Montag, 06. Mai 2024

Archiv


Neue Hoffnung für Schulverweigerer

Kein Schulabschluss, keine Berufsausbildung, keine Arbeit - die Zukunft von Schulverweigerern sieht oft düster aus. Die Bundesregierung hat die Entwicklung als Problem erkannt und will dagegen angehen. Zusammen mit dem Europäischen Sozialfonds hat das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend das Projekt "Schulverweigerung - Die 2. Chance" ins Leben gerufen.

Von Bettina Ritter | 22.12.2007
    Überwiegend positiv - so lautet das Fazit nach einem guten Jahr Laufzeit des Projektes "Schulverweigerung - Die 2. Chance". Die Kongressteilnehmer - Lehrer, Sozialpädagogen und Mitarbeiter von Jugendämtern - waren sich einig: Das Konzept ist erfolgreich, und es ist gut, dass die Finanzierung bis 2013 gesichert ist. Denn Verweigerer wieder an die Schule heranzuführen, das braucht Zeit, sagte Andrea Krüger. Die Lehrerin ist seit November 2006 Leiterin einer Koordinierungsstelle in Mecklenburg-Vorpommern. Ihre Aufgabe:

    " Die Koordinierungsstelle soll, wie der Name schon sagt, koordinieren. Soll ein Netzwerk entwickeln zwischen Sozialarbeiter, Schule, zwischen Elternhaus und allen möglichen Institutionen, die noch dazwischen stehen. Das kann Elterntraining durch DRK sein, Lerngruppen, Therapien. Dafür ist die Koordinierungsstelle da, diese alle für eine einzelne Persönlichkeit zusammenzustellen. Was passt jetzt hier für den einzelnen Schüler. "

    73 dieser Koordinierungsstellen gibt es seit September 2006 in ganz Deutschland. Ihre Mitarbeiter sprechen mit Eltern und Lehrern und erstellen für jeden Schüler ein persönliches Problem-Profil. 1.800 Kinder und Jugendliche nehmen bereits an dem Projekt teil. Das Ziel ist die Re-Integration in die Regelschule und der Schulabschluss. Neben den persönlichen gebe es jedoch auch gesellschaftliche Gründe für die steigende Zahl der Schulverweigerer, so der Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann. Ein Ergebnis seiner Shell-Jugendstudie ist, dass es noch nie eine so lange Phase der Jugend gab. Meilensteine des Erwachsenenlebens wie der Eintritt in den Beruf oder Heirat und Kinder seien heute nur noch eine Option und kein gesellschaftliches Muss mehr. Das Resultat: Eine für Viele verwirrende Freiheit.

    " Das stellt Anforderungen eines hohen Ausmaßes an die Selbstorganisation. Und hier sind wir beim Thema. Diese Anforderungen, wer die bewältigt, der kann in dieser Gesellschaft leben wie ein Fisch im Wasser. Wer nicht die Voraussetzungen hat, um sich selbst zu organisieren, um sich selbst zu disziplinieren, um immer wieder sich daran zu erinnern, was er eigentlich will, der ist schlecht beraten, und die Gruppe der Schulverweigerer, die ist ein Prototyp dafür. "

    Schulverweigerer empfänden Schule als eine Institution, die etwas von ihnen verlange, aber sie im Gegenzug nicht sicher zu einem Ziel, zum Beispiel einem Job, führe, so Hurrelmann. Deshalb entfernten sich die Jugendlichen von ihr. Wichtig sei hier ein sehr frühes Eingreifen, damit die Kinder beim Lernstoff nicht zu sehr ins Hintertreffen gerieten, sagte Kristiina Ikonen aus Finnland. Die individuelle Förderung sei im Land des Pisa-Gewinners Gang und Gäbe, so die leitende Referentin für Schulentwicklung im Zentralamt für Unterrichtswesen in Helsinki.

    " Der Förderunterricht soll so oft und so umfassend organisiert werden, wie es für den Schulerfolg des Schülers am zweckmäßigsten ist, so steht es im Gesetz. Manchmal reicht es nur ein paar Mal, manchmal braucht man eine längere Periode. Also, der Förderunterricht muss flexibel sein. "

    Der Extra-Unterricht finde je nach Bedürfnissen im Einzelunterricht oder in Kleingruppen, während des Stundenplans oder außerhalb statt. Deshalb gebe es in Finnland auch keine Nachhilfeinstitute, so Ikonen. Ein weiterer wichtiger Punkt: Die Zusammenarbeit zwischen Schulen, Eltern, Sozial- und Jugendämtern wird in Finnland nicht als Bedrohung wahrgenommen. Das müsse man in Deutschland auch erreichen, meint die Zweite-Chance-Projektkoordinatorin Andrea Krüger. Sie stößt bei ihrer Arbeit immer wieder auf Widerstand, vor allem bei Lehrern. Die fühlten sich manchmal kontrolliert, wenn ein Sozialpädagoge den Unterricht unterstützen soll. Andrea Krüger auch kennt einen weiteren Grund.

    " Das ist viel Arbeit, weil man sich mit dem Jungen oder Mädchen hinsetzen und intensiv auseinandersetzen muss. Vorschläge, Ideen entwickeln muss, wie kann ich dem Jungen helfen. Und da scheitert es bei vielen, dass sie das gar nicht wollen. "

    Verweigerung gibt es also auch auf der Seite der Lehrer. Die Regel ist das jedoch nicht. Denn bisher sind Sozialpädagogen im Unterricht oder individueller Förderunterricht in Schulen die Ausnahme.