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Neue wirtschaftliche Impulse für Wallonien

Der französischsprachige Teil Belgiens, also Wallonien, war einst Vitrine der florierenden belgischen Wirtschaft. Vor allem die Metall-Industrie brachte der Region Wohlstand. Mit dem Zusammenbruch der Schwerindustrie begann die Niedergang. In Wallonien ist heute jeder fünfte Einwohner ohne Arbeit. Um die Region vor dem völligen Untergang zu bewahren, stellte die wallonische Regional-Regierung gestern einen Marshall-Plan für die Region vor. Ein Bericht von Ruth Reichstein.

    "Hier stehen wir vor den Produktionsketten vier und fünf. Wir bearbeiten Metall für verschiedene Industriezweige. Wir verzinken das Roh-Blech, beidseitig, was vor allem für die Automobilindustrie wichtig ist. Das wird später die Karosserie."

    Marc De Tiers ist Gewerkschaftler bei Phönix, einer der vielen Metallverarbeitungsbetriebe rund um die belgische Stadt Lüttich. Er ist stolz auf die schon fast zwei Jahrhunderte alte Tradition der Schwerindustrie entlang der Maas. Aber die Blütezeiten sind lange vorbei. Im April wurde die vorletzte Kokerei der Region geschlossen. 2009 soll die letzte stillgelegt werden. Den Arbeitern bleibt dann nur noch die so genannte "kalte" Industrie, also die Weiterverarbeitung des Rohmetalls. Und das führt zu erheblichen Schwierigkeiten in der Region. Marc de Tiers:

    "Unser größtes Problem ist, dass die gesamte heiße Industrie geschlossen wird. Das heißt, dass die ganzen Arbeiter jetzt in die kalte Verarbeitung kommen. Und das bereitet uns unglaubliche Probleme. Denn auch bei uns werden bereits Arbeitsplätze abgebaut. Also fragen wir uns, wo wir die ganzen Arbeitslosen unterbringen sollen. Mit all den Zulieferfirmen werden ungefähr 10 000 Arbeitsplätze verloren gehen."

    Und die Arbeitslosigkeit in der Wallonie ist schon jetzt um ein vielfaches höher als in Belgien. Sie liegt bei knapp 20 Prozent. Im belgischen Durchschnitt haben nur acht Prozent keinen Job.

    Um den Verfall der französischsprachigen Provinzen Belgiens zu verhindern, hat die Regionalregierung nun drastische Maßnahmen angekündigt. Gestern stellte der regionale Premierminister van Cauenberge den so genannten Marshall-Plan vor, der die wallonische Wirtschaft wieder auf Vordermann bringen soll.

    "Dieser Plan ist wirklich außergewöhnlich. Wir haben erkannt, dass wir in der Krise, in der unsere Wirtschaft gerade steckt, eine außergewöhnliche Summe investieren und uns damit auf einige wenige Prioritäten konzentrieren müssen. Wir haben alle unsere Kräfte gebündelt, um Unternehmen in die Region zu holen, Arbeitsplätze zu schaffen und die Forschung zu stärken. Wir wollen unsere Region mit einigen Wettbewerbsvorteilen ausstatten, damit sie vom nächsten Wirtschaftsaufschwung profitieren kann."

    Die Regierung hat sich auf fünf Förderbereiche konzentriert: Darunter sind Steuererleichterungen für mittelständische Unternehmen und die Unterstützung von Forschung und Entwicklung. Noch nie, sagt Premierminister van Cauenberge, wurde dafür so viel Geld zur Verfügung gestellt.

    "In den kommenden vier Jahren investieren wir in diesen Plan eine Milliarde Euro, um die verschiedenen Projekte zu finanzieren. Dafür müssen wir natürlich Opfer bringen. Wir haben bereits einige Aktien aus unserem Besitz verkauft. Andere Firmen bitten wir, Dividenden auszuschütten. Und natürlich muss auch die Regierung selbst den Gürtel enger schnallen und die Ausgaben verringern. Denn wir wollen wirklich alle unsere Mittel in die Ankurblung der Wirtschaft stecken."

    Die Arbeiter in der Region um Lüttich bleiben vorerst skeptisch. Sie haben schon zu viele leere Versprechungen gehört, sagt jedenfalls Fabio di Liberto, der ebenfalls in der Blech-Verarbeitung tätig ist:

    "Dieser Marshall-Plan ist für den Strukturwandel sehr wichtig. Denn wie soll das sonst nach 2009 weitergehen? Wo sollen die ganzen Leute denn hin? Als ich vor 17 Jahren hier angefangen habe, haben mir alle gesagt, dass ich einen Job fürs Leben gefunden hatte. Ich sollte hier alt werden. Aber jetzt habe ich doch starke Zweifel, wenn ich die Situation hier sehe. Diese Fabrik soll zwar noch nicht geschlossen werden. Aber ich sehe, wie hier eine Produktionsstätte nach der anderen abgebaut wird. Werden sich die Politiker diesmal an ihre Versprechen halten? Wie weit soll das denn noch gehen? Das alles macht mir wirklich große Sorgen."