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Neue Bezahlmodelle für Journalismus
Spezialisierte Newsletter als Einnahmequelle

Wie finanziert sich Journalismus trotz sinkender Auflagen? Der "Tagesspiegel" versucht es mit zwei kostenpflichtigen Newslettern, die sich gezielt an "Entscheider" richten. Geschrieben werden sie von hochspezialisierten Journalisten.

Von Grit Eggerichs | 06.02.2019
    Jemand sitzt an einem Tisch vor einem Laptop und hält mit einer Hand ein Smartphone, im Hintergrund ist ein Fahrrad zu sehen, im Vordergrund eine Tasse.
    Der "Background"-Newsletter des "Tagessspiegels" richtet sich an "Entscheider" in Politik, Unternehmen und NGOs (Imago / Westend61)
    Die Redakteure vom "Background Klima & Energie" des "Tagesspiegels" haben sich tief in die Verhandlungen der Kohlekommission gegraben. Nach der Einigung rechnen sie vor, was der Kohleausstieg in den nächsten Jahren kosten wird. Andere Medien tun das auch, aber nicht in dieser Tiefe und Ausführlichkeit. Seit knapp zwei Jahren recherchiert und schreibt eine Handvoll Redakteure zu Klima- und Energiethemen - ausschließlich. Offenbar ein Erfolgsmodell, denn seit Oktober gibt es in der Reihe "Background" auch noch ein Briefing zum Thema "Digitalisierung und KI".
    Redaktionsleiter ist Sascha Klettke: "Wir sind eine sechsköpfige Redaktion, die sich mit Digitalisierung beschäftigt. Und das nochmal unterteilt. Also jeder ist in diesem Gebiet noch mal Spezialexperte für ein Gebiet oder zwei oder drei. Ich schreibe zum Beispiel hauptsächlich über Regulierung von IT-Sicherheit und E-Government. Und auf dem Gebiet kenn ich mich halt sehr gut aus und verfolge alle Entwicklungen; und das machen die Kollegen genauso."
    Spezialwissen statt oberflächliches Tagesgeschäft
    Ein Maß an Spezialisierung, das vielleicht nicht jeder Leser schätzen würde - und das es sonst beim Tagesspiegel auch so nicht gibt. Im Alltagsgeschäft ist kaum Zeit, sich so gründlich in eine Materie zu vertiefen. Tagesaktuell arbeiten heißt für Journalisten in vielen Redaktionen: Sich in mehreren unterschiedlichen Themen halbwegs auszukennen - und zu wissen, wie man schnell die nötigen Fakten recherchiert.
    Sascha Klettke: "Einer der Gründe dafür, dass es uns gibt, ist genau, dass das passiert: Dass in klassischen, auch überregionalen Tageszeitungen die Themengebiete breiter geworden sind, es weniger tiefes Expertenwissen gibt und dass es Unternehmen gibt, die bereit sind dafür zu zahlen, dass ihnen das jemand recherchiert und aufschreibt.
    179 Euro für vier Zeitungsseiten
    Ein "Background"-Abo kostet 179 Euro als Einzellizenz, bei mehreren wird es günstiger. Dafür gibt es Text im Umfang von rund vier Zeitungsseiten. Das ist nicht billig, aber die Briefings sind auch nicht für jeden und jede gedacht. Abonnenten sind Politikerinnen, Unternehmer in den jeweiligen Branchen, NGOs – der "Tagesspiegel" nennt sie "Entscheider". Auf dem deutschen Zeitungsmarkt gibt es bislang wenig Vergleichbares. Die "Börsen-Zeitung" bietet drei spezialisierte Newsletter zu Wirtschafts- und Finanzthemen an, den teuersten für knapp 70 Euro im Monat.
    Vergleichbar mit dem "Background" ist "Politico Europe". Die Redaktion in Brüssel erstellt täglich Newsletter zu Themenbereichen wie Mobilität, Brexit und Digitalisierung - zu haben ab 7.000 Euro im Jahr. Wie beim "Background" werden die Texte exklusiv weitergegeben: Wer eine Lizenz hat, darf die Inhalte nicht weiterverbreiten, sie nicht in sozialen Netzwerken teilen und sie nirgends zitieren.
    Redaktionsstellen wohl nicht so begehrt
    Finden Journalisten es attraktiv, für einen kleinen Kreis statt für die breite Öffentlichkeit zu produzieren? Sascha Klettke vom Digitalisierungs-Briefing sagt dazu natürlich ja. "Es ist ein total schönes Gefühl, als Journalist so tief im Thema zu sein und oft auf Augenhöhe mit den Gesprächspartnern zu sein und dadurch ganz andere Fragen stellen zu können."
    Hinter den Kulissen ist aber schon zu hören, dass es nicht ganz einfach war, die Redakteursstellen in den Briefing-Redaktionen zu besetzen. Gerade bei den politisch umstrittenen Themen Klimawandel, Energiepolitik und Digitalisierung haben viele Journalisten das Bedürfnis, öffentliche Debatten anzustoßen und mitzugestalten.
    Enge Zusammenarbeit mit der Printredaktion
    Können sie ja auch, sagt der Redakteur. Als Hacker Anfang des Jahres empfindliche Daten mehrerer Politiker online stellten, da haben Klettke und seine Kollegen täglich für den "Tagesspiegel" geschrieben. Als der Hambacher Forst zum Symbol für deutsche Klimapolitik wurde, hatten die Kollegen von der Klima-Redaktion ebenfalls jeden Tag Artikel und Kommentare in der Zeitung.
    "Und das Besondere ist halt, dass jetzt sich bei uns ein Team von fünf Redakteuren, die sich sehr gut mit dem Thema IT-Sicherheit auskennen, sofort auf das Thema stürzen können und dann sowohl für die Tageszeitung als auch das Briefing arbeiten können."
    Auch das Management der Tagesspiegelgruppe betont die "positiven Wechselwirkungen" durch mehrere Formate unter einem Dach. Neben den "Backgrounds" gibt es auch Fachveranstaltungen mit hochkarätigen Referenten - genau auf bestimmte Zielgruppen zugeschnitten und kostenpflichtig. Alles Teil einer Strategie, die das Unternehmen langfristig aus den roten Zahlen herausholen soll. Die Marke "Tagesspiegel" ist für Besucher attraktiv. Andersherum werben die Veranstaltungen und die Newsletter auch erfolgreich Abonnenten für die Zeitung.
    Fundierter Journalismus für eine spezialisierte Öffentlichkeit
    "Politico" hat in Europa etwa 45.000 Abonnenten für verschiedene Themenbereiche. Der "Tagesspiegel" gibt keine Zahlen heraus - weder zur Tageszeitung noch zu den Briefings. "Kein Geheimnis ist, dass wir weniger Leser haben als die Tageszeitung, und man kennt die Community, sieht sich auf Veranstaltungen und bekommt relativ viel Feedback", sagt Sascha Klettke.
    Die Briefings des "Tagesspiegel" bewegen sich in einer kleinen spezialisierten Öffentlichkeit. Mit einem vierwöchigen Probeabo kann auch ein nichtspezialisiertes Publikum einen Eindruck gewinnen, wie fundiert Journalismus sein kann, wenn Redakteure ausreichend Zeit haben, sich auf ein Thema zu konzentrieren.