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Neue Präsidentin der "Klassik Stiftung Weimar"
"Die Drecksarbeit des Denkens nimmt uns keiner ab"

Goethe, Schiller, Bauhaus - sie alle haben ihre Spuren in Weimar hinterlassen. Was aber ist mit Moderne und Gegenwart? Für sie hat die neue Präsidentin der "Klassik Stiftung Weimar", Ulrike Lorenz, mehr Raum angekündigt: Der behäbige Tanker soll flotter und agiler werden.

Von Henry Bernhard |
Ulrike Lorenz, seit heute neue Präsidentin der "Klassik Stiftung Weimar"
"Lebendiger und quirliger": Ulrike Lorenz, seit heute neue Präsidentin der "Klassik Stiftung Weimar" (Kunsthalle Mannheim / Dietrich Bechtel )
"Ich liebe die Medien und schätze die Arbeit der vielfältigen Journalistinnen und Journalisten".
Ulrike Lorenz ist eine Kommunikatorin. Dies machte sie gleich in ihren ersten, umarmenden Worten zur Vorstellung der Kerngedanken ihrer Präsidentschaft der "Klassik Stiftung Weimar" deutlich. Und sie legte nach. Sie möchte die behäbige Institution, die sich seit Jahrzehnten mit Goethe und Schiller und vielem anderen beschäftigt, "lebendiger und quirliger" machen. Diese Adjektive hat wohl bislang niemand mit der "Klassik-Stiftung" in Verbindung gebracht. Lorenz‘ Auftreten aber läßt zumindest die Hoffnung darauf nicht völlig utopisch erscheinen. Denn sie, die zuvor der Kunsthalle Mannheim zu neuem Glanz verholfen hat, war die erste Wahl für Weimar, wie der Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff bestätigte:
"Insofern war unsere Überzeugung auch: Wenn du sowas wie die Kunsthalle Mannheim gemacht hast, dann bleibt auch nicht mehr viel im kulturellen Betrieb in Deutschland. Da kannst du eigentlich nur noch Klassik-Stiftung machen. Also, die nächste Station kann nur die Klassik Stiftung sein; wenn sie da 'nein' sagt, dann will sie gar nichts mehr machen."
Ulrike Lorenz nahm die Lorbeeren auf und zeigte sich durchaus schon dem Weimarer Selbstbild verpflichtet: "Wir sind im Grunde genommen im Kleinen, im Mikrokosmos, die Abbildung der Welt."
"Kosmos Weimar"
Lorenz übernimmt das Amt von Hellmut Seemann, der in Weimar viel geleistet hat, bei dem aber auch Wichtiges liegengeblieben ist. Namentlich das Schloss, dessen Sanierung abgeschlossen sein sollte, nun aber erst beginnt - mit der Aussicht, dass das zur Verfügung stehende Geld, 40 Millonen Euro, nicht einmal für die Hälfte des Schlosses ausreicht. Hier will die neue Präsidentin noch einmal innehalten, nach Partnern, nach Mäzenen und nach einer Vision für die Mitte des "Kosmos Weimar" suchen:
"Ich glaube aber auch, wenn man zehn Jahre über was nachdenkt, können sich leichte Verspannungen einstellen. Und es ist vielleicht ganz gut, wenn ich jetzt von außen komme und frage: Was habt ihr euch denn dabei gedacht? Hier fehlt doch noch was! Und hier fehlen uns vielleicht doch noch ein paar Widersprüche drin! Das ist schon auch eine Denksportaufgabe. Die wollen wir an unser Publikum weitergeben. Da wird es mit Sicherheit auch neue Gedanken geben. Aber wir müssen sie erst mal denken."
Lustvolles Kommunizieren
Am Ende soll ein neuer, realisierbarer Masterplan stehen. Auch die Ideen Pläne für die Sanierung des Goethehauses sollen noch einmal überdacht werden. Nicht, weil die alten schlecht wären, sondern weil Lorenz den Besuchern, den Steuerzahlern etwas bieten will, was über die Selbstbeschäftigung einer Großinstitution wie der Klassik-Stiftung hinausgeht:
"Es fehlt sozusagen aus meiner Außensicht tatsächlich so dieses lustvolle Nach-Außen-Kommunizieren. Und das hat möglicherweise was mit einer eher im Inneren verankerten Orientierung zu tun, die man jetzt einfach aufbrechen muss. Ich habe das gerade im British Museum erlebt. Ich muss sagen: Das hat mich zutiefst beeindruckt, wie jeder an seiner Stelle sich zuerst fragt: Was hat das Publikum vom Ergebnis meiner Arbeit? Ich denke, das können wir auch!"
Digital und international
Man traut es der kleinen, auf keinen Fall aber unauffälligen, Frau zu, den Tanker Klassik-Stiftung flotter und agiler zu machen. Dafür sucht sie auch nach Partnern außerhalb. Sie will neben dem wissenschaftlichen Beirat ein Advisory Board einrichten, das national und international zusätzliches Geld beschaffen soll. Sie will überhaupt stärker international agieren, unter anderem eine Wanderausstellung um die Welt schicken, die für die Klassik-Stiftung wirbt. Die digitale Strategie soll Lorenz‘ Chefsache werden. Der Janusköpfigkeit der Moderne, die zwischen Goethe, Bauhaus und Buchenwald aufscheint, will sie nicht ausweichen, sondern begegnen:
"Es ist dieser fast unvorstellbare, undenkbare Widerspruch zwischen Humanität und Bestialität. Und wir müssen begreifen, dass diese Barbarei auf dieser Tradition fußt. Das Thema ist groß genug, auch für die Welt; daran kann man sich abarbeiten."
"Unsere eigenen Gedanken machen"
Am Ende sieht sie die Aufgabe der Klassik Stiftung Weimar darin, aus der Vergangenheit heraus die Gegenwart zu erklären, als auch politisch denkender Think Tank Orientierung zu geben, eine deutsche Identität jenseits der Homogenität zu definieren:
"Es gibt existenzielle Grundlagen, über die eben auch schon Goethe, Schiller, Wieland, Herder, Nietzsche und Gropius nachgedacht haben. Das hilft uns, ist aber eine Ausgangsbasis. Wir müssen uns schon unsere eigenen Gedanken machen. Die 'Drecksarbeit des Denkens', wie das mal ein Kunsthistoriker-Kollege gesagt hat, die nimmt uns keiner ab!"