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Neue Bauern braucht das Land

Ein Drittel der landwirtschaftlichen Betriebe in Italien hat Besitzer, die unter 40 Jahre alt sind. In der Krise, in der Firmen und Fabriken massenweise Leute entlassen, zeigt der italienische Landwirtschaftssektor eine klare Gegentendenz. 2012 wuchs die Beschäftigungsquote um neun Prozent.

Von Kirstin Hausen | 24.09.2013
    Tomaten, Paprika, Auberginen und Oliven statt Polstersitze und Verschalungen. Marina del Vecchio war mehr als 20 Jahre lang als Vertriebsleiterin in einer Zuliefererfabrik für Autos beschäftigt. Jetzt zieht sie ihr eigenes Gemüse und bewirtschaftet drei Hektar Land im Aosta-Tal.

    "Seit einem Jahr besitzen mein Freund und ich diesen Hof. Wir mussten eine Reihe von Kursen belegen, darunter einen bei der Feuerwehr. Ein Feuer kann leicht ausbrechen und wir haben einen vollen Heuschober, da muss man wissen, was im Ernstfall zu tun ist.”"

    Marina nimmt es genau mit der Sicherheit in ihrem Betrieb. Sie hat ehrgeizige Pläne. Neben landwirtschaftlichen Produkten möchte sie gemeinsam mit einer Freundin aus der Kosmetikbranche auch Hautcremes und Pflegeöle aus ihren Oliven herstellen. Und ihr Freund Guido, Informatiker und ehemaliger Controller in einem Großkonzern, ist dabei, einen Teil der Stallungen in Gästezimmer zu verwandeln. "Multifunktional” nennt der Landwirtschaftsdezernent des Aostatals Giuseppe Isabellon diese Ausrichtung und er lobt sie ausdrücklich.

    " "Unsere Region lebt auch vom Tourismus und wer auf seinem Hof neben der landwirtschaftlichen Produktion auch noch Urlauber aufnimmt, hat mehr Einnahmemöglichkeiten. Das ist nur gut!"

    Menschen wie Marina und Guido sind keine geborenen Bauern, und ohne die Wirtschaftskrise mitsamt Jobverlust säßen sie heute wahrscheinlich immer noch in ihren Bürosesseln und nicht auf dem Mähdrescher. Aber sie bringen Begeisterung und neue Ideen in einen Wirtschaftssektor, der ebenfalls nicht krisenresistent ist. Die Landwirtschaft muss sich neu erfinden, fordert Chiara Tschavolic vom italienischen Bauernverband.

    "Die jungen Leute spielen dabei eine Schlüssel- und Vorreiterrolle. Sie sind eher bereit, sich aus der passiven Rolle des Produzenten in einen aktiven Unternehmertypus weiterzuentwickeln. So haben wir das Projekt einer rein italienischen Produktionskette vom Hersteller bis zum Konsumenten vor allem mit Unterstützung unserer jungen Mitglieder lancieren können."
    Denn ein Problem der italienischen Bauern ist ihre Abhängigkeit von ausländischen Multikonzernen, vor allem französischen und spanischen, die ihnen die Preise diktieren und sich um Weiterverarbeitung, Verteilung und Verkauf kümmern. Direktverkauf ab Hof, Bauernmärkte und Konsumentengruppen im Internet sollen gegensteuern. Der ehemalige Webdesigner Emanuele Pocci hat mit seinem "Orto online”, einem virtuellen Gemüsegarten großen Erfolg.

    " "Ich schicke einen wöchentlichen Newsletter an meine Kunden, die sich auf der Seite registriert haben und informiere sie, welche Gemüsesorten ich in der Woche ernte. Sie können mit ein paar Klicks bestellen und ich bringe ihnen dann den Einkauf nach Hause.”"

    Einfach, aber effektiv. Keine Zwischenhändler, keine Margen, die verloren gehen. Bessere Preise für bessere Produkte zahlt auch Pietro Parisi, Spitzenkoch aus Kampanien, der Jobs in Hongkong und Dubai aufgegeben hat, um seiner Heimat in der Krise beizustehen. Mitten in der neapolitanischen Provinz eröffnete er ein Restaurant mit ausschließlich lokalen Gerichten und Produkten. Er hat mehrere Kleinbauern ermutigt, traditionelle Gemüsesorten, die aus den Supermarktregalen verschwunden waren, wieder anzupflanzen. Er garantiert ihnen die Abnahme der gesamten Ernte, unabhängig von der Menge. Denn was er nicht im Restaurant verwertet, dass macht er ein und verkauft es in schlichten Weckgläsern als gesunde Zwischenmahlzeit.

    ""Ein junger Italiener, der bei Fiat beschäftigt war und entlassen wurde, hat angefangen, für mich eine alte Tomatenart anzubauen, die nur in der fruchtbaren Vulkanerde rund um den Vesuv gedeiht. Diese Tomaten sind recht klein, aber sehr saftig, fast schon süß. Sie schmecken nach Sonne, nach Hitze und nach der Erde des Vesuvs.”"

    Die Produktion qualitativ hochwertiger Nahrungsmittel und ihre Weiterverarbeitung lohnt sich. Das merken immer mehr junge Italiener, die in anderen Branchen keine Zukunftsperspektiven mehr sehen.