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Neue Musik in Osteuropa

Der kulturelle Austausch zwischen den Ländern Mitteleuropas, der bis vor 16 Jahren durch einen "Eisernen Vorhang" stark behindert war, stagniert auch jetzt wieder. Die Neugier Richtung Osten ist erlahmt. Umso bemerkenswerter, dass das in der Wendezeit gegründete Festival "Melos-Etos" in Bratislava sich als Drehscheibe für den musikalischen und musiktheoretischen Gedankenaustausch gut behauptet hat. Dieses Jahr stand Minimal Music auf der Tagesordnung.

Von Frieder Reininghaus |
    Die slowakische Hauptstadt hat sich in den letzten Jahren nicht nur mit neuen Einkaufszentren, schicken Modegeschäften und gehobener Gastronomie aufgerüstet. Auch im Nationaltheater von Bratislava, das zunächst ziemlich bruchlos von den 80er in die 90er Jahre hinübergeglitten war, wurde etwas Staub weggeblasen. Immerhin wird derzeit z.B. eine "Eugen Onegin"-Inszenierung von Peter Konwitschny gezeigt und hat überhaupt das Regietheater für neue Aufmerksamkeit gesorgt, was die z.T. aus Niederösterreich anreisenden Freunde des alten Stils allerdings weniger erbaut. Aber die Nachrüstungsmaßnahmen waren eben fällig.

    Eigentlich sollte neben dem 3. Klavierkonzert von Juraj Beneš auch "The Players", dessen letzte Oper, gegeben werden. Beneš, der in den 90er Jahren zum bedeutendsten Komponisten der Slowakei avancierte, starb im vergangenen Herbst; sein auf Shakespeares "Hamlet" gegründetes Musiktheater erzielte bei der Uraufführung 2002 in Köln einen Achtungserfolg. Die neue slowakische Produktion aber wurde jetzt im letzten Moment abgesagt, da einer der Protagonisten von einem Darmverschluss heimgesucht wurde und kurzfristig kein Ersatz beizubringen war.
    So gehörte das Feld der Konzerte des Festivals Melos-Etos in Bratislava zunächst fast konkurrenzlos Steve Reich, einem der international gefeierten amerikanischen "Minimalisten". Seine Arbeiten – von Drumming bis Different trains, Tehilim oder The Four Sections – bestimmten die Konzerte an den ersten Tagen, dessen Programm sich dann allerdings dem Wochenende zu erheblich weitete und bis zu George Crumb und Kaaja Saariaho ausschritt, insbesondere aber auch Komponisten der mittleren Donau-Region berücksichtigte – wie György Kurtág und Peter Martinček, Ilja Zelenka oder Vladimir Bokes. Die Präsentation von Minimal music und deren theoretische Erörterung aber blieben Thema und Zentrum des Festivals.
    Das wissenschaftliche Symposium spürte den Fragen des kompositorischen "Reduktionismus" nach – einerseits also dem, was Philip Glass oder John Adams international unterm Begriff Minimal music ausprägten, andererseits aber auch Fragen der kleinen und kleinsten musikalischen Form, der Miniaturen; zum dritten aber ging es, wie die Tagungsleiterin Nadja Hrčková ausführte:
    " … um Reduktion des Materials, was die Komponisten eigentlich immer gemacht haben."
    Weil es sich bei der Reduktion oder Minimierung des kompositorischen Materials um ein Phänomen handelt, das vom 12. bis zum 21. Jahrhundert in der komponierten Musik zu beobachten ist, wurde der Bogen vom Alt-Pariser Meister Perotinus magnus bis Steve Reich und Michael Nyman geschlagen. Freilich stellten die alten Herrn der Musikwissenschaft in Frage, dass es einen Sinn macht, den Begriff der Minimal music auf Schreibweisen von Sebastian Bach, Heinrich Schütz oder gar Jean Sibelius auszuweiten:
    "Die minimal music ist eine amerikanische Kulturerscheinung – und das hängt sicher auch mit der amerikanischen Jazz-Musik zusammen,"
    meinte zum Beispiel Constantin Floros.
    "Man sollte diesen Terminus auf die Neue Musik, auf die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts beschränken und darauf beziehen."
    Prof. Dr. Wolfgang Dömling sekundierte:
    "Minimal music ist unter ganz bestimmten ästhetischen, musikhistorischen und kultursoziologischen Umständen in einer bestimmten Zeit entstanden – und es ist eine ganz bestimmte Musik-Art hiermit gemeint – und die hat es früher nicht gegeben. Man hätte das überhaupt nicht behandeln dürfen ohne ganz intensive Blicke auf die musikalische Pop-Kultur, insbesondere in den US-amerikanischen Zusammenhängen ..."
    Das Festival Melos-Etos fördert den Ost-West-Dialog auf den Feldern der Neuen Musik. Aber gerade um den ist es derzeit nicht gut bestellt, klagt die Veranstalterin – und sie weist konkret auf die Borniertheit hin:
    " Was mir nicht gefällt und was mir eigentlich fehlt, dass – wenn ich beispielsweise die letzten Bücher zum Beispiel aus dem Gebiet der Neuen Musik der hochwerten Professoren aus Deutschland ansehe, da findet man höchstens einen Penderecki oder vielleicht noch Witold Lutoslawski – sonst sind es überwiegend westliche oder hauptsächlich deutsche Komponisten."