Freitag, 19. April 2024

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Neue Details zum Breitscheidplatz-Attentat
"Diesem Bilal Ben Ammar mal auf den Zahn fühlen"

Eine Kontaktperson des Attentäters vom Breitscheidplatz wurde kurz nach der Tat nach Tunesien abgeschoben. Der SPD-Politiker Mahmut Özdemir sagte im Dlf, den Behörden zu unterstellen, man habe ihn einfach laufen lassen, hält er für falsch. Der Mann müsse aber vernommen werden.

Mahmut Özdemir im Gespräch mit Jasper Barenberg | 22.02.2019
Rettungsarbeiten nach dem Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt Breitscheidplatz im Dezember 2017.
Am 19. Dezember 2016 war der islamistische Attentäter Anis Amri mit einem gestohlenen Laster in den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche gerast (dpa)
Jasper Barenberg: Am Telefon ist der SPD-Bundestagsabgeordnete Mahmut Özdemir. Er ist Mitglied im Innenausschuss und auch im Untersuchungsausschuss. Schönen guten Tag, Herr Özdemir.
Mahmut Özdemir: Schönen guten Tag.
"Harte Fakten"
Barenberg: Der Islamist Bilal Ben Ammar, ist das ein Komplize, ein Freund, ein Bekannter, oder wie ist Ihr Stand der Dinge?
Özdemir: Na ja. Jetzt darf man nicht zu viele Dinge in einen Topf werfen und verrühren. Erst hieß es Kontaktperson, jetzt Komplize, dann wird er auf einmal zum Mitglied des marokkanischen Geheimdienstes. Das sind viele Arbeitsthesen und Theorien. Sicher ist, dass wir wissen, dass Bilal Ben Ammar eine Kontaktperson des Attentäters Anis Amri gewesen ist, und vor dem Anschlag haben sie sich in einem Berliner Imbiss getroffen. Das sind für sich genommen natürlich schon harte Fakten, und er geriet auch unmittelbar nach dem Anschlag ins Visier der Sicherheitsbehörden und wurde in U-Haft genommen. Aber den Sicherheitsbehörden jetzt diese fast schon an Betrug grenzende Unterstellung vorzuwerfen, dass man, nur weil man nichts aus ihm rausgekriegt hat, ihn einfach laufen lässt und dadurch Straftat aufklärende Informationen einfach in den Wind schlägt, das glaube ich beim besten Willen nicht, dass unsere Sicherheitsbehörden, die mit einem großen Arbeitsethos und mit einem großen, am Staatswohl orientierten Arbeitsethos vorgehen, so was in den Wind schlagen. Das kann ich mir einfach nicht vorstellen. Dennoch gehen wir allen Thesen, auch die von der Opposition geführt werden, natürlich im Untersuchungsausschuss mit dem entsprechenden Aktenstudium auch nach.
Der Bundestagsabgeordnete Mahmut Özdemir (SPD) 
Der Bundestagsabgeordnete Mahmut Özdemir (SPD)  (ps / Soeren Stache)
"Das Natürlichste, das man dieser Person habhaft wird"
Barenberg: Beunruhigt es Sie denn etwa, wenn die Kollegen vom "Focus" aus einer E-Mail zitieren an die Bundespolizei vom 28. Dezember 2016, in der es mit Blick auf Ben Ammar heißt, seitens der Sicherheitsbehörden und des Bundesinnenministeriums besteht ein erhebliches Interesse daran, dass die Abschiebung erfolgreich verlaufen soll? Beunruhigt Sie das?
Özdemir: Das beunruhigt mich nicht - der Gestalt, weil ich aus dem Aktenstudium und aus den entsprechenden Akten auch zu Bilal Ben Ammar entsprechende Erkenntnisse habe. Hier ist doch folgendes passiert: Wir wissen, dass wir eine gefährliche Person in Deutschland haben, und wir wissen, dass diese Person möglicherweise einen Anschlag plant oder an einem Anschlag beteiligt sein könnte und so weiter. Das ist doch das Natürlichste, dass man dieser Person habhaft wird, sie vernimmt und dann anschließend so schnell wie möglich versucht, außer Landes zu schaffen, damit wir die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes schützen.
BKA-Kollegen "bislang noch nicht vernommen"
Barenberg: Aber, Herr Özdemir, gilt das auch, ohne herauszufinden oder den Versuch zu machen zu ergründen, wie weit er oder ob er überhaupt im engeren Sinne in die Tat verwickelt worden ist? Sie haben vorhin gesagt, Sie halten diese Person für eine Kontaktperson, wollen nicht von Komplizen sprechen. Aber das genau scheint ja offen zu sein. Ist es in einer solchen Situation dann in Ordnung, ihn abzuschieben?
Özdemir: Sehen Sie, wir haben bislang noch nicht die Kolleginnen und Kollegen des BKA in dieser Angelegenheit vernommen im Untersuchungsausschuss. Deshalb finde ich auch sehr fragwürdig, dass die Kolleginnen und Kollegen von Linken und Grünen einfach Theorien, die das Schlechteste in unseren Sicherheitsbehörden suchen, einfach zu Arbeitstheorien der Öffentlichkeit erheben. Wir werden die Einschätzung, oder inwieweit die Einschätzung voreilig gewesen ist, Bilal Ben Ammar einfach außer Landes zu bringen, im Untersuchungsausschuss auch prüfen müssen und auch die in den Presseberichten aufgeworfenen Spekulationen über eine mögliche Tätigkeit des Ben Ammar, für einen ausländischen Nachrichtendienst gearbeitet zu haben. Auch der werden wir selbstverständlich nachgehen. Aber im Moment sind das nur Theorien, die wir entweder durch Akten nachhaltig beweisen müssen, oder durch entsprechende Zeugenvernehmungen bestätigen müssen, und wenn sie nicht bestätigt werden, dann sind es höchstens Mutmaßungen, aber noch lange keine Erkenntnisse.
"Krude Theorien einfach mal stecken lassen"
Barenberg: Zu diesen Mutmaßungen gehörte bisher ja auch, dass es angeblich Filmaufnahmen geben soll, unmittelbar nach dem Anschlag aufgenommen von einer Kamera auf einem Hochhaus am Breitscheidplatz in Berlin. Die sollen zeigen, dass eine Person, die Ähnlichkeit mit Ben Ammar hat, dort mit einem Kantholz um sich schlägt, um dem Täter die Flucht zu ermöglichen. Es heißt, dieses Video sei in der letzten Sitzung im Untersuchungsausschuss gezeigt worden. Stimmt das und wie bewerten Sie dieses Video?
Özdemir: In welchem Untersuchungsausschuss soll ein Video gezeigt worden sein?
Barenberg: Im Untersuchungsausschuss des Bundestages soll dieser Film, soll dieses Filmmaterial vorgeführt worden sein. Und ich frage Sie einfach, weil der gerade getagt hat, ob das tatsächlich so ist und das stattgefunden hat und wie Sie das einschätzen.
Özdemir: Ich habe den Untersuchungsausschuss von Anfang bis Ende mit kurzen Unterbrechungen mitgenommen und habe auch mit Herrn Vorsitzenden Schuster darüber gesprochen. Der kennt kein Video und ich glaube auch, dass man über eine Videostunde, die stattgefunden hat, mich unterrichtet hätte in meiner kurzen Abwesenheit. Nein, ein solches Video ist mir nicht bekannt und findet sich auch in den Akten und auf den Datenträgern nicht wieder. Wer dieses behauptet und ein Video hat, der sollte sich mal schleunigst mit dem Untersuchungsausschuss in Verbindung setzen, oder solche kruden Mutmaßungen und solche kruden Theorien einfach mal stecken lassen.
"Ein Video ist mir nicht bekannt"
Barenberg: Die Deutsche Presseagentur meldet, im Untersuchungsausschuss war am Donnerstagabend auch über Aufnahmen vom Tatort an der Gedächtniskirche gesprochen worden, auf denen angeblich Bilal Ben Ammar zu sehen sein soll.
Özdemir: "Gesprochen worden" ist korrekt. Aber ein Video ist mir nicht bekannt und liegt mir auch nicht vor.
Barenberg: Es wurde über Aufnahmen gesprochen, aber es ging nicht um Videoaufnahmen?
Özdemir: Es wurde von den Kollegen darüber gesprochen. Ich weiß jetzt nicht, ob im Untersuchungsausschuss exakt, aber mir liegen solche Aufnahmen nicht vor. Deshalb ist es jetzt relativ brotlos, über ein Video zu sprechen, was keiner kennt und was keiner gesehen hat.
"Das ist der einzige Weg, das aufzuklären"
Barenberg: Da haben Sie Recht. Aber wofür Sie sich einsetzen würden - so habe ich Sie bisher verstanden - ist, Ben Ammar noch mal zu vernehmen. Der Vorsitzende Armin Schuster sagt, das soll im Ausland geschehen. Sind Sie mit diesem Plan einverstanden?
Özdemir: Zu vernehmen auf jeden Fall. Es wäre aberwitzig, wenn sich jetzt irgendjemand dagegenstellen würde zu sagen, das geht nicht oder es gibt keine Möglichkeiten. Wir brauchen ein authentisches Format, diesem Bilal Ben Ammar mal auf den Zahn zu fühlen und als Zeugen zu vernehmen, inwieweit er einen Tatbeitrag oder einen unterstützenden Beitrag zu der Tat von Anis Amri geleistet hat. Das ist der einzige Weg, das aufzuklären. Inwieweit er gesprächsbereit oder gesprächsfähig ist, werden wir erst wissen, wenn wir oder andere Sicherheitsbehörden von möglicherweise Partnerdiensten auch seiner habhaft sind oder geworden sind.
Barenberg: Herr Özdemir! Entschuldigung, wenn ich Sie unterbreche. Das heißt doch auch, Sie wollen etwas aufklären, was bisher von den Sicherheitsbehörden offenbar versäumt worden ist.
Özdemir: Nein, das sehe ich nicht. Ich will überprüfen oder ich muss überprüfen - das ist meine Pflicht als Mitglied des Untersuchungsausschusses -, ob die von der Opposition gefertigte Theorie - man muss ja sagen, dass diese Theorie aus verschiedenen Bruchstücken und Mutmaßungen zusammengesetzt ist - …
"Man muss Bilal Ben Ammar persönlich vernehmen"
Barenberg: Sagen wir Puzzle-Steinen.
Özdemir: … aus verschiedenen Puzzle-Steinen möglicherweise. Ich kann mir allerdings nicht vorstellen, dass Ben Ammar durch das BKA oder irgendwelche anderen Sicherheitsbehörden vorsätzlich durch Abschiebungen zur Vertuschung, wie es heißt, oder zur Straffreistellung außer Landes geschafft worden ist. Deshalb muss man jetzt die Theorie überprüfen, ob die Sicherheitsbehörden in Deutschland voreilig Bilal Ben Ammar außer Landes gebracht haben, abgeschoben haben. Das ist die einzige Theorie, die der Untersuchungsausschuss zu überprüfen hat, und dafür muss man Bilal Ben Ammar persönlich auch in einem authentischen Format wie und wo auch immer vernehmen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.