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Neue Sportgesetze in den USA
Die Grenzen der Autonomie des Sports

Der amerikanische Kongress signalisiert mit gleich zwei Gesetzen, dass es sowohl im Kampf gegen Doping weltweit als auch gegen die Reformschwäche im Nationalen Olympischen Komitee ohne Interventionen des Staates nicht geht. Die Politik hat keine Scheu vor durchgreifenden Reformen.

Von Jürgen Kalwa | 13.12.2020
Das Kapitol in Washington bei Dämmerung
Der US-Kongress hat zwei neue Gesetze erlassen, die den Anti-Doping-Kampf und die Stimme der Sportlerinnen und Sportler stärken sollen. (picture alliance/dpa - EPA/JIM LO SCALZO )
Wie der internationale Buchmarkt funktioniert, ist manchmal selbst für Insider nicht nachvollziehbar.
Das jüngste Beispiel vollzog sich in diesem Jahr. Da erschien auf Englisch – aber ausschließlich in Großbritannien – das Buch "The Rodchenkov Affair" und sorgte dadurch international für nur mäßigen Widerhall. Warum der 320-Seiten starke Enthüllungsband nicht zur selben Zeit auch in den USA erschien, blieb ein Rätsel. Denn in den Vereinigten Staaten hatte der Verfasser Grigori Rodschenkow nach seiner Flucht 2016 aus Russland Unterschlupf gefunden.
Und in den USA hatte der einstige Direktor des Moskauer Anti-Doping-Labors, ein Mann mit einem Hang zur Selbstinszenierung, an dem mit einem Oscar ausgezeichneten Dokumentarfilm "Icarus" mitgewirkt. Darin hatte er zugegeben, auf welche Weise er jahrelang in betrügerische Manipulationen verwickelt war: "Ich habe geholfen, eine der ausgeklügeltsten Dopingmaschen der Geschichte zu ermöglichen."
Von diesem Skandal von historischem Ausmaß zehrt er seitdem auf vielfache Weise. So trat vor einer Woche in den USA ein Anti-Doping-Gesetz in Kraft, das seinen Namen trägt: Der "Rodshenkov Act".
US-Behörden dürfen weltweit ermitteln
Es wirkte deshalb im Nachhinein so, als habe man die Beichte in Buchform bewusst nicht in Amerika lanciert. So vermied man störende Irritationen im Kongress, wo man unter Protesten des IOC, der Welt-Antidopingagentur WADA und aus dem fernen Russland die weitreichende Maßnahme beschloss. Das neue Gesetz gestattet US-Strafverfolgungsbehörden - bei hinreichendem Verdacht – überall auf der Welt zu ermitteln, sobald Amerikaner betroffen sind – seien es Sportler, Sponsorenfirmen oder Fernsehsender.
Und sie werden es auch tun, glaubt Rob Koehler, Generaldirektor von "Global Athlete", der 2019 gegründeten internationalen Interessenvertretung für Sportler: "Das Gesetz wird nicht in den Regalen verstauben. Es wird einen Effekt haben. Warum waren das Internationale Olympische Komitee und die Welt-Anti-Doping-Agentur so sehr gegen dieses Gesetz? Sie haben sich darüber beklagt, dass es bewusst über die Grenzen der USA hinausreicht. Aber genau das kann dem Sport helfen. So etwas kann man doch nur gutheißen. Ich vermute, die USA haben nichts dagegen, wenn andere Länder ähnliche Gesetze verabschieden. Damit wir mehr Waffen im Kampf gegen Doping bekommen. Denn Urintests reichen schlichtweg nicht aus."
Fußballerin Megan Rapinoe kniet 2016 während der US-Hymne.
USA drängen auf Recht auf Protest
Das Nationale Olympische Komitee der USA will Sportlerinnen und Sportler nicht mehr für friedliche Proteste bei Olympischen Spielen bestrafen. Bislang steht dem Regel 50 der Olympischen Charta entgegen.
Rodschenkows Rechnung in Sachen Buch-Beichte ging übrigens auf. Das Werk wurde soeben auf der Insel als "Sportbuch des Jahres" ausgezeichnet. Verbunden mit einem stattlichen Preisgeld von umgerechnet etwas mehr als 30.000 Euro.
Postwendend wurde die Arbeit Anfang Dezember dann doch noch in den USA auf den Markt gebracht.
Gesetz soll Sportler-Rechte stärken
Weil amerikanische Politiker inzwischen den Sport äußerst kritisch betrachten, entstand parallel gleich noch ein zweites Gesetz mit weitreichenden Konsequenzen. Es soll die Rechte von olympischen und paralympischen Athletinnen und Athleten gegenüber den Verbänden stärken und für tiefgreifende Reformen in den Organisationen sorgen. Das System, an dem Kritiker vieles auszusetzen haben. Nicht zuletzt die Art und Weise, wie dort mit Geld gehaushaltet wird. Bei den Athleten kommen keine zehn Prozent aller Einnahmen an, sagt August Wolf, Olympiavierter im Kugelstoßen 1984 in Los Angeles und Gründer der Athleteninitiative "Olympians Rising":
"Mit dem Geld fangen die meisten Probleme an. Da sind Bürokraten am Werk, die massiv überbezahlt werden. Man muss es bloß mit den Gehältern von anderen gemeinnützigen Organisationen vergleichen. Ich nenne das eine weiche Form der Korruption. Nehmen Sie Sarah Hirshland, die Geschäftsführerin des Olympischen und Paralympischen Komitees. Sie verdient 800.000 Dollar im Jahr."
Die US-Turnerin Simone Biles in Aktion bei den US-Turnmeisterschaften in Kansas City.
Kontrolle von außen
Mit einem neuen Reformgesetz geht der amerikanische Kongress gegen Fehlentwicklungen in den Verbänden unter dem Dach des Nationalen Olympischen und Paralympischen Komitees vor.
Das Gesetz, das vor wenigen Wochen in Kraft trat, war in der Reaktion auf den Umgang von Funktionären mit Sexualstraftaten im amerikanischen Turnen entstanden. Ein Skandal, der überdeutlich demonstrierte, wie sowohl Fachverbände als auch das Nationale Olympische Komitee in seiner Aufsichtsrolle immer wieder versagen. Der Kongress installiert nun mit dem Gesetz eine Untersuchungskommission, in der mindestens die Hälfte Vertreter der Athleten sind. August Wolf, der sich seit längerem exakt dafür engagiert hatte, stimmt die Entwicklung optimistisch. Er sagte dem Deutschlandfunk:
"Wir hoffen, dass diese Kommission mit wirklich intelligenten Menschen besetzt wird, die die Probleme verstehen. Mag sein, dass sie unterschiedliche Schwerpunkte sehen, sei es das Thema Hautfarbe, sei es die wirtschaftliche Teilhabe der Sportler. Aber wenn alle gut zusammenarbeiten, werden sie einen sehr überzeugenden Bericht verfassen und einige Vorschläge erarbeiten, was man tun kann, um Probleme abzustellen. Da wird es nicht nur um vordergründige Dinge gehen."
Dieser Bericht geht an den Kongress. Der hat von Rechtswegen die Oberhoheit über das Olympische und Paralympische Komitee und hat ganz offensichtlich keine Scheu vor durchgreifenden Reformen. Ein klares Zeichen, dass die Grenzen der Autonomie des Sports demonstriert.