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Wenn die Masken fallen

Zwei Neuheiten, ein Klassiker: die Coming-of-Age-Geschichte „Giant Little Ones“, die Krimigroteske „Leg´ den Kerl um!“ sowie Fellinis „Die Nächte der Cabiria“ von 1957 als Special Edition.

Von Jörg Albrecht | 25.03.2020
Ein Mädchen und ein Junge gehen auf einem Schulflur
Taylor Hickson als Natasha und Josh Wiggins als Franky in "Giant Little Ones" (www.imago-images.de (Courtesy Everett Collection))
Franky feiert seinen 17. Geburtstag. Für die Nacht nach der Party haben er und seine Freundin Priscilla etwas Besonderes geplant. Zum ersten Mal wollen die beiden miteinander Sex haben. Doch es kommt anders.
"Ballas, warte!"
Nicht mit Priscilla ist Franky im Bett gelandet, sondern mit seinem besten Kumpel.
Coming-of-Age als Spießrutenlauf
"Das ist bloß passiert, weil wir so voll waren", lässt Ballas am nächsten Morgen Franky wissen. Und nicht nur das: Ballas, der ebenfalls eine Freundin hat, will nichts mehr mit ihm zu tun haben. In der Schule erzählt er herum, dass Franky ihn verführt habe und schwul sei.
"Was machst du da?"
"Ich räume die Spinde um."
"Wozu?"
"Was für eine kranke Frage, Franky! Du und Ballas habt was gemacht, was Heten normalerweise nicht tun."
Also heterosexuelle Menschen.
Für Franky beginnt danach ein Spießrutenlauf. Er wird zunehmend gemobbt. In Sachen Homophobie übertreibt es "Giant Little Ones" vom kanadischen Regisseur Keith Behrman etwas mit Schwarz-Weiß-Malerei. Genauer ist sein Film da schon als Coming-of-Age-Geschichte angelegt, die einen Teenager bei der Suche nach seiner sexuellen Orientierung zeigt.
"Also das zwischen mir und Ballas fühlte sich normal an in der Nacht."
"Ich denke, du hattest ein sexuelles Erlebnis mit jemandem, den du geliebt hast. Ist vielleicht so simpel."
Ein ähnliches, allerdings weit differenzierteres Vater-Sohn-Gespräch gab es auch im Film "Call me by your Name". An dessen intellektuelle und vor allem sinnliche Qualitäten kommt "Giant Little Ones" nicht heran. Eher kann man den Film vergleichen mit dem thematisch verwandten "Sommersturm" aus dem Jahr 2004. Mit den Mitteln des Mainstream-Kinos sollen hier vor allem auch Jugendliche angesprochen werden.
"Giant Little Ones": ab 27. März zum Streamen und auf DVD und Blu-ray
"Blow the man down!"
Ein englisches Shanty aus dem 19. Jahrhundert eröffnet das Spielfilmdebüt "Leg´ den Kerl um!" von Bridget Savage Cole und Danielle Krudy. Gesungen wird es von den Fischern des Ortes Easter Cove in Maine. Wie der Chor im griechischen Theater werden sie immer wieder für ein Intermezzo sorgen in einer Kriminalgeschichte, in der die beiden Schwestern Priscilla und Mary Beth involviert sind. Denn die Notwehrversion könnte auf wackeligen Füßen stehen.
Ein "Fargo" im Fischgeschäft
"Die werden uns drankriegen."
"Wieso?"
"Ich kann das Messer nirgends finden. Da steht Connolly Fish drauf."
Doch nicht die Polizei wird das Corpus Delicti finden, sondern Enid, eine alte Freundin ihrer Mutter.
"Viele Leute unterschätzen junge Frauen. Deshalb kommen sie mit so vielem davon."
Der Tote war Enids Handlanger in ihrem Bed & Breakfast-Hotel im Ort, das in Wahrheit seit vielen Jahren ein Bordell ist. Und nicht nur von ihrem Angestellten fehlt jede Spur. Auch eine Tüte mit Geldscheinen ist verschwunden.
"Ihr dachtet, ihr könnte mich abzocken. Ihr werdet mir das, was ihr gestohlen habt, zurückgeben. Und im Gegenzug kriegt ihr von mir euer schickes Messerchen zurück."
Das filmische Vorbild ist hier schnell ausgemacht: "Leg´ den Kerl um!" hat all die Zutaten von "Fargo" von Joel und Ethan Coen: skurrile Figuren, schwarzer Humor, überraschende Wendungen, ja selbst die winterliche Landschaft ist vorhanden. Von der Meisterschaft der Coen-Brüder sind die beiden Regisseurinnen zwar noch ein Stück entfernt, aber auch ihre Krimigroteske unterhält bestens.
"Leg´ den Kerl um!": ab sofort auf Amazon Prime
"‘Le notte di Cabiria. Silenzio! Azione!"
1956 – Dreharbeiten zu "Die Nächte der Cabiria", nach "La Strada – Das Lied der Straße" der zweite Film des Italieners Federico Fellini, der den Oscar für die beste fremdsprachige Produktion gewinnen wird.
Eine tragikomische Glücksritterin
Erneut mit Fellinis Ehefrau Giulietta Masina in der Hauptrolle besetzt, ähnelt die Figur der Prostituierten Cabiria ihrer Gelsomina aus "La Strada". Cabiria ist ein naives Mädchen mit clownesken Zügen, aber sie ist auch stolz und ausgestattet mit einer großen Klappe. Trotz diverser Enttäuschungen mit Männern, die sie ums Geld gebracht und ihr beinahe das Leben gekostet haben, glaubt sie weiter unbeirrbar an die Liebe und das Glück.
"Weißt du, es gibt doch eine Gerechtigkeit auf dieser Welt. Da quält man sich und macht wer weiß was durch. Und wenn man fast am Ende ist, steht auf einmal das Glück vor der Tür."
Wenngleich nicht ganz so berühmt wie "La Strada", so ist doch auch "Die Nächte der Cabiria" ein Meisterwerk über eine tragikomische wie unermüdliche Glücksritterin mit einer umwerfenden Giulietta Masina.
"Die Nächte der Cabiria": ab 26. März als Special Edition auf DVD und Blu-ray