Pendeln nicht leisten. Sie sind besonders angewiesen auf den urbanen Mikrokosmos.

    Techniken wie E-Mail oder Videokonferenz vereinfachen zwar die schnelle Kontaktaufnahme, für viele berufliche Aktivitäten aber ist leibhaftige Präsenz nach wie vor zwingend. Die weltweite elektronische Vernetzung kann die Synergieeffekte eines verdichteten Ortes nicht ersetzen. In der Neuen Ökonomie mit ihren vielen Subfirmen und Selbstständigen übernehmen urbane Räume, was einst die Unternehmenszentrale leistete.

    Man spricht in der Stadtforschung schon von zwei Welten, der Welt der Suburbaniten und der Urbaniten: Die Suburbaniten sind eher die mit den stabilen Arbeitsverhältnissen, während sich in den Großstädten eher die, die mit höherem Risiko arbeiten, die einsamer sind und deren Existenz etwas unsicherer ist, sich dort sammeln.

    Das Verhältnis von Suburbaniten und Urbaniten ist alles andere als spannungsfrei: Angesichts der leeren kommunalen Kassen ärgern sich die Oberbürgermeister der großen deutschen Städte über ihre Kollegen in den unabhängigen Vororten jenseits der Stadtgrenze. Sie wollen nicht hinnehmen, dass sich die kleinen, aber feinen Nachbargemeinden auf ihre Kosten sanieren. Jürgen Friedrichs, Professor für Stadtforschung an der Universität Köln, beschreibt den Konflikt:

    Die Stadt stellt natürlich die Oper, das Theater, für viele die Schulen, die Verkehrswege, den Zoo, Grünanlagen, Schwimmbäder und so weiter, öffentliche Bücherhallen. Und natürlich werden diese Einrichtungen von Menschen genutzt, die im Umland wohnen, und dafür nicht zahlen. Und die Möglichkeit, wie New York das mal überlegt hat, an der Einfahrt zur Stadt eine Gebühr für die Nutzung der Stadt zu nehmen, ist sozusagen die ironische Formulierung dieses Problems.

    Nirgendwo auf der Welt, nicht einmal in Manhattan, haben sich derartige Eintrittspreise durchsetzen lassen. Dabei sind die Verhältnisse in den Vereinigten Staaten, aber auch in weniger entwickelten Ländern wie Brasilien oder Mexiko besonders extrem. Dort sind die Ballungsgebiete längst zwei- oder gar dreigeteilt. Neben der Innenstadt mit ihren Dienstleistungsfunktionen existieren, räumlich streng voneinander abgegrenzt, die Slums der Armen und die Wohngebiete der reichen Mittel- und der Oberschicht. In nordamerikanischen Großräumen wie Los Angeles oder Chicago haben sich einige dieser Wohlstandsinseln zur selbstständigen Kommune erklärt - und sich so ihrer finanziellen Verpflichtungen entledigt. Auch in Deutschland sind die kleinen Gemeinden am Rande der Metropolen bevorzugte Wohnorte der Wohlhabenden. Der Dortmunder Raumplaner Held:

    Was den Städten auffällt, ist ein negativer Trend: Dass die Schichten, die kaufkräftiger sind und auch sichere Existenzen haben, ihnen verloren gehen. Nach wie vor beklagen die Städte ein Ausziehen solcher Schichten, das wird auch weiter so andauern. Es gibt eigentlich auch nicht die Fähigkeit der Städte, dem suburbanen Umland in dieser Hinsicht Konkurrenz zu machen. Sie haben nicht die Flächen, um den gleichen Bautyp, der im Umland gemacht wird, auch in der Stadt zu errichten, auch wenn das manchmal versucht wird. Also werden sich bestimmte Auswanderungskrisen weiter zeigen.

    Historisch ist die soziale Polarisierung zwischen den Kernstädten und ihrem Umland ein relativ neues Phänomen. Im Mittelalter und bis weit in das 20.Jahrhundert hinein wohnte das wohlhabende Bürgertum in der Nähe des Stadtzentrums. Erst nach dem zweiten Weltkrieg begann - zuerst in Nordamerika, später auch in Europa - die Suburbanisierung. Leute, die es sich leisten konnten, flüchteten aus der hektischen City. Sie zogen in beschauliche Vororte, wo die Luft besser war und die Kinder noch gefahrlos spielen konnten. Ihr Einkommen verdienten die Pendler allerdings weiter im Stadtzentrum. Erst das Auto ermöglichte die neue Form der Mobilität, die räumliche Trennung von Arbeiten und Wohnen. Aus Stadtbürgern wurden auf diese Weise bloße Stadtbenutzer.

    Das Eigenheim im Grünen hat einen Teil seiner Faszination wieder eingebüßt. So manches einst reizvolle Dörfchen am Stadtrand wurde zur gesichtslosen Vorstadt. Endlose Staus verleiden vielen Berufspendlern Tag für Tag den Weg zu ihrem Arbeitsplatz. Vor allem jüngere Leute ohne Kinder ziehen es vor, zentral zu wohnen. Und gerade sie experimentieren, teils erzwungen, teils freiwillig, mit den neuen Formen der Erwerbsarbeit. Das wirkt sich auch auf die Gestaltung der Wohnungen aus, beobachtet Gerd Held:

    Man muss davon ausgehen, dass die Zeitbudgets dieser Arbeitskraftunternehmer sehr begrenzt sind. Sie können sich also auch nicht zuviel Gebäude oder Umfeld oder Garten, also zuviel ausgestatteten Wohnraum, der ja auch der Pflege bedarf, leisten. Deshalb kann man auch eine Vereinfachung der Wohnstrukturen beobachten: Das heißt, der eine große Raum, der eine gewisse Leere aufweist und dadurch auch eine gewisse Nutzungsoffenheit, ist eher typisch als der vollgestellte Raum oder der Garten, der viel Pflege braucht. Für diese Dinge hat dieser neue Haushaltstyp eigentlich gar keine Zeit.

    In den achtziger Jahren wurden die Altbauviertel der Großstädte zur bevorzugten Wohngegend des alternativen Mittelstands. Schon damals war es nie die wirklich etablierte alte Bourgeoisie, die zurück in die zuvor vernachlässigten Quartiere drängte. Hartmut Häußermann, Stadtsoziologe an der Berliner Humboldt-Universität, beschreibt die Entwicklung so:

    Wo sich das bemerkbar macht auf dem Wohnungsmarkt, werden dann die früheren Bewohner verdrängt. Die Stadtplaner haben früher die typischen Altbauinnenstadtbewohner immer mit den fünf 'A's gekennzeichnet: die Armen, die Alten, die Auszubildenden, die Ausländer und die Arbeitslosen. Das waren immer die typischen Innenstadtbewohner, und die werden, wenn dieser Prozeß der 'gentrification' einsetzt, als erste verdrängt. Weil das sind die Schwächsten am Wohnungsmarkt, und die müssen als erste weichen.

    Der Fachbegriff "gentrification" geht auf das englische "gentry" zurück, zu deutsch: niederer Adel. Das Wort beschreibt treffend die bunte Mischung aus Studenten, Überlebenskünstlern und neuen Unternehmern, die die innenstadtnahen Wohngebiete revitalisiert haben.

    Sozialwissenschaftler zeichnen das düstere Bild einer Stadt, die zerfällt: In den renovierten Gründerzeithäusern leben kinderlose und kulturell interessierte Großstadtmenschen. Dann folgen die Wohnsilos und grauen Vororte der Armen, eine Mischung aus Industriebrachen, Supermärkten und Gebrauchtwagenhandel. Weit draußen, möglichst auf Anhöhen, liegen die amerikanisch anmutenden Oasen betuchteren Privatlebens - mit Wäldern, Golfplatz und Swimmingpool. Hartmut Häußermann hält solche Szenarien für überzogen:

    Die Stadtentwicklung in der Bundesrepublik in der Zeit nach 1945 war, wenn man das vergleicht mit der Stadtentwicklung in den USA oder Großbritannien, eigentlich weniger gespalten. Der soziale Wohnungsbau hat dabei eine große Rolle gespielt. Er hat es auch Bevölkerungsgruppen mit geringeren Einkommen ermöglicht, an Standorten zu wohnen, die von ihrer Lage her eigentlich attraktiver sind und dann üblicherweise von höheren Einkommensgruppen besetzt werden. Das ist ein Zustand, auf den wir zusteuern. Deswegen kann man von einer drohenden Spaltung in den Städten sprechen, aber die gegenwärtige Situation wäre wahrscheinlich überzeichnet, wenn man sie damit beschreiben würde.

    Soziale Spaltung, die sich auch räumlich auswirkt, existiert in Deutschland vor allem zwischen der verarmten Kernstadt und ihrem prosperierenden Umland. In Stadtstaaten wie Hamburg, Bremen und Berlin ist dieser Trend besonders spürbar. Die Zentren der Ballungsräume bieten Hunderttausende von Arbeitsplätzen - ihre Steuern zahlen die Pendler am Wohnort. Der Deutsche Städtetag, der Zusammenschluss der Gemeinden mit über 100.000 Einwohnern, kritisiert die einseitige Verteilung der öffentlichen Aufgaben. Der Kölner Stadtforscher Jürgen Friedrichs fordert eine stärkere Kompensation zugunsten der Zentren.

    Selbstverständlich müssten die Umlandgemeinden dafür zahlen, dass sie davon entlastet sind in gewisser Weise, die Kosten für die Infrastruktur zu leisten. Nach dem Motto: Das macht schon die Großstadt und die Pendler werden dort schon alles finden, was sie brauchen. Wir stellen sozusagen die angenehme Wohnumgebung. Das kann natürlich nicht ewig so weiter gehen. Und bei der Finanzkrise der Städte werden solche Diskussionen natürlich immer lauter werden, völlig klar.

    Wenn die Umlandbewohner zum Arbeiten oder zum Einkaufen mit ihren Autos in die Großstädte rollen, verstopfen sie die Durchgangsstraßen, beanspruchen Parkplätze und verschmutzen die sowieso schon schlechte Luft. Die Pendler wollen beides, ländliche Beschaulichkeit und städtische Betriebsamkeit - und schmälern die vielerorts ohnehin niedrige Lebensqualität der Anwohner.

    Die Folgen sozialer Umbrüche sind in den großen Städten viel stärker spürbar. Hier konzentriert sich der Mietwohnungsbau, hier leben die Armen, aber auch die neuen prekären Selbständigen. Die Anonymität der Metropole bietet Freiräume ohne soziale Kontrolle - für jene risikofreudigen Nomaden, die der Dortmunder Stadtforscher Gerd Held als typisch für die "Neue Urbanität" ausgemacht hat.

    Die traditionelle Großstadttheorie hat eigentlich Großstadt immer so definiert, dass dort die Begegnung mit dem Fremden wahrscheinlich ist. Dass man dort Leute trifft, die man nicht einschätzen oder genau erkennen kann. Aber dass man trotzdem in der Großstadt mit ihnen Verbindung aufnehmen kann. Und in der neuen Situation der Erwerbstätigkeit in kleinen Unternehmen scheint diese Situation wiederzukehren. Also die Situation, dass Unternehmen Unbekannte, Fremde treffen und dass ihre Geschäftsbeziehungen auf Fremdheit, Unbekanntheit, Unsicherheit aufbauen.

    Im Jahr 2010, so glauben Experten, wird nur noch die Hälfte aller Arbeitnehmer über eine feste Anstellung verfügen. Den Kranken- und Rentenversicherungen kommen die Mitglieder abhanden, weil immer mehr Menschen unterhalb der Versicherungsgrenze arbeiten oder in ein ungeschütztes Freiberuflertum abgedrängt werden.

    Mit diesen neuen sozialen Problemen müssen sich vor allem die Großstädte auseinandersetzen. Die Polarisierung zwischen Kern- und Randgemeinden lässt sich eben nicht darauf reduzieren, dass Umlandbewohner gelegentlich Zoos, Museen oder Theater besuchen und dabei von städtischen Zuschüssen profitieren. Die gemeinsame Verantwortung für den Ballungsraum als Ganzes fehlt vor allem bei den kostspieligen Sozialleistungen.

    Der Deutsche Städtetag fordert deshalb eine neue regionale Instanz mit eigener Finanzhoheit. Ein Pilotprojekt startete bereits in Niedersachsen: die "Region Hannover". 500.000 Kernstadt- und 600.000 Umlandbewohner wählten gemeinsam ein Parlament, an dessen Spitze der Regionspräsident steht. Die neue Verwaltungseinheit, an der 21 Kommunen beteiligt sind, soll einvernehmliche Lösungen erarbeiten. Der Konflikt der Großstädte mit ihrem "Speckgürtel" um umstrittene Themen wie Verkehr, Wohnungsbau, Gewerbeansiedlung, Sozialpolitik oder Kultur soll damit ein Ende haben.

    Raumplaner Held findet es wichtig, die Probleme der Städte und die des Arbeitsmarktes stets gemeinsam zu betrachten. In seiner Vision trifft die neue Form der Arbeit auf eine neue Urbanität.

    Nur unglücklicherweise laufen diese beiden Reflektionen über diese Trends sehr getrennt, und es liegt sehr nahe, sie zu verbinden und daraus die Losung zu machen: New Work needs new urbanism. Und dadurch beide Seiten auch zu stärken: sowohl die neue Erwerbstätigkeit stärker abzusichern durch den großstädtischen Raum, und umgekehrt auch den großstädtischen Raum dadurch, dass er Bürger findet, belebt und genutzt wird, seinerzeit abzusichern gegen Ausblutungstendenzen.