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Neuer Rechtsweg
Musterfeststellungsklage - was ist das?

Seit heute ist die Musterfeststellungsklage in Deutschland möglich. Verbände klagen dabei für Betroffene. Die erste Klage, gegen VW im Diesel-Skandal, hat der Bundesverband der Verbraucherzentralen bereits eingereicht. Fragen und Antworten zum neuen Rechtsweg.

01.11.2018
    Sammlung von Aktenordnern mit Anklageschriften verschiedener Landgerichte Deutschlands zum Dieselskandal
    Sammlung von Aktenordnern mit Anklageschriften verschiedener Landgerichte Deutschlands zum Dieselskandal (imago stock&people)
    Was ist die Musterfeststellungsklage?
    Die Musterfeststellungsklage ist eine Art "Einer-für-alle"-Klage. Das Instrument ist neu, der VW-Fall der erste Praxistest. Verbraucherschutzverbände klagen dabei für Gruppen von Betroffenen. Justizministerin Barley beschrieb es im Deutschlandfunk so: "Jetzt bekommt man eine Vorprüfung. Als Betroffener weiß ich, ob ich mit meinem Begehren Erfolg haben werde. Mit dem Musterfeststellungs-Urteil in der Hand kann ich mich an den Konzern wenden."
    Wie funktioniert die Klage?
    In diesem Fall hat der Bundesverband der Verbraucherzentralen zehn Fälle aufgearbeitet und seine Klage auf dieser Grundlage heute, am Tag des Inkrafttretens der gesetzlichen Grundlage, beim Oberlandesgericht Braunschweig eingereicht. Hält das Gericht die Klage für zulässig, können sich weitere Betroffene kostenlos beim Bundesamt für Justiz in ein Klageregister eintragen. Das soll einfach und ohne Anwälte möglich sein. In zwei Monaten müssen insgesamt 50 Menschen zusammenkommen. Wenn die Verhandlung begonnen hat, kann man nicht mehr einsteigen. Der Vorteil dieses Rechtswegs im Gegensatz zur Sammelklage besteht laut Justizministerin Barley darin, dass das Verfahren für den Einzelnen kostenlos ist und dieser sich nur in Listen eintragen muss. Nach Abschluss der Vorprüfung könnten Betroffene entscheiden, wie es weitergehe.
    Was ist als Ergebnis für den Verbraucher zu erwarten?
    Bei dem Verfahren geht es erstmal nur darum, ob der Beklagte, in dem Fall Volkswagen, unrechtmäßig gehandelt hat. Wird den Kunden ein Recht auf Schadenersatz zugesprochen, müssen sie dies selbst durchsetzen. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen hofft auf einen Vergleich. Drei Möglichkeiten seien dabei laut Bundesverband wünschenswert: 1. Dass Autobesitzer ihr Auto zurückgeben können und den Kaufpreis erstattet bekommen, 2. sollten sie das Auto behalten haben, sollen sie den Wertverlust kompensiert bekommen, 3. sollten sie das Auto bereits verkauft haben, sollten sie eine entsprechende Entschädigung bekommen.
    Auch Justizministerin Barley geht nicht davon aus, dass jeder Verbraucher einzeln Klage einreichen muss. Sie sagte im Deutschlandfunk, VW habe kein Interesse daran, tausende Einzelverfahren zu führen - zumal man wisse, dass man jeden Folgeprozess verlieren werde. Daher gebe es eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass man sich mit den Verbrauchern einigen wolle.
    Welches Risiko haben die Kläger?
    Das Prozesskostenrisiko trägt der Bundesverband der Verbraucherzentralen allein. Sollten die Verbraucherzentralen verlieren, sind alle, die sich der Klage angeschlossen haben, allerdings an diese Entscheidung gebunden. Sie können also nicht mehr vor anderen Gerichten auf Schadenersatz klagen.
    Wie groß sind die Chancen auf Erfolg?
    Die Anwälte der Kläger sind sehr zuversichtlich, Volkswagen dagegen sieht wenig Aussichten für einen Erfolg der Klage. Die Fahrzeuge seien trotz der manipulierten Abschalteinrichtung der Abgasreinigung genehmigt, technisch sicher und fahrbereit, argumentiert das Unternehmen.
    Wie sieht der zeitliche Rahmen aus?
    Beide Seiten gehen von mündlichen Verhandlung 2019 und einer Gerichtsentscheidung 2020 aus. Danach rechnet VW mit dem Gang zum Bundesgerichtshof, wo ebenfalls zwei Jahre anfallen dürften. Erst dann könnte in Einzelverhandlungen über die jeweilige Höhe des Schadenersatzes entschieden werden.
    Welches Potenzial haben Musterfeststellungsklagen im Allgemeinen?
    Der Jurist Martin Schmidt-Kessel geht davon aus, dass ein großer Teil der möglichen Einzelklagen mit Vergleichen enden werde. Er sagte im Dlf, das Erpressungs- und Druckpotenzial der Musterfeststellungsklage sei nicht so groß wie zum Beispiel das der Sammelklage in den USA – aber erheblich größer als das jedes Einzelnen. VW etwa habe im Vorfeld versucht, viele Fälle zu vergleichen, damit möglichst wenige Verbraucher an einer Musterfeststellungsklage teilnehmen.
    Wer darf Musterfeststellungsklagen erheben?
    Ein klagender Verband muss laut Gesetzentwurf mindestens zehn Unterverbände haben oder 350 Mitglieder. Und: Nicht mehr als fünf Prozent ihres Budgets dürfen von Unternehmen kommen. Der Umweltdachverband "Deutscher Naturschutzring" nennt diese Kriterien zu hoch. Zum Dachverband zählen unter anderem der BUND und die "Deutsche Umwelthilfe". Nicht nur Letztgenannte hätte Schwierigkeiten, die Kriterien zu erfüllen, sondern fast alle, heißt es von dort. Manche Wirtschaftsvertreter hätten sich hingegen noch strengere Kriterien für die stellvertretend klagenden Verbände gewünscht. Stephan Wernicke vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag hätte befürwortet, dass nur der Bundesverband der Verbraucherzentralen klagen darf. Er fürchtet, dass vor allem Kanzleien aus dem Ausland gezielt zusammen mit privaten Verbänden gegen Unternehmen vorgehen könnten und sieht die Gefahr, dass eine Klageindustrie wie in den USA entsteht.
    Hier finden Sie einen ausführlichen "Hintergrund" zum Thema Musterfeststellungsklage.