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Geniale Künstler, Ex-Künstler und Morde im Künstlermillieu

Wie entsteht Kunst? Eine zentrale Frage in Jacques Doillons Film "Auguste Rodin". Auch die Sven-Regener-Verfilmung "Magical Mystery" beschreibt die Entstehung von Kunst, aber im Techno-Rave-Milieu. In "The Limehouse Golem" im London des 19. Jahrhunderts geht es neben Kunst allerdings auch um viel Mord und Totschlag. Kino eben.

Von Hartwig Tegeler | 30.08.2017
    Szene aus "Magical Mystery"
    In "Magical Mystery" muss Karl Schmidt auf einen Stall voller Raver aufpassen (DCM/Gordon Timpen)
    "Ich darf nicht mehr, Raimund." – "Darfst du denn kiffen?" – "Ich darf gar nichts mehr."
    Karl Schmidt ist clean.
    "Gar nichts." – "Nur Kaffee und Zigaretten."
    "Wie bei den Beatles"
    Und deswegen heuern in "Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt" die Techno-Produzenten Ferdi und Raimund eben Karl an. Gerade aus seiner drogentherapeutischen WG raus, wird Karl zu einer Mischung aus Mädchen für alles und Aufpasser. Weil wenigstens er bei der Techno-Rave-Tour morgens nüchtern ist. Also:
    "Wer morgen früh nicht mitkommt, kriegt seinen Arsch versohlt."
    So kann es im Bus losgehen.
    "Magical Mystery. Wie bei den Beatles. Nur auf Rave."
    Nummernrevue mit skurrilen Einfällen
    Unter der organisatorischen Direktive von Karl, den Charly Hübner wunderbar spielt als lakonischen Ex-Künstler, der seinen psychischen Zusammenbruch, den er am Ende vom Film "Herr Lehmann" erlitten hat, gerade so überlebte. Doch die Tour, die Regisseur Arne Feldhusen seine Raver in dieser Sven-Regener-Verfilmung – Drehbuch: Sven Regener - quer durch Deutschland unternehmen lässt, ist kaum mehr als eine Nummernrevue mit zugeben einigen lustigen Szenen, skurrilen Einfällen und, ab und an schönen dialogischen Schlagabtäuschen.
    "Ich glaube trotzdem nicht, dass es gut ist, wenn wir jetzt was miteinander anfangen." – "Ja, also nein." – "Jedenfalls nicht klug. Also, gut vielleicht, aber nicht klug. Und ich bin im Augenblick mehr so auf klug gepolt."
    Eine innere Logik, eine Erzählung, die alles zusammenhält aber, so etwas wird man leider vergebens suchen.
    "Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt" von Arne Feldhusen - enttäuschend.
    Vincent London riecht an Izia Higelins Haar - eine Filmszene aus "Auguste Rodin"(Bild:©2017 Wild Bunch Germany GmbH / Jacques Doillon: Auguste Rodin)
    In "Auguste Rodin" beschäftigt sich Jacques Doillon weniger mit Liebe als vielmehr mit Schaffensprozessen (©2017 Wild Bunch Germany GmbH / Jacques Doillon: Auguste Rodin)
    Am Anfang von Jacques Doillons Film scheint er am Ziel seiner Träume. 1880, Auguste Rodin, grandios gespielt von Vincent Lindon, bekommt mit 40 seinen ersten Staatsauftrag: Inspiriert von Dantes "Göttlicher Komödie" soll er das Eingangsportal für das neue Pariser Kunstgewerbemuseum erschaffen. In dieser Zeit wird die 24 Jahre jüngere Camille Claudel Rodins Geliebte, die aber in dieser Zeit des späten 19. Jahrhunderts als Künstlerin keine Anerkennung finden wird.
    Konzentration auf den Schaffensprozess
    Anders als Bruno Nuyttens "Camille-Claudel"-Film von 1988 ist "Auguste Rodin" aber kein tragisches Liebesmelodram. Zentral bleibt bei Jacques Doillon immer die Frage: Wie entsteht Kunst?
    "Deinen Brustkorb. Noch mehr anheben."
    Es gibt zurzeit im Kino einen Parallelfilm zu Doillons "Auguste Rodin": "Final Portrait", Stanley Tuccis Annäherung an den Bildhauer, Maler und Grafiker Alberto Giacometti. Beide Filme, beide Filmemacher betreten nicht die ausgetretenen Pfade des "Biopics". Stanley Tucci fokussiert seinen Film ganz auf die Entstehung eines einzelnen Giacometti-Porträts. Jacques Doillon konzentriert sich auf den künstlerischen Schaffensprozess, …
    "Sie müssen heute herumkriechen, sag ihnen das."
    … die Arbeit mit den Modellen, mit den Körpern.
    "Ich brauche krampfende Hände, verzerrte Münder und Leiber, die keuchen, so, als wären sie vom Teufel besessen."
    "Mein Ziel ist es, wahrhaftig zu sein"
    "Auguste Rodin" wirkt ungemein sinnlich, wenn der Bildhauer mit dem Ton arbeitet, diesem lebendigen Material, das er mischt, faltet, knetet, mit den Fingern bearbeitet, schneidet, schält, bis, wie Rodin sagt, die Wahrheit aus diesem Material quasi heraustritt. Sehr zur Irritation seiner Zeitgenossen übrigens, die beispielsweise - wie gesagt, die 1880er Jahre - "ihren" Balzac, an dessen Skulptur Rodin jahrelang arbeitete, netter haben wollten.
    "Ihr Balzac ist ein Haufen unförmige Masse. Diese Figur ist wirklich abstoßend."
    Auguste Rodins Antwort:
    "Ich versuche nicht, zu gefallen. Mein Ziel ist es, wahrhaftig zu sein."
    Wie sehr dieser künstlerische Kampf um die Wahrheit ein dynamischer, zur Verzweiflung wie Glückseligkeit treibender Prozess ist, davon erzählt uns dieser Film.
    "Auguste Rodin" von Jacques Doillon - herausragend.


    Noch einmal Ende des 19. Jahrhunderts, aber nicht Paris, sondern London und ein ganz anderes Milieu. Allerdings auch eines der Kunst. Die Kunst der Varietés im Limehouse District. Es finden Morde statt.
    Inspektor John Kildare (Bill Nighy, l) und sein Kollege George Flood (Daniel Mays) vor den Tatort-Fotos der grausamen Morde in Limehouse in einer Szene des Films "The Limehouse Golem"(Bild: Nicola Dove/Concorde Filmverleih/dpa)
    Mit Morden im Varieté beschäftigen sich die Ermittler in "The Limehouse Golem" (Nicola Dove / Concorde Filmverleih / dpa)
    "Die Legende vom Golem. Kam dadurch die Presse auf deinen Namen." – "Ich wette, hier erzählt uns jemand eine Geschichte. Wir müssen in seinen Höllenkreis der Verdammnis, um sie zu verstehen."
    Serienmorde im Varieté
    Bill Nighy spielt einen Scotland-Yard-Beamten in "The Limehouse Golem". Eine schaurig-gruselige, düster-unheimliche Geschichte über einen Serienmord in einer Welt der Illusionen. In Verdacht gerät Lizzie, die auf der einen Seite gutbürgerliche Ehefrau, verheiratet mit einem Schriftsteller ist, auf der anderen Seite Schauspielerin. Eine gewisse Ungeheuerlichkeit in jenen viktorianischen Zeiten.
    Juan Carlos Medina zeichnet in düsteren Farben eine Welt, die auf Bigotterie und Lügen gebaut ist und in der sich auch ein ermittelnder Kriminalbeamter leicht verlaufen kann. Weil das Leben in "The Limehouse Golem" gefährlich der Varieté-Welt mit ihren Masken und falschen Kulissen zu ähneln beginnt. Und Lizzie, die angeblich ihren Ehemann ermordete, die Kommissar Kildare aber für unschuldig hält, ist doch eine ganz andere, als es anfänglich schien.
    "The Limehouse Golem" von Juan Carlos Medina - empfehlenswert.