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Neue Chance für die Erinnerung

Alte Familienfilme stauben in vielen Kellern vor sich hin, bis sie zu Weihnachten oder am Geburtstag plötzlich wieder gebraucht werden. Daraus hat ein kleines Münchner Familienunternehmen eine Geschäftsidee entwickelt und rettet vergessenes Filmmaterial vor dem Verfall. Es wird dabei nicht nur digitalisiert, sondern gleich zu einem neuen Film verarbeitet.

Von Barbara Roth |
    Der Postbote hat wieder mal ein Paket vorbeigebracht. Der Kiste sieht man an, dass sie jahrelang irgendwo vergessen in einer Ecke stand und verstaubte. Chris Brockhaus schleppt das Paket in ihr Wohnzimmer. Als sie es öffnet, muss sie erst mal niesen.

    "Wenn man die auspackt, kommen einem buchstäblich die Spinnweben entgegen. Da rieselt es dann raus, weil die jahrelang im Keller waren und gar nicht mehr angeschaut wurden."

    Der Inhalt des Pakets: 20 kleine Filmrollen. Es sind Super-8-Filme, die in den 60er und 70er Jahren der Renner waren. Damals begeisterte die neue Super-8-Technik eine ganze Generation. Man bannte auf Zelluloid, was die damals neuen Schmalfilmkameras hergaben: Hochzeiten, den runden Geburtstag der Großmutter, das erste Auto, das Baby, Urlaubsreisen und, und, und.

    "Es hat alles einen das Erste-Mal-Charakter. Man ging wieder auf Reisen und filmte alles ab. Es kommt fast immer Sylt vor, St. Anton im Winter, Amerika und Spanien. Das hier zum Beispiel ist aus dem Jahr 1965. Also über 30 Jahre lagern die irgendwo. Und wenn man die nicht irgendwann mal rettet, dann gehen die auch kaputt, wenn Feuchtigkeit ran kommt oder die Farbe geht ab, dann sind die verloren, dann schimmeln die richtig."

    Was sehr schade wäre, denn der persönliche Wert dieser individuellen Familienfilme ist hoch. Oftmals ist es aber leider so, dass die filmischen Schätze von anno dazumal irgendwo im Keller vergammeln. Was auch bei der Familie Brockhaus so war - bis Tochter Stefanie ihrem Vater ein besonderes Geschenk machen wollte.

    "Ich habe für meinen Vater zum 60.Geburtstag einen Familienfilm gemacht aus dem alten Material. Den haben wir auf seiner Party vorgeführt, und der kam so gut an, die Leute waren begeistert. Und dann kamen etliche seiner Freunde zu mir und fragten, kannst du nicht auch so einen Film für mich machen, das sei so schön. Ich machte mehrere kleine Projekte für andere und dann haben wir daraus so eine Geschäftsidee entwickelt, und wir dachten, dass Potential ist einfach da, es gibt sehr viele von diesen Filmen. Und das Material ist so schön, dass es schon eine tolle Aufgabe ist, sich damit zu befassen und daraus auch was zu machen. Und die Idee ist, daraus einen Film zu machen."

    Stefanie Brockhaus ist vom Fach, sie ist Dokumentarfilmerin. Die 27-Jährige hat an der Filmhochschule in London studiert. Ihre Geschäftspartnerin ist die eigene Mutter. Chris Brockhaus hat jahrelang im Marketing eines Verlags gearbeitet. Den beiden war schnell klar, dass sich mit ihrer Idee Geld verdienen lässt. Vor zwei Jahren gründeten sie in München eine kleine Firma mit passendem Namen Familyfilms - Familienfilm.

    "Wir kriegen diese Kiste, das sind oft ganze Archive, die über Jahre zusammengekommen sind. Wenn man das hintereinander abspielt, dann sind das oft zwei, fünf, zehn Stunden Filmmaterial. Das schaut sich keiner an, auch nicht auf zehn DVDs. Das ist ja nur eins zu eins digitalisiert. Der eigentliche Mehrwert, den wir machen, ist, daraus einen schönen Film zu machen, der auch anschaubar ist. Der vielleicht eine halbe Stunde oder Stunde dauert und der auch spannend ist. Und auch mit Musik unterlegt ist. Und die besten Szenen sind zusammengebaut, wo auch Menschen vorkommen und nicht nur Landschaft. Das ist dann das, was bleibenden Wert hat, was Eltern den Kindern schenken oder Kinder den Eltern und woran die sich dann freuen."

    Was vielleicht einfach klingt, ist aufwändig. Die Super-8-Filme und auch deren Nachfolger VHS-Cassetten, Betamax oder Video 2000 werden eins zu eins digitalisiert, professionell geschnitten und mit Musik und Ton unterlegt. Schlussendlich erhält der Kunde eine DVD, die er zuhause nur noch einlegen muss, um sich den Film dann im Fernseher anschauen zu können.

    "Es ist auch keine reine Dienstleistung. Man muss ja auch den kreativen Wert der Arbeit sehen. Man kann ganz klar Akzente setzen und dem Film eine Stimmung geben und Entscheidungen treffen, die kreative Entscheidungen sind."
    Manchmal sitzt Stefanie Brockhaus zwei Wochen am Schnittcomputer und bearbeitet das stundenlange Material. Sie ist für den kreativen Part zuständig. Ihre Mutter für Buchhaltung, Marketing und Versand. Jeder Film soll ein eigenes kleines Kunstwerk sein. Mit Vor- und Abspann, denn Stefanie Brockhaus will kleine Geschichten erzählen.

    "Wir machen einen Kostenvoranschlag - je nachdem wie viel Material es gibt und wie lange das Endprodukt werden soll. Ich mache dann eine Abschätzung, wie viele Tage ich daran sitzen werde. Und dann wird das tageweise berechnet. Ein einstündiger Film, der liegt so bei 1.500 Euro."
    Noch kann das Mutter-Tochter-Gespann vom Gewinn seiner kleinen Firma nicht leben. Noch werden die Einnahmen reinvestiert in die technische Ausstattung wie Schnittcomputer, Projektoren, Kameras und DVD-Laufwerke.

    "Unsere Firma ist noch in der Aufbauphase. Es ist eine gute Grundlage, aber wir machen nebenher noch andere Jobs. In der Gewinnzone sind wir vielleicht nächstes Jahr, weil man hat auch Kosten und Investitionen. Aber langfristig sehen wir darin ein gutes Geschäft. Wir setzen auf die Kunden, wer zufrieden ist, der sagt es seiner Familie und Freunden."

    Mutter und Tochter glauben an das Potential ihrer kleinen Firma. Firmensitz ist die Wohnung der Mutter, in der es bald wieder hektisch zugehen wird - denn das Weihnachtsgeschäft läuft bereits langsam an. Dann werden die beiden wieder mit freien Mitarbeitern arbeiten müssen, zu Weihnachten fällt nämlich vielen die im Keller stehende Kiste mit den alten Familienfilmen wieder ein.

    "Unsere Firma war ein Start-up, aber leider haben wir keine staatliche Unterstützung bekommen. Wir passten da in kein Raster. Vom Arbeitsamt wurde mir gesagt, ich falle nicht in die Kategorie Ich-AG, weil ich nicht arbeitslos war. Wir bräuchten aber eine Finanzspritze, um mal richtig Werbung machen zu können, um Kunden zu erreichen. Deutschlandweit Werbung zu machen oder Mailings zu starten - das können wir nicht bezahlen."

    Noch müssen sich die Brockhaus auf Mundpropaganda verlassen; darauf, dass zufriedene Kunden sie weiterempfehlen.