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Neuer Streit ums Kopftuchverbot in Frankreich

Ist das islamische Kopftuch am Arbeitsplatz erlaubt oder nicht? Diese grundsätzliche Frage muss jetzt ein französisches Arbeitsgericht beantworten. Am Montag werden die Richter verkünden, ob eine private Kinderkrippe ihrer Angestellten religiöse Neutralität vorschreiben darf oder nicht.

Von Bettina Kaps | 10.12.2010
    Fatima Afif war seit 1991 in der privaten Kinderkrippe Baby Loup in der Pariser Vorstadt Chanteloup-les-Vignes angestellt. Zehn Jahre lang legte sie ihr islamisches Kopftuch bei der Arbeit ab. Dann ging sie sechs Jahre in Erziehungsurlaub, in dieser Zeit verstärkte sich ihre Religiosität. Heute besteht sie darauf, nur noch streng verschleiert zu arbeiten.

    Afif wurde fristlos entlassen. Sie klagte daraufhin vor dem Arbeitsgericht, außerdem rief sie die Antidiskriminierungsbehörde an. Zur allgemeinen Überraschung gab ihr diese Recht: Die Krippe, so der Vorwurf, wolle die Religionsfreiheit ihrer Mitarbeiter einschränken.

    Aziz Bentaj ist Berater und Rechnungsprüfer der Krippe Baby Loup. Er erklärt die Sichtweise des Vereins, der die Krippe betreibt.

    "Die Geschäftsordnung der Krippe verlangt seit jeher religiöse und politische Neutralität. Wenn wir Kleinkinder daran gewöhnen, eine Frau mit Kopftuch zu sehen, dann signalisieren wir ihnen, dass das normal ist. Es sind aber nicht unsere eigenen Kinder. Ihre Familien gehören ganz unterschiedlichen Glaubensrichtungen an. Nach Ansicht der Frauen, die die Krippe leiten, ist ein harmonisches Zusammenleben nur möglich, wenn die Laizität respektiert wird."

    Für Bentaj ist der Rechtsstreit Folge einer schleichenden Islamisierung der Vorstadtsiedlung von Chanteloup-les-Vignes. In der Trabantenstadt leben vor allem Einwanderer, die in der nahe gelegenen Automobilindustrie arbeiten. Der Ort leidet unter hoher Arbeitslosigkeit, Armut, Kriminalität. In dieser trostlosen Umgebung ist die Kinderkrippe ein Ort der Hoffnung. Baby Loup verfolgt das Ziel, Frauen zur Emanzipation zu verhelfen, sagt Aziz Bentaj.

    "Die Krippe ist atypisch. Zum Beispiel bei den Öffnungszeiten: Sie ist an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr geöffnet. Sie passt sich also den flexiblen Arbeitszeiten der Frauen an, die im Schichtdienst arbeiten. Außerdem ermöglicht sie es arbeitslosen Frauen, eine Ausbildung zu absolvieren und eine Anstellung als Kinderpflegerin zu finden."

    Diese Chance hatte auch Fatima Afif ergriffen. Obwohl sie keinen Schulabschluss hatte, wurde sie in der Krippe ausgebildet, bekam ein Diplom als Kinderpflegerin und stieg sogar zur stellvertretenden Leiterin auf. Jetzt verlangt sie 120.000 Euro Schadensersatz, wegen Diskriminierung. Das könnte die Krippe in den Ruin treiben.

    Die Rechtsanwältin Delphine Cuenot wartet gespannt auf den Ausgang des Verfahrens. Sie ist auf Arbeitsrecht spezialisiert und berät Firmen bei der Formulierung ihrer Geschäftsordnung. Dabei achtet die Juristin auf jedes einzelne Wort, denn die Rechtslage ist unklar.

    "Das französische Gesetzbuch sagt nichts über religiöse Zeichen am Arbeitsplatz. Fest steht hingegen, dass der Arbeitgeber die religiösen Überzeugungen seiner Mitarbeiter respektieren muss, das gehört zu den Grundrechten."

    Bisher darf eine Firma nur dann Kleidervorschriften erlassen, wenn sie konkrete Gründe anführen kann, wie zum Beispiel Kundenkontakt. Bei Konflikten vermeiden es viele Firmen, diese an die Öffentlichkeit zu tragen, weil sie nicht als islamfeindlich gelten wollen. Sie ziehen es oft vor, ihre Mitarbeiter finanziell abzufinden, sagt Delphine Cuenot. Die Rechtsanwältin hofft, dass jetzt für alle Bereiche der Wirtschaft Klarheit geschaffen wird.

    "Jetzt werden wir endlich wissen, was die Richter vom Prinzip der Neutralität halten, wie es die Hausordnung der Krippe verlangt, und das, obwohl keine wirtschaftlichen Interessen im Spiel sind. Wir werden also erfahren, ob es genügt, den sozialen Frieden geltend zu machen, um auffällige religiöse Zeichen zu verbieten."

    Viele Politiker und Teile der Öffentlichkeit in Frankreich lehnen es ab, wenn ihre Landsleute offen zeigen, dass sie Muslime sind. So wurde gerade ein Gesetz verabschiedet, dass es muslimischen Frauen verbietet, im Ganzkörperschleier auf die Straße gehen. Rechtsanwältin Cuenot hofft, dass das Problem der Laizität am Arbeitsplatz jetzt ohne Gesetz geregelt wird.

    "Derartige Gesetze stigmatisieren immer, das hat zuletzt wieder das Burka-Verbot gezeigt. Sie lösen fruchtlose Debatten aus, außerdem weiß niemand, wie man sie konkret anwenden soll. Ich hoffe, dass wir das Problem in den Firmen ohne Rückgriff auf ein Gesetz regeln können."

    Die Richter könnten Parallelen zu einem Gesetz aus dem Jahr 2004 ziehen, meint die Rechtsanwältin. Dieses verbietet das Tragen auffälliger religiöser Zeichen, auch christlicher Symbole, in den Schulen. Das Urteil wird mit Spannung erwartet, weil es möglicherweise zu einer weiteren Verschärfung des Prinzips der Laizität in Frankreich führen wird.