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Neue Filme über Moral und Amoral
Ein Kriegsgebiet, ein Gericht und der Moloch Großstadt

Vom moralischen Dilemma einer Familienrichterin erzählt die Ian-McEwan-Verfilmung "Kindeswohl". In "Donbass" geht es um den weitgehend vergessenen Krieg in der Ostukraine. Und in "Asphaltgorillas" tobt sich Detlev Buck nach einer Erzählung von Ferdinand von Schirach auf Berliner Straßen aus.

Von Hartwig Tegeler |
    "Leib und Seele geben wir für unsere Freiheit!" - singt die Kosakenbrüderschaft am Anfang von "Donbass" in einem martialisch-patriotischen Ton, den man sich vorstellt bei solchen, die davon singen, dass sie Leib und Seele für ihre Freiheit geben.
    Stell dir vor, es ist Krieg und keinen interessiert's. Zwar gab es da mal eine kriegerische Auseinandersetzung in der Ostukraine, seit 2014, aber wo ist sie geblieben in den Schlagzeilen? Der in der Ukraine immer noch tobende Konflikt ist das Thema von Sergei Loznitsas brutalem Bilderpanorama "Donbass". Brutal, weil Losznitsa – in dreizehn lose verbundenen Episoden – eine Welt beschreibt, in der sich die Ordnung vollkommen aufgelöst hat und die aufgeladen ist von Gewalt.
    Willkür und Rechtlosigkeit
    Und diese Gewalt explodiert am Ende in einer entsetzlichen Brutalität. Wer Schuld ist an diesem Krieg, die Ukrainer, die paramilitärischen Rebellen oder die ohne Hoheitsabzeichen agierenden russischen Soldaten ist für den Filmemacher nicht interessant und angesichts der Komplexität der Lage auch kaum auszumachen.
    Es gibt Szenen, die aufgeladen sind mit den dunklen Nachrichten aus den letzten Kriegen, wo wir quasi die Willkür, die absolute Rechtlosigkeit derjenigen, die in diesen Kriegsgebieten leben, spüren. Wenn beispielsweise an einem Checkpoint irgendeiner militärischen Einheit – Armee oder Rebellen, was macht das für einen Unterschied, sagt uns der Film – alle männlichen Passagiere aussteigen und den Oberkörper entblößen müssen. Reiner Zufall, dass nicht hier schon die Gewalt ausbricht. Ohne irgendeinen Zweck, ohne Ziel. Willkür, wie gesagt. Und kein Fünkchen Hoffnung auf Frieden ist in "Donbass" zu spüren, zu erahnen, in diesem Film voller Schrecken, voller Entsetzen. - Schwer auszuhalten.
    "Donbass" von Sergei Losznitsa - herrausragend
    Ein neuer Fall für Richterin Fiona Maye, die auch eine wunderbare Pianistin ist: "Ich nehme an, der Junge hat eine Form von Leukämie" - erklärt ihr Sekretär. Adam Henry, Sohn von Zeugen Jehovas, 17 Jahre alt, damit noch nicht volljährig vor dem Gericht, will – Oder wollen es "nur" seine Eltern? – keine Bluttransfusion. Religiöser Dogmatismus trifft auf aufgeklärte juristische Argumentation, für die diese Richterin am High Court of Justice in London steht. Aber ist es so einfach? Was ist das "Wohl des Kindes"? Finona Maye wird das im Film "Kindeswohl" entscheiden müssen.
    Gefühle finden bei Fiona, gespielt von Emma Thompson, nicht statt; sie hat sie unter ihren Akten vergraben. Ihr Mann Jack – Stanley Tucchi – will raus aus der Starre: " Ja, ja. Ich denke, ich will eine Affäre haben. - Was?"
    Der Fall des jungen Krebskranken, der die Transfusion verweigert, und die Affäre ihres Mannes erschüttern Fionas Leben; bringen sie aus dem Gleichgewicht.
    Melodram um eine erstarrte Frau
    Für sie ganz ungewöhnlich verlässt sie den Richterstuhl und besucht Adam im Krankenhaus; redet mit ihm, sucht seine Motive zu verstehen. Und der erweist sich als kluger junger Mann, der aber – und auch das bringt Finoa zusätzlich aus dem Gleichgewicht - eine verzweifelte Bindung zu ihr herzustellen sucht.
    "Nein, nicht nicht gehen, bitte! - Adam, ich muss wieder ins Gericht. - Nur, bis Donna mir mein Essen bringt. - Na gut."
    "Kindeswohl" ist ein Melodram über eine erstarrte Frau, aber manchmal ist nicht klar, ob Filmemacher Richard Eyre das Ehe- oder das Justizdrama mehr interessierte. Da will etwas – wie in der Romanvorlage von Ian McEwan – nicht überzeugend zusammengehen. Und doch ist es ein Genuss, Emma Thompson, Stanley Tucci und Fionn Whitehead, der schon in Christopher Nolans Film "Dunkirk" glänzte, bei der Arbeit zuzuschauen. Schauspielkunst ist, was hier bewiesen ist, tatsächlich eine Kunst.
    "Kindeswohl" von Richard Eyre – empfehlenswert
    "Dass einige dieser Stadtgorillas in 48 Stunden nicht mehr am Leben sein werden, war so nicht geplant. Das kann man auch nicht planen."
    Zwei Neuköllner Jungs, Atris und sein Kumpel Frank, die sich seit Kindesbeinen kennen und Deals abziehen versuchen El Keitar, den Obergangster des Viertels – den "Silberrücken", wenn man beim Gorilla-Bild bleiben will. Es geht um Falschgeld, Lamborghinis in Neukölln und eine schweigsame Killerin, die chinesische Mafia – andere Ethnien sind auch vertreten -, einen Hund, der einen Schlüssel verschluckt und ein Abführmittel bekommt.
    Besser als Tarantino und Guy Ritchie?
    Es geht bei Detlev Buck, der sich im Vorspann übrigens nur noch "Buck" nennt, mit anderen Worten um gar nichts außer dem Versuch, mit dicker Hose, schnellem Schnitt und heftigen Beats zu beweisen, dass Tarantino und Guy Ritchie und die Macher von "4 Blocks" in Sachen Gangster, Milieu, Groteske und Chaos der Erzählung gar nichts sind. Diese Anstrengung merkt man Detlev Bucks "Asphaltgorillas" deutlich an. Ist das viel oder wenig? Sorry, rhetorische Frage. Am Ende reiht sich nur ein Klischee, das wir aus zig Gangsterfilmen aus dem Kino kennen, an das andere. Ist das viel oder wenig? Nicht einmal als rhetorisch geht diese Frage durch.
    "Aphaltgorillas" von Detlev Buck – enttäuschend