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Neue Filme
Nicht alle Blütenträume reifen

Ein deutscher Bauarbeitertrupp reist nach Bulgarien, eine junge Frau startet in der französischen Lokalpolitik, ein Liebespaar träumt in Amsterdam von der Neuen Welt und eine britische Agentin sucht in Berlin nach einer brisanten Liste. Doch nicht alle Träume und Ziele werden wahr, das zeigen die Filme der Woche.

Von Jörg Albrecht | 23.08.2017
    Die Regisseurin des Films "Western", Valeska Grisebach, zusammen mit den Schauspielern Mainhard Neumann (l) und Syuleyman Alilov Letifov (r) beim Filmfestival in Cannes 2017.
    Die Regisseurin des Films "Western", Valeska Grisebach, zusammen mit den Schauspielern Mainhard Neumann (l) und Syuleyman Alilov Letifov (r) beim Filmfestival in Cannes 2017. (picture alliance / dpa / Hubert Boesl)
    "Das ist unser Land!" von Lucas Belvaux
    "Sie ist ein einfaches Mädchen: intelligent, sympathisch."
    "Und sie ist hübsch. Das schadet nicht."
    Auf der Suche nach dem geeigneten Kandidaten, der für ihre Partei bei den Kommunalwahlen in einer nordfranzösischen Kleinstadt antritt, sind die Bosse der – für den Film erfundenen – patriotischen RNP auf die Krankenschwester Pauline gestoßen. Die alleinerziehende Mutter, die von Émilie Dequenne gespielt wird, ist von dem Angebot völlig überrascht. Sie gesteht, zuletzt nicht einmal mehr gewählt zu haben.
    "Sie sind verrückt. Ich habe gar keine Lust Politik zum machen."
    Das ändert sich, als sie auf einer Wahlkampfveranstaltung die charismatische Parteivorsitzende erlebt. Von welcher realen populistischen Partei sich Regisseur und Drehbuchautor Lucas Belvaux bei Programm und Personal der RNP hat inspirieren lassen, liegt auf der Hand. "Das ist unser Land!" ist ein Spielfilm, der den Erfolg der Nationalisten zu ergründen versucht, indem er das gesellschaftspolitische Phänomen auf eine ganz individuelle Geschichte herunterbricht. Das allerdings nicht immer frei von Handlungssträngen, die allzu konstruiert sind. Trotzdem befindet sich Lucas Belvaux mit seinem Politdrama ganz auf der Höhe der Zeit.
    "Das ist unser Land!": akzeptabel
    "Western" von Valeska Grisebach
    "Gibst du mir mal den Ascher! Ich will eine ballern. Ich hätte Bock, hier mal so richtig zu schießen in der Landschaft."
    "Was willst du in Bulgarien kaputtschießen?"
    "Wir sind doch hier nicht bei der Fremdenlegion."
    Er hört sich zwar so an, aber dieser Dialog zwischen Bauarbeitern stammt nicht aus einem Dokumentarfilm. So unverfälscht wie nur möglich hat Valeska Grisebach ihre dritte Regiearbeit mit dem Titel "Western" angelegt. Dass sämtliche Rollen von Laiendarstellern gespielt werden, verstärkt den Eindruck noch. "Western" erzählt von einer Handvoll Bauarbeiter aus Deutschland, die in die bulgarische Provinz kommt, um dort ein Wasserkraftwerk zu errichten.
    "Und warst du schon mal auf Montage?"
    "Ausland ist neu."
    "Und bist du ein Schlitzohr?"
    "Ich bin hier, um Geld zu verdienen."
    Meinhard und Vincent sind die beiden Hauptfiguren. Beide gehen ganz unterschiedlich mit ihren Eindrücken in der Fremde um. Während der stoische Meinhard den Bewohnern des nahegelegenen Dorfs offen begegnet, pflegt der gereizte Vincent seine Vorurteile und ist auf Konfrontationskurs.
    "Entweder miteinander oder gegeneinander? Sonst ist die Reise hier zu Ende."
    "Ich stehe nicht auf Gewalt."
    Clint Eastwood hätte es nicht schöner sagen können. Ja, Valeska Grisebach hat wirklich einen Western gedreht. Sie hat das Genre auseinandergenommen und wieder neu zusammengesetzt. Auch bei ihr gibt es Pferde, Waffen, Kartenspiele, Trinkgelage, Geschäfte, Duelle und sogar einen Wasserdiebstahl. Vor allem aber ist "Western" ein Film über Verständigung und versteckte Sehnsüchte, der nur dann funktioniert, wenn auch der Zuschauer viel von Meinhards Neugierde und Geduld mitbringt.
    "Western": empfehlenswert
    "Tulpenfieber" von Justin Chadwick
    "400."
    "Danke meine Dame. 400. Bietet jemand mehr als 400?"
    "500."
    "600 hier vorn."
    Seltsame Blüten haben die Spekulationsgeschäfte im Amsterdam des 17. Jahrhunderts getrieben. Unter den Bewohnern der Stadt grassiert das Tulpenfieber. Die Zwiebeln der Blumenart werden für astronomische Preise gehandelt. Diese Tulpenmanie, die mit der ersten gut dokumentierten Finanzblase enden sollte, bildet den Hintergrund für eine Liebesgeschichte mit illustrer Besetzung – unter anderem Christoph Waltz, Alicia Vikander und Judi Dench.
    "Die Ehe ist ein sicherer Hafen. Du hast ein vornehmes Haus, eine Dienstmagd. Schenke ihm einen Erben und alles wird gut sein!"
    Natürlich wird nicht alles gut sein in der Ehe der jungen Sophia mit einem wesentlich älteren Mann. Als dann die wahre Liebe in Gestalt eines Porträtmalers auf der Bildfläche auftaucht und Sophia mit diesem eine Affäre beginnt, ist der Boden vorbereitet für eine Mischung aus romantischem Drama und Ränkespiel – heute Seifenoper genannt. In der wird auch der Handel mit den überteuerten Tulpenzwiebeln eine nicht unerhebliche Rolle spielen. Dieses Konstrukt ist dann doch ein wenig zu gewollt in einem opulent ausgestatteten Historienfilm.
    "Tulpenfieber": zwiespältig
    "Atomic Blonde" von David Leitch
    "Ich wollte dieses Leben. Und irgendwann bringt es mich um."
    Die Geheimagentin als Comicfigur: irgendwo zwischen Pin-up-Girl und Superheldin. Die von Charlize Theron gespielte Lorraine hat vor allem eins: die Lizenz zum Töten. Und das in einer Stadt, in der sich 1989 noch die Westmächte und der Ostblock gegenüberstehen.
    "Zum ersten Mal in Berlin?"
    "Ja."
    Das Szenario des Kalten Krieges lässt an John le Carré denken. Die Handlung aber – das machen gleich die ersten Minuten von "Atomic Blonde" klar – benötigt keine ausgetüftelte Agentengeschichte. Hier werden einfach nur Verfolgungsjagden, Schießereien und Martial-Arts-Prügeleien aneinandergeheftet mit dem Ziel, möglichst coole Bilder zu liefern. "Atomic Blonde" ist Action ohne Thrill: brutal, zynisch und die reinste Verschwendung vor dieser Kulisse.
    "Atomic Blonde": enttäuschend