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Neuer Ring für Hannover

Das "Rheingold" eröffnet den Ring – und ist mit seinem Plot ein wahres Fest für einen Regisseur. Vor allem, wenn es ein so fantasiebegabter ist wie der Australier Barrie Kosky, dem an der Staatsoper Hannover eine humorvolle und leidenschaftliche Inszenierung Wagners gelang.

Von Christoph Schmitz |
    Wer bei der Premiere des "Rheingold" gestern Abend die Augen geschlossen und das Bühnengeschehen konsequent ausgeblendet hätte, wäre mit dem Einsatz der Bläser schnell zu der Überzeugung gekommen, er säße nicht in der Staatsoper Hannover, sondern in einer Schrammelbude in Marrakesch oder Afghanistan. So viel Pech mit Intonation und Ansatz kann ein europäisches Orchester doch kaum haben. Hinzu kamen grobe Dynamik, brüllendes Fortissimo und ungeschliffene Klangflächen. Und der Alberich wurde von Stefan Adam nicht gesungen, sondern geröchelt, gekrächzt und geschrien. Er japste förmlich nach Luft und war ständig hinter Atem.
    "Das Licht lösch ich euch aus, entreiße der Flut das Gold, schmiede den rächenden Ring, so verfluch ich die Liebe!"

    Selten erlebt man, dass ein Dirigent nach der Vorstellung auf der Bühne ausgebuht wird. In Hannover ist es Wolfgang Bozic so ergangen. Und dennoch, oder vielleicht gerade wegen aller mitunter auch unfreiwilligen Grobheiten war es ein großartiger Abend! Aber die Musik konnte man nur verstehen, wenn man die Augen weit geöffnet hatte. Und die Inszenierung von Barrie Kosky riss sie einem förmlich auf und entfaltete eine Energie, die auf die Deutung der Partitur umschlug, wie der Mikrowellenherd die Wassermoleküle der in ihm rotierenden Speisen verrückt macht und heiß. Das Pech der Bläser bleibt zwar, aber alles andere war in Klang oder besser Lärm gebrachte Szenerie. Ich glaube, das hätte Wagner gefallen. Er hatte ja eine Schwäche fürs deftige Volkstheater.

    Möglicherweise war Wolfgang Bozic gar nicht mehr richtig bewusst, was er mit seinem Orchester aus Wagner gemacht hat, so perplex reagierte er auf den Unmut von Teilen des Publikums.

    Mit diesem hohlen und grobschlächtigen Getöse schreiten die Götter über den Regenbogen in ihre Himmelsburg Walhall - eigentlich. Bei Kosky schlendert ein korrupter Clan mit Champagnergläsern zwischen den Fingerspitzen von den Felsen einer Küste in die Dunkelheit einer dahinterliegenden schwarzen Strandvilla aus Glas. Der Leichnam des erschlagenen Fasolt bleibt zurück, der ein Monstrum aus Frankensteins Küche war, zusammen mit seinem Bruder Fafner ein siamesischer Zwilling auf drei Beinen mit Wasserkopfschädeln in spießiger Riesenstrickjacke. Das ist Comic pur, wie Kosky überhaupt Bilder der Trivialkultur collagiert, um über den Umweg höchster Künstlichkeit und gezielter Kunstlosigkeit die Gier, Lüsternheit, Macht-, Geld- und Geltungssucht des Menschen, wie der Ring ihn vorstellt, auf den Nenner zu bringen.

    In der Rheingoldszene am Anfang, wenn Alberich versucht, sich an die Rheintöchter ranzumachen, öffnet sich eine 30er-Jahre-Revuebühne voll tanzender Damen mit riesigen weißen Federfächern, die sie sinnlich wie Wasser zittern und Wellen wogen lassen.

    Der Schwarzalbe Alberich tritt als "Neger"-Klischee auf, verwandelt sich zu einem ehrgeizigen Heavymetal-Proleten, entführt aus Rache eine nackte Goldschönheit als personifiziertes Rheingold und schlachtet ihren Körper in seinem Kellerlabor für zweifelhafte, jedoch gewinnbringende Experimente aus. So beginnt der neue Ring in Hannover mit einem optisch und akustisch grellen Dreigroschenheft, bei dem es viel zu lachen gibt, zu fürchten und zu trauern über die Todesverfallenheit des Menschen, wenn ein steinaltes Erda-Double den Clanchef Wotan warnend umarmt.

    "Weiche, Wotan, weiche! Flieh des Ringes Fluch!"