Montag, 29. April 2024

Archiv

Neue Filme
Merkwürdige Annäherungsversuche

Ein Rabbi, ein Imam und ein Priester treffen in der Komödie "Ein Lied in Gottes Ohr" aufeinander, eine Blinde und ein Frauenheld in der Liebesgeschichte "Die verborgenen Farben der Dinge" und im brasilianischen Horrormärchen "Gute Manieren" finden eine Schwangere und ein Kindermädchen zueinander.

Von Jörg Albrecht | 25.07.2018
    Zuschauer sitzen in der Nacht vor der offiziellen Eröffnung des Filmfestivals vor einer großen Leinwand mitten in Locarno
    Beim Filmfestival Locarno ausgezeichnet: Das Horrormärchen "Gute Manieren" (picture alliance / dpa / Urs Flueeler)
    "Einen Priester, einen Rabbi und einen Imam …"
    ... trifft man gern in Witzen an, in denen jeder der drei Prediger die mit den Weltreligionen verbundenen Klischees und Vorurteile bedient. Für einen Witz hält Assistentin Sabrina auch den neuesten Plan ihres Chefs. Der französische Musikproduzent Nicolas hat die Idee für einen Musik-Act, mit dem er erstens seine berufliche Durststrecke hinter sich lassen und zweitens ganz nebenbei auch noch zur Völkerverständigung beitragen will.
    "Wir nehmen drei Geistliche und die singen neue französische Chansons. ..."
    "Jetzt drehst du durch."
    "Nein, ich meine es ernst."
    So ernst, dass er und Sabrina sich schon bald auf die Suche nach den Mitgliedern des Trios machen. Fündig werden sie bei Benoît, einem katholischen Pfarrer, der in Sachen Altruismus selbst Mutter Teresa in den Schatten stellt. Dann ist da der Araber Moncef, der zwar gut singen kann und auch vieles ist – nur eben kein Imam. Und - last but not least - casten sie Samuel, einen Rabbi, der seit einem traumatischen Erlebnis von Depressionen geplagt wird.
    "In der zivilisierten Gesellschaft muss der Mann sich beherrschen können"
    Doch bevor das Trio mit dem Namen CoeXister aus der Taufe gehoben wird und es Hymnen vom friedlichen Miteinander der Religionen schmettern kann, gilt es für die drei Sänger, zunächst einmal selbst ihre zahlreichen Ressentiments unter Kontrolle zu bringen.
    "Ich sage doch nur, was ich denke."
    "Ich persönlich denke, in einer zivilisierten Gesellschaft muss der Mann sich beherrschen können und nicht die Frau sich bedecken."
    "Dann sag das doch mal deinen Nonnen-Freundinnen!"
    "Wir befinden uns doch hier in einem Land mit christlicher Kultur."
    "Jüdisch-christlicher."
    Nein christlicher! Soweit ich weiß, waren die Könige von Frankreich keine Juden." "Schade! Es ist besser, sie schneiden dir was vom Schwanz weg als den Kopf ab. ..."
    Der Filmregisseur Fabrice Éboué
    Fabrice Éboué: der Regisseur von "Ein Lied in Gottes Ohr" (Picture Alliance /MAXPPP)
    Hätte Drehbuchautor und Regisseur Fabrice Éboué, der auch die Rolle des Musikproduzenten Nicolas spielt, statt auf Klamauk und Übertreibung zu setzen, doch einfach nur an seine schnellen, geschliffenen und mitunter bösen Dialoge geglaubt: "Ein Lied in Gottes Ohr" wäre eine ganz wundervolle Satire geworden. So aber ist es nur eine harmlose Weltverbesser-Komödie und ein Witz mehr über...
    "Einen Priester, einen Rabbi und einen Imam …"
    "Ein Lied in Gottes Ohr": zwiespältig
    "Es ist schön, jemandem nahe zu sein, der einen mag." Sagt Ana an ihrem Geburtstag zu Clara. Seit ein paar Monaten lebt Ana in einem schicken Apartment in einem Hochhaus in São Paulo. Clara hat sie als Kindermädchen für ihr noch ungeborenes Baby engagiert.
    Am Anfang sieht der Film "Gute Manieren" von den brasilianischen Regisseuren Juliana Rojas und Marco Dutra wie eine lesbische Liebesgeschichte aus. Zwei Frauen – Ana ist von ihrer Familie wegen ihrer Schwangerschaft verstoßen worden, Clara schlägt sich mehr schlecht als recht durchs Leben … zwei einsame Frauen finden zueinander.
    Merkwürdiges Verhalten
    Nicht nur bei den ersten Annäherungsversuchen verhält sich Ana merkwürdig. Sie hat permanente Lust auf Fleisch und begibt sich auf nächtliche Ausflüge, von denen sie am nächsten Morgen nichts mehr weiß.
    Clara erzählt Ana, dass sie sie beim Schlafwandeln beobachtet habe. Nicht nur in der Wohnung. Sie sei auch auf die Straße gelaufen. Außerdem sei sie dabei von ihr an der Hand verletzt worden. Ana reagiert erschüttert und schiebt ihr Verhalten auf die Schwangerschaft.
    Eine Dreiviertelstunde von "Gute Manieren" ist zu diesem Zeitpunkt vorüber, weitere anderthalb Stunden folgen noch. Wovon diese handeln, soll hier nicht verraten werden. Nur soviel: Der langsam erzählte Film bietet eine mutige wie überraschende Mischung aus Elementen des Horrorfilms und des Sozialdramas und erinnert nicht zuletzt an Roman Polanskis "Rosemaries Baby" und das fantastische Kino des Jacques Tourneur.
    "Gute Manieren": empfehlenswert
    Ob sie Emma sei, fragt Teo. Der Werbefachmann hat die blinde Frau, der er vor einigen Wochen bei einem Workshop begegnet ist, in einem Kaufhaus wiedergetroffen. "Du warst der mit der sexy Stimme", sagt Emma, woraufhin Teo das Kompliment zurückgibt.
    De Filmregisseur Silvio Soldini
    Silvio Soldini : Der Regisseur von "Die verborgenen Farben der Dinge" (Pictue Alliance/ANSA)
    Man benötigt nicht lange, um die Parallelen zwischen Silvio Soldinis neuem Film "Die verborgenen Farben der Dinge" und seinem Erfolg "Brot und Tulpen" von vor 18 Jahren zu erkennen: Beide Filme nehmen sich Zeit, erzählen ihre Geschichten unspektakulär und sind stets nah an ihren Figuren. Die Kamera rückt ihnen regelrecht auf die Pelle.
    Emma und Teo lernen sich kennen und verlieben sich ineinander. Nicht mehr, nicht weniger erzählt Soldinis Film. In einem Dialogfilm, in dem nicht viel geschieht, liegt es vor allem an den Darstellern, Interesse an ihren Figuren zu wecken. Das gelingt Valeria Golino und Adriano Giannini perfekt. Sie spielen so echt und natürlich – man könnte fast vergessen, dass Silvio Soldini einen Spielfilm gedreht hat.
    "Die verborgenen Farben der Dinge": empfehlenswert