In dem historischen Augenblick, als innerhalb von 5,6 Sekunden jene Schüsse fallen, die die Welt veränderten, sitzt der kubanische Revolutionsführer Fidel Castro in seinem Sommerhaus in Varadero mit dem französischen Journalisten Jean Daniel vom Nachrichtenmagazin "L'Express" zusammen. Es ist ihr zweites Treffen innerhalb von drei Tagen. Daniel war aus Washington angereist, wo er den US-Präsidenten John F. Kennedy interviewt und von diesem eine viel versprechende Botschaft für Castro mit auf den Weg bekommen hatte. Darin signalisiert der Amerikaner dem Kubaner seine Bereitschaft zur Entspannung und Wiederannäherung zwischen den beiden ideologisch verfeindeten Ländern. Daniel ist nur einer von mehreren Geheim-Kontakten, die Kennedy und Castro in den Monaten seit dem Ende der Raketenkrise von 1962 geknüpft haben. In einem Interview für den ARD-Dokumentarfilm "Fidel Castro - Ewiger Revolutionär" schilderte Daniel vor einiger Zeit, wie dieses Gespräch plötzlich eine dramatische Wendung nahm:
"Plötzlich klingelt das Telefon. - Castro gibt laut wieder, was man ihm berichtet:
'Verletzt..., schwer..., sehr schwer verletzt'...
'Tot ?' ....
'Nein, er ist nicht tot.'...
Zehn Minuten später ruft Staatspräsident Dorticos an: 'Kennedy ist tot.'
'Aah...'
Castro empört sich, wie ein Schauspieler: 'Ihre Mission ist zu Ende, lieber Jean Daniel. Es ist vorbei. Vielleicht haben sie ihn wegen Ihrer Mission umgebracht. Weil Kennedy und ich uns hätten verständigen können. Jetzt wird die ganze Welt glauben, ich stecke hinter der Ermordung.'
'Ich sage ihm: 'Das ist ja auch durchaus denkbar. Denn Kennedy hat ja versucht, Sie ermorden zu lassen.'
Und Castro erwidert: 'Das ist ausgeschlossen. Auf keinen Fall. Kennedy hätte der erste US-Präsident sein können, mit dem ich mich hätte verständigen können."
Glaubt man indessen dem deutschen Dokumentarfilmer Wilfried Huismann, dann steckte Fidel Castro tatsächlich hinter dem Mord. In seinem jetzt auch als Buch vorgelegten Film "Rendezvous mit dem Tod" spekuliert Huismann in verschwörerischem Tremolo, dass der US-Präsident im Auftrag Castros erschossen wurde, weil Kennedy seinerseits Fidel Castro ins Visier genommen hatte.
Als Täter präsentierten die US-Ermittler schon Stunden später Lee Harvey Oswald, einen, wie damals die Medien meldeten, "marxistischen Deserteur" und Bewunderer Castros. Der 24jährige ehemalige Marine, der mehr schlecht als recht eine Scharfschützenausbildung absolviert hatte, dann auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Atsugi in Japan Dienst tat, von dem aus die amerikanischen U-2-Spionageflugzeuge ihre Aufklärungsflüge über der kommunistischen Welt unternahmen, der russisch sprach und mit 20 in die Sowjetunion überlief, nach zweieinhalb Jahren mit einer russischen Frau zurückkehrte, ohne dass man ihn als Deserteur anklagte, sondern mit Reisespesen, Pass und Arbeit versorgte, - er sollte den Präsidenten mit drei gezielten Schüssen aus einem Karabiner mit aufgesetztem Zielfernrohr aus großer Entfernung erschossen haben. Zwei Tage später wird Oswald selbst im Polizeigewahrsam mit einem Schuss getötet - von dem Nachtklubbesitzer und Mafioso Jack Ruby, einem langjährigen Gefährten der von den Kennedys verfolgten Mafiapaten Sam Giancana und Santos Trafficante. Oswald und sein Mörder sollen Verbindung miteinander gehabt haben. Rubys Tatmotiv war angeblich ein plötzlicher Anfall von Patriotismus. Aber scheint es nicht eher so, als sei Oswald nur der Sündenbock gewesen, der aus dem Weg geräumt werden musste? Die Akten zum Fall Kennedy/Oswald werden jedenfalls schnell geschlossen, und die vom Kongress beauftragte Warren-Kommission legte schon nach einigen Monaten ihren Abschlussbericht vor. Ergebnis: Oswald war ein Einzeltäter ohne Hintermänner. Auch Huismann glaubt an die These vom Einzeltäter Oswald, jedoch mit dem entscheidenden Unterschied, dass er einen Auftraggeber hatte: den kubanischen Geheimdienst. Auf knapp 250 Buchseiten versucht der Dokumentarfilmer das zu belegen, was Kennedys einstiger Vize und Nachfolger, der Texaner Lyndon B. Johnson, in der ihm eigenen Wildwest-Terminologie einmal salopp so ausdrückte:
""Nun ja, Kennedy versuchte Castro zu erledigen, aber Castro war schneller."
Huismanns spekulative Beweisführung von Castro als dem Drahtzieher des Kennedy-Mordes funktioniert aber nur innerhalb des geschlossenen Systems seiner Hypothese. Diese kreist um einen mysteriösen mehrtägigen Aufenthalt Oswalds in Mexiko-Stadt Ende September/Anfang Oktober 1963, anderthalb Monate vor dem Attentat. In dessen Verlauf tauchte Oswald in der kubanischen Botschaft auf, gab vor, ein Anhänger der kubanischen Revolution zu sein und bat um ein Transitvisum nach Kuba für eine Reise in die Sowjetunion. Als man ihn abwies, weil man glaubte einen Agent provocateur vor sich zu haben, inszenierte Oswald einen Eklat und schrie zu aller Überraschung, er wolle "Kennedy, diesen Bastard, umbringen". Daraufhin wurde er vom Botschaftspersonal vor die Tür gesetzt. Nach jahrelangen intensiven Recherchen und Zeugenbefragungen versucht Huismann nun nachzuweisen, dass alles nur inszeniert war und Oswald sich in Mexiko in Wahrheit mit Führungsagenten des kubanischen Geheimdienstes G-2 traf und die ungeheuerliche Tat verabredete. Ein Zeuge wollte gesehen haben, wie Oswald von einem schwarzen, rothaarigen offenbar hochrangigen Agenten 6.500 US-Dollar in die Hand gezählt bekommen haben soll.
Einer der Gründe dafür, dass Huismann sich der Mexiko-Spur Oswalds annahm, war, wie er schreibt, dass der damalige FBI-Chef John Edgar Hoover seinen dorthin entsandten Agenten schon nach drei Tagen angeblich auf Veranlassung des Kennedy-Nachfolgers Lyndon B. Johnson anwies, die Ermittlungen abzubrechen und zurückzukehren. Huismann hat diesen Agenten gesprochen, der ihm auch berichtete, er sei bei seinen Ermittlungen in Mexiko behindert und hinters Licht geführt worden. Huismann schreibt dazu:
Johnson trägt die Verantwortung dafür, dass Fidel Castro als Pate des Verbrechens ungestraft davongekommen ist. Als er wenige Stunden nach Kennedys Ermordung erfuhr, der Mörder Lee Harvey Oswald habe Kontakt zum kubanischen Geheimdienst gepflegt, war er schockiert. Wäre diese Tatsache in dem traumatisierten und aufgewühlten Amerika bekannt geworden, hätte er Kuba militärisch angreifen und damit möglicherweise die Verantwortung für den Ausbruch des Dritten Weltkrieges tragen müssen. Gemeinsam mit dem Bruder des toten Präsidenten, Robert Kennedy, entschloss er sich, die Hintergründe des Verbrechens zu vertuschen. Alle Ermittlungen in Richtung Kuba wurden eingestellt, und auch die Warren-Kommission, die das Verbrechen untersuchen sollte, wurde absichtlich getäuscht.
Dieser weltverschwörerische Rundumschlag ist starker Tobak. Bislang galten nämlich ganz andere Verdachtsmomente für die rasche Einstellung der Ermittlungen, nämlich die, dass, falls zu tief gegraben würde, nicht nur viel Schmutz ans Tageslicht käme, sondern Schlimmeres. Es existierten nämlich auch Verdachtsmomente, wonach Oswalds Mexiko-Reise in Wahrheit eine von langer Hand geplante CIA-Inszenierung war, mit dem Ziel, am Tage X das Castro-Regime belasten zu können. Wenn es aber so herum war, dann wäre das der Beweis, dass das Kennedy-Attentat von langer Hand vorbereitet gewesen sein musste und CIA-Kader dabei eine maßgebliche Rolle gespielt haben. CIA-Statthalter in Mexiko war damals einer der größten Desinformationsspezialisten der CIA: David Attlee Philips. Er war auch einer der Chefplaner der von der CIA organisierten, aber kläglich gescheiterten Invasion exilkubanischer Söldner in der Schweinebucht im April 1961. Philips und die anderen Beteiligten lasteten den Fehlschlag Kennedy an, der Luft- und Seeunterstützung des US-Militärs verweigert hatte und fortan in diesem Milieu noch verhasster schien als Castro.
Aber Huismann sieht es genau anders herum. Und so knüpfte er aus seinen Erkenntnissen ein Netz, das er nun über den inzwischen in Havanna todkrank darniederliegenden Caudillo auswarf, in dem Glauben, ihn endlich, nach 43 Jahren als den wahren Kennedy-Mörder dingfest gemacht zu haben. - Doch hat er das wirklich? Huismann präsentiert einen Kronzeugen, den im Ausland lebenden angeblichen ehemaligen Leitenden Mitarbeiter des kubanischen Geheimdienstes G-2 mit Decknamen Oscar Marino, der allerdings einschränkend erklärt, selbst nie etwas mit Oswald zu tun gehabt zu haben. Auf Seite 210 zitiert Huismann aus seinem Gespräch mit Marino wie folgt:
Huismann:
"Hat die kubanische Regierung die Ermordung von Präsident Kennedy geplant?"
Marino:
"Ich möchte eine direkte Antwort vermeiden und es so ausdrücken: Als Kennedy starb, haben wir nicht geweint."
Huismann:
"Wie würden Sie die Rolle der G-2 bei dem Attentat definieren?"
Marino:
"Die G-2 wollte Kennedys Tod, und sie hat Oswald dafür benutzt..."
Huismann:
"Hat Oswald von der G-2 den Befehl bekommen, Kennedy zu töten?"
Marino:
"Befehl ist das falsche Wort, ich würde sagen: Es war ein Wunsch."
Huismann:
"Hat Fidel Castro die Operation gegen Kennedy befohlen?"
Marino:
"Ich kann Ihnen nur sagen, sie wurde auf höchster Ebene der G-2 beschlossen. Das weiß ich, und das kann ich Ihnen versichern. Ob Fidel persönlich den Befehl gab, dazu kann und will ich mich nicht äußern. Ich habe jetzt genug gesagt."
Danach steht für Huismann fest:
Nachdem Oscar Marino seine Aussage gemacht hat, ist das Bild klar: Oswald war eine menschliche Bombe, die vom kubanischen Geheimdienst scharf gemacht und auf ihr Ziel gelenkt wurde. Einmal aktiviert, konnte der Schläfer der Weltrevolution allein zurechtkommen. Er brauchte niemanden mehr, um seine Mission zu erfüllen. Seine Paten in Havanna brauchten nur noch abzuwarten.
Lee Harvey Oswald ein Schläfer der Weltrevolution, der sich für 6.500 US-Dollar Judaslohn mit einem altmodischen Karabiner mit Zielfernrohr, den er für 19 Dollar 95 aus dem Versandhauskatalog bestellt hat, aufmacht, für Castro den US-Präsidenten zu erschießen? Warum sollte sich der kubanische Geheimdienst, der schon damals, vom sowjetischen KGB trainiert und beaufsichtigt, als einer der besten der Welt galt, für einen Jahrhundertmord ausgerechnet eines Mannes versichern, der von ihnen, den Sowjets und den Amerikanern gleichermaßen als psychisch instabil, mit eher wirren als fundierten politischen und ideologischen Ansichten eingestuft worden war, der einen solch unsteten, bizarren Lebenslauf aufzuweisen hatte, dass bei jedem, der mit ihm in Berührung kam, die Alarmlampen aufleuchten mussten. Seine engsten Freunde waren nach seiner Rückkehr aus der Sowjetunion der weißrussische Baron George de Mohrenschildt und sein Frau. Dieser war offiziell im Ölgeschäft tätig und inoffiziell in Diensten der CIA. Später hieß es, er sei insgeheim Oswalds Führungsagent gewesen. Zwar exponierte sich Oswald in der Zeit zwischen seiner Rückkehr aus der Sowjetunion und dem Kennedy-Mord auffällig als Kuba-Freund, der in New Orleans in einer Ein-Mann-Show für das Komitee "Fair Play for Cuba" Flugblätter des Inhalts "Hände weg von Kuba" verteilte. Das Milieu, in dem er sich jedoch bewegte, und in dem sich auch sein "Fair Play"-Büro befand, war in Wirklichkeit eines aus CIA, Mafia und militanten Exilkubanern.
Huismanns Buch liest sich durchaus interessant und spannend, die Zeugenaussagen - vom ehemaligen US-Außenminister unter Präsident Ronald Reagan, General Alexander Haig, einstigen FBI-Ermittlern, ehemaligen kubanischen Botschaftsangehörigen und Agenten bis zum einstigen kubanischen Geheimdienstchef, General Fabián Escalante - wirken oftmals bestechend schlüssig, was sie bei genauerem Hinsehen dann aber doch nicht sind. Am Ende ist Huismanns Buch - ebenso wie der Film - nicht mehr als eine Bereicherung der ohnehin existierenden Verschwörungstheorien.
Huismann ignoriert, dass seriöse und offizielle Stellen in der Politik und im Sicherheitsapparat der USA - und nicht nur Verschwörungstheoretiker - spätestens seit Ende der Siebziger Jahre davon ausgehen, dass es ein Komplott zur Ermordung des Präsidenten gab, deren Hintermänner nicht in Havanna, sondern in den USA saßen. Dass nicht ein einsamer Schütze aus dem obersten Stockwerk eines Lagerhauses schoss, sondern dass mindestens zwei, möglicherweise drei über Walkie-Talkies koordinierte Killer-Teams aus vier bis sechs Personen vor Ort waren. Sie sollen heimlich aus der CIA heraus seit Jahren teils geführten, teils gedeckten Gruppen militanter Exilkubaner und Mafiosi angehört haben, die in gleichem Maße hinter Castro her waren und deren Namen allen geläufig sind, die sich mit geheimen und illegalen Operationen der US-Geheimdienste und des Militärs befassen.
Dass Castro als einer der ersten Verdächtigen galt, daran hat der Commandante auch selbst schuld. Verärgert über die von Präsident Kennedy und insbesondere seinem Bruder, Justizminister Robert Kennedy veranlassten fortwährenden verdeckten US-Geheimdienstoperationen gegen ihn und seine Insel, sprach Castro am 9. September 1963, mithin knapp über zwei Monate vor dem Attentat, auf einem Empfang der brasilianischen Botschaft in Havanna die Warnung aus:
" Wenn die Führer der USA nicht mit diesen terroristischen Aktionen aufhören, können sie selbst das Ziel ähnlicher Aktionen werden."
Somit könnte Castros Treffen mit dem Journalisten Daniel ausgerechnet zum Zeitpunkt des Attentats natürlich auch eine Inszenierung, ein gut getimter Theatercoup des zeit seines Lebens grandiosen Staatsschauspielers gewesen sein. Andererseits wurde Castro ausgerechnet von niemand Geringerem als dem "House Select-Commitee on Assassinations" vom Mordvorwurf freigesprochen. Der kubanische Staatschef hatte sich - ungewöhnlich genug - am 3. April 1978 von Ausschussmitgliedern, die eigens nach Havanna gereist waren, zu dem Mordvorwurf gegen ihn vernehmen lassen. Danach hieß es in dem Bericht:
Der Ausschuss glaubt auf der Grundlage der ihm zugänglichen Beweise, dass die kubanische Regierung nicht in die Ermordung von Präsident Kennedy verwickelt war.
Das Beruhigende an Huismanns "Rendezvous mit dem Tod" ist, dass es eben nur ein Rendezvous ist - und nichts Endgültiges, eine Verlockung für alle Verschwörungstheoretiker.
Wilfried Huismann: Rendezvous mit dem Tod. Warum John F. Kennedy sterben musste
Pendo Verlag, München/Zürich 2006
246 S., Euro 21,90
ISBN 10: 3-86612-095-8,
ISBN 13: 978-3-86612-095-2
"Plötzlich klingelt das Telefon. - Castro gibt laut wieder, was man ihm berichtet:
'Verletzt..., schwer..., sehr schwer verletzt'...
'Tot ?' ....
'Nein, er ist nicht tot.'...
Zehn Minuten später ruft Staatspräsident Dorticos an: 'Kennedy ist tot.'
'Aah...'
Castro empört sich, wie ein Schauspieler: 'Ihre Mission ist zu Ende, lieber Jean Daniel. Es ist vorbei. Vielleicht haben sie ihn wegen Ihrer Mission umgebracht. Weil Kennedy und ich uns hätten verständigen können. Jetzt wird die ganze Welt glauben, ich stecke hinter der Ermordung.'
'Ich sage ihm: 'Das ist ja auch durchaus denkbar. Denn Kennedy hat ja versucht, Sie ermorden zu lassen.'
Und Castro erwidert: 'Das ist ausgeschlossen. Auf keinen Fall. Kennedy hätte der erste US-Präsident sein können, mit dem ich mich hätte verständigen können."
Glaubt man indessen dem deutschen Dokumentarfilmer Wilfried Huismann, dann steckte Fidel Castro tatsächlich hinter dem Mord. In seinem jetzt auch als Buch vorgelegten Film "Rendezvous mit dem Tod" spekuliert Huismann in verschwörerischem Tremolo, dass der US-Präsident im Auftrag Castros erschossen wurde, weil Kennedy seinerseits Fidel Castro ins Visier genommen hatte.
Als Täter präsentierten die US-Ermittler schon Stunden später Lee Harvey Oswald, einen, wie damals die Medien meldeten, "marxistischen Deserteur" und Bewunderer Castros. Der 24jährige ehemalige Marine, der mehr schlecht als recht eine Scharfschützenausbildung absolviert hatte, dann auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Atsugi in Japan Dienst tat, von dem aus die amerikanischen U-2-Spionageflugzeuge ihre Aufklärungsflüge über der kommunistischen Welt unternahmen, der russisch sprach und mit 20 in die Sowjetunion überlief, nach zweieinhalb Jahren mit einer russischen Frau zurückkehrte, ohne dass man ihn als Deserteur anklagte, sondern mit Reisespesen, Pass und Arbeit versorgte, - er sollte den Präsidenten mit drei gezielten Schüssen aus einem Karabiner mit aufgesetztem Zielfernrohr aus großer Entfernung erschossen haben. Zwei Tage später wird Oswald selbst im Polizeigewahrsam mit einem Schuss getötet - von dem Nachtklubbesitzer und Mafioso Jack Ruby, einem langjährigen Gefährten der von den Kennedys verfolgten Mafiapaten Sam Giancana und Santos Trafficante. Oswald und sein Mörder sollen Verbindung miteinander gehabt haben. Rubys Tatmotiv war angeblich ein plötzlicher Anfall von Patriotismus. Aber scheint es nicht eher so, als sei Oswald nur der Sündenbock gewesen, der aus dem Weg geräumt werden musste? Die Akten zum Fall Kennedy/Oswald werden jedenfalls schnell geschlossen, und die vom Kongress beauftragte Warren-Kommission legte schon nach einigen Monaten ihren Abschlussbericht vor. Ergebnis: Oswald war ein Einzeltäter ohne Hintermänner. Auch Huismann glaubt an die These vom Einzeltäter Oswald, jedoch mit dem entscheidenden Unterschied, dass er einen Auftraggeber hatte: den kubanischen Geheimdienst. Auf knapp 250 Buchseiten versucht der Dokumentarfilmer das zu belegen, was Kennedys einstiger Vize und Nachfolger, der Texaner Lyndon B. Johnson, in der ihm eigenen Wildwest-Terminologie einmal salopp so ausdrückte:
""Nun ja, Kennedy versuchte Castro zu erledigen, aber Castro war schneller."
Huismanns spekulative Beweisführung von Castro als dem Drahtzieher des Kennedy-Mordes funktioniert aber nur innerhalb des geschlossenen Systems seiner Hypothese. Diese kreist um einen mysteriösen mehrtägigen Aufenthalt Oswalds in Mexiko-Stadt Ende September/Anfang Oktober 1963, anderthalb Monate vor dem Attentat. In dessen Verlauf tauchte Oswald in der kubanischen Botschaft auf, gab vor, ein Anhänger der kubanischen Revolution zu sein und bat um ein Transitvisum nach Kuba für eine Reise in die Sowjetunion. Als man ihn abwies, weil man glaubte einen Agent provocateur vor sich zu haben, inszenierte Oswald einen Eklat und schrie zu aller Überraschung, er wolle "Kennedy, diesen Bastard, umbringen". Daraufhin wurde er vom Botschaftspersonal vor die Tür gesetzt. Nach jahrelangen intensiven Recherchen und Zeugenbefragungen versucht Huismann nun nachzuweisen, dass alles nur inszeniert war und Oswald sich in Mexiko in Wahrheit mit Führungsagenten des kubanischen Geheimdienstes G-2 traf und die ungeheuerliche Tat verabredete. Ein Zeuge wollte gesehen haben, wie Oswald von einem schwarzen, rothaarigen offenbar hochrangigen Agenten 6.500 US-Dollar in die Hand gezählt bekommen haben soll.
Einer der Gründe dafür, dass Huismann sich der Mexiko-Spur Oswalds annahm, war, wie er schreibt, dass der damalige FBI-Chef John Edgar Hoover seinen dorthin entsandten Agenten schon nach drei Tagen angeblich auf Veranlassung des Kennedy-Nachfolgers Lyndon B. Johnson anwies, die Ermittlungen abzubrechen und zurückzukehren. Huismann hat diesen Agenten gesprochen, der ihm auch berichtete, er sei bei seinen Ermittlungen in Mexiko behindert und hinters Licht geführt worden. Huismann schreibt dazu:
Johnson trägt die Verantwortung dafür, dass Fidel Castro als Pate des Verbrechens ungestraft davongekommen ist. Als er wenige Stunden nach Kennedys Ermordung erfuhr, der Mörder Lee Harvey Oswald habe Kontakt zum kubanischen Geheimdienst gepflegt, war er schockiert. Wäre diese Tatsache in dem traumatisierten und aufgewühlten Amerika bekannt geworden, hätte er Kuba militärisch angreifen und damit möglicherweise die Verantwortung für den Ausbruch des Dritten Weltkrieges tragen müssen. Gemeinsam mit dem Bruder des toten Präsidenten, Robert Kennedy, entschloss er sich, die Hintergründe des Verbrechens zu vertuschen. Alle Ermittlungen in Richtung Kuba wurden eingestellt, und auch die Warren-Kommission, die das Verbrechen untersuchen sollte, wurde absichtlich getäuscht.
Dieser weltverschwörerische Rundumschlag ist starker Tobak. Bislang galten nämlich ganz andere Verdachtsmomente für die rasche Einstellung der Ermittlungen, nämlich die, dass, falls zu tief gegraben würde, nicht nur viel Schmutz ans Tageslicht käme, sondern Schlimmeres. Es existierten nämlich auch Verdachtsmomente, wonach Oswalds Mexiko-Reise in Wahrheit eine von langer Hand geplante CIA-Inszenierung war, mit dem Ziel, am Tage X das Castro-Regime belasten zu können. Wenn es aber so herum war, dann wäre das der Beweis, dass das Kennedy-Attentat von langer Hand vorbereitet gewesen sein musste und CIA-Kader dabei eine maßgebliche Rolle gespielt haben. CIA-Statthalter in Mexiko war damals einer der größten Desinformationsspezialisten der CIA: David Attlee Philips. Er war auch einer der Chefplaner der von der CIA organisierten, aber kläglich gescheiterten Invasion exilkubanischer Söldner in der Schweinebucht im April 1961. Philips und die anderen Beteiligten lasteten den Fehlschlag Kennedy an, der Luft- und Seeunterstützung des US-Militärs verweigert hatte und fortan in diesem Milieu noch verhasster schien als Castro.
Aber Huismann sieht es genau anders herum. Und so knüpfte er aus seinen Erkenntnissen ein Netz, das er nun über den inzwischen in Havanna todkrank darniederliegenden Caudillo auswarf, in dem Glauben, ihn endlich, nach 43 Jahren als den wahren Kennedy-Mörder dingfest gemacht zu haben. - Doch hat er das wirklich? Huismann präsentiert einen Kronzeugen, den im Ausland lebenden angeblichen ehemaligen Leitenden Mitarbeiter des kubanischen Geheimdienstes G-2 mit Decknamen Oscar Marino, der allerdings einschränkend erklärt, selbst nie etwas mit Oswald zu tun gehabt zu haben. Auf Seite 210 zitiert Huismann aus seinem Gespräch mit Marino wie folgt:
Huismann:
"Hat die kubanische Regierung die Ermordung von Präsident Kennedy geplant?"
Marino:
"Ich möchte eine direkte Antwort vermeiden und es so ausdrücken: Als Kennedy starb, haben wir nicht geweint."
Huismann:
"Wie würden Sie die Rolle der G-2 bei dem Attentat definieren?"
Marino:
"Die G-2 wollte Kennedys Tod, und sie hat Oswald dafür benutzt..."
Huismann:
"Hat Oswald von der G-2 den Befehl bekommen, Kennedy zu töten?"
Marino:
"Befehl ist das falsche Wort, ich würde sagen: Es war ein Wunsch."
Huismann:
"Hat Fidel Castro die Operation gegen Kennedy befohlen?"
Marino:
"Ich kann Ihnen nur sagen, sie wurde auf höchster Ebene der G-2 beschlossen. Das weiß ich, und das kann ich Ihnen versichern. Ob Fidel persönlich den Befehl gab, dazu kann und will ich mich nicht äußern. Ich habe jetzt genug gesagt."
Danach steht für Huismann fest:
Nachdem Oscar Marino seine Aussage gemacht hat, ist das Bild klar: Oswald war eine menschliche Bombe, die vom kubanischen Geheimdienst scharf gemacht und auf ihr Ziel gelenkt wurde. Einmal aktiviert, konnte der Schläfer der Weltrevolution allein zurechtkommen. Er brauchte niemanden mehr, um seine Mission zu erfüllen. Seine Paten in Havanna brauchten nur noch abzuwarten.
Lee Harvey Oswald ein Schläfer der Weltrevolution, der sich für 6.500 US-Dollar Judaslohn mit einem altmodischen Karabiner mit Zielfernrohr, den er für 19 Dollar 95 aus dem Versandhauskatalog bestellt hat, aufmacht, für Castro den US-Präsidenten zu erschießen? Warum sollte sich der kubanische Geheimdienst, der schon damals, vom sowjetischen KGB trainiert und beaufsichtigt, als einer der besten der Welt galt, für einen Jahrhundertmord ausgerechnet eines Mannes versichern, der von ihnen, den Sowjets und den Amerikanern gleichermaßen als psychisch instabil, mit eher wirren als fundierten politischen und ideologischen Ansichten eingestuft worden war, der einen solch unsteten, bizarren Lebenslauf aufzuweisen hatte, dass bei jedem, der mit ihm in Berührung kam, die Alarmlampen aufleuchten mussten. Seine engsten Freunde waren nach seiner Rückkehr aus der Sowjetunion der weißrussische Baron George de Mohrenschildt und sein Frau. Dieser war offiziell im Ölgeschäft tätig und inoffiziell in Diensten der CIA. Später hieß es, er sei insgeheim Oswalds Führungsagent gewesen. Zwar exponierte sich Oswald in der Zeit zwischen seiner Rückkehr aus der Sowjetunion und dem Kennedy-Mord auffällig als Kuba-Freund, der in New Orleans in einer Ein-Mann-Show für das Komitee "Fair Play for Cuba" Flugblätter des Inhalts "Hände weg von Kuba" verteilte. Das Milieu, in dem er sich jedoch bewegte, und in dem sich auch sein "Fair Play"-Büro befand, war in Wirklichkeit eines aus CIA, Mafia und militanten Exilkubanern.
Huismanns Buch liest sich durchaus interessant und spannend, die Zeugenaussagen - vom ehemaligen US-Außenminister unter Präsident Ronald Reagan, General Alexander Haig, einstigen FBI-Ermittlern, ehemaligen kubanischen Botschaftsangehörigen und Agenten bis zum einstigen kubanischen Geheimdienstchef, General Fabián Escalante - wirken oftmals bestechend schlüssig, was sie bei genauerem Hinsehen dann aber doch nicht sind. Am Ende ist Huismanns Buch - ebenso wie der Film - nicht mehr als eine Bereicherung der ohnehin existierenden Verschwörungstheorien.
Huismann ignoriert, dass seriöse und offizielle Stellen in der Politik und im Sicherheitsapparat der USA - und nicht nur Verschwörungstheoretiker - spätestens seit Ende der Siebziger Jahre davon ausgehen, dass es ein Komplott zur Ermordung des Präsidenten gab, deren Hintermänner nicht in Havanna, sondern in den USA saßen. Dass nicht ein einsamer Schütze aus dem obersten Stockwerk eines Lagerhauses schoss, sondern dass mindestens zwei, möglicherweise drei über Walkie-Talkies koordinierte Killer-Teams aus vier bis sechs Personen vor Ort waren. Sie sollen heimlich aus der CIA heraus seit Jahren teils geführten, teils gedeckten Gruppen militanter Exilkubaner und Mafiosi angehört haben, die in gleichem Maße hinter Castro her waren und deren Namen allen geläufig sind, die sich mit geheimen und illegalen Operationen der US-Geheimdienste und des Militärs befassen.
Dass Castro als einer der ersten Verdächtigen galt, daran hat der Commandante auch selbst schuld. Verärgert über die von Präsident Kennedy und insbesondere seinem Bruder, Justizminister Robert Kennedy veranlassten fortwährenden verdeckten US-Geheimdienstoperationen gegen ihn und seine Insel, sprach Castro am 9. September 1963, mithin knapp über zwei Monate vor dem Attentat, auf einem Empfang der brasilianischen Botschaft in Havanna die Warnung aus:
" Wenn die Führer der USA nicht mit diesen terroristischen Aktionen aufhören, können sie selbst das Ziel ähnlicher Aktionen werden."
Somit könnte Castros Treffen mit dem Journalisten Daniel ausgerechnet zum Zeitpunkt des Attentats natürlich auch eine Inszenierung, ein gut getimter Theatercoup des zeit seines Lebens grandiosen Staatsschauspielers gewesen sein. Andererseits wurde Castro ausgerechnet von niemand Geringerem als dem "House Select-Commitee on Assassinations" vom Mordvorwurf freigesprochen. Der kubanische Staatschef hatte sich - ungewöhnlich genug - am 3. April 1978 von Ausschussmitgliedern, die eigens nach Havanna gereist waren, zu dem Mordvorwurf gegen ihn vernehmen lassen. Danach hieß es in dem Bericht:
Der Ausschuss glaubt auf der Grundlage der ihm zugänglichen Beweise, dass die kubanische Regierung nicht in die Ermordung von Präsident Kennedy verwickelt war.
Das Beruhigende an Huismanns "Rendezvous mit dem Tod" ist, dass es eben nur ein Rendezvous ist - und nichts Endgültiges, eine Verlockung für alle Verschwörungstheoretiker.
Wilfried Huismann: Rendezvous mit dem Tod. Warum John F. Kennedy sterben musste
Pendo Verlag, München/Zürich 2006
246 S., Euro 21,90
ISBN 10: 3-86612-095-8,
ISBN 13: 978-3-86612-095-2