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Neues Flüchtlingsdrama im Mittelmeer

Während die Strände Süditaliens den Höhepunkt der Sommerferien erleben, sind die Rettungseinheiten im Kanal von Sizilien voll damit beschäftigt tote und überlebende Flüchtlinge zu bergen. Die Immigrationswelle reißt gerade im Sommer nicht ab, wenn das stabile Wetter die Aussichten auf eine erfolgreiche Überfahrt erhöht. Über ein Dutzend Leichen wurden 50 Seemeilen südlich von Lampedusa gefunden. Ein Bericht von Karl Hoffmann.

16.08.2007
    Italien auf dem Höhepunkt der Sommerferien: die Strände sind überfüllt, die Urlauber suchen Erholung und Entspannung, wie etwa auf der kleinen Insel Lampedusa, die rund 200 Kilometer südlich von Sizilien liegt. Viele wundern sich über das emsige Kommen und Gehen von Schnellbooten und Hubschraubern.

    Erst die Abendnachrichten bringen Aufklärung. Wieder einmal ist eine Tragödie nur wenige Kilometer vor dem herrlichen Urlauberstrand geschehen

    Die ganze Nacht über haben Suchmannschaften auf Schnellbooten nach den 14 Leichen gesucht, die bei einem Aufklärungsflug auf der Meeresoberfläche entdeckt wurden. Aber nur drei wurden bisher gefunden. Und so fügt die Reporterin auf dem Schnellboot der Küstenwacht hinzu: mehr als 300 Menschen sind in diesem Jahr bereits rund um Lampedusa ertrunken.

    Das Mittelmeer, ein gigantisches Urlaubsgebiet, wird gleichzeitig auch zum Massengrab. Wahrscheinlich gehörten die gestern geborgenen Leichen zu einer größeren Gruppe, die schon Ende vergangener Woche südlich von Malta von einem spanischen Frachter gerettet wurden. Die Überlebenden hatten von 15 verschollenen Weggefährten berichtet. Dass sie nach Tagen im Wasser noch gesichtet wurden, war den Schwimmwesten zu verdanken, die sie trugen. Die allermeisten Boat People aus Afrika haben keine Schwimmwesten. Und deshalb finden sich von ihnen auch keinerlei Spuren, wenn sie ertrinken.

    Folglich ist die offizielle Zahl von 9425 ertrunkenen Immigranten vor den Mittelmeerküsten Europas in den letzten achteinhalb Jahren nur die Spitze eines Eisbergs. Zehntausende haben die hoffnungsvolle Reise aus dem Elend in ihren Ursprungsländern in das reiche Europa nicht überlebt. Selbst erfahrene Seebären, wie der Fischer Giovanni Lupo, wagen keine Schätzungen. Giovanni weiß nur, dass das Meer viele, zu viele Opfer fordert:

    "Wir wissen nicht, wie viele untergehen, und wir können nicht mal erahnen, wie viele Tote es gibt auf diesem Weg übers Meer. Die Ärmsten. Es bleibt ein Geheimnis. Niemand kann die Toten zählen."

    Seit einigen Monaten ist Frontex, der verstärkte Grenzschutz im Mittelmeer aktiv. Marineeinheiten mehrerer EU-Mitgliedsstaaten patrouillieren im weiten Seegebiet zwischen Sizilien und Libyen und es zeigen sich die ersten, wenn auch zwiespältigen Ergebnisse: der Strom der Boat People hat offenbar nachgelassen, möglicherweise sinkt die Zahl der Immigranten übers Meer bis zum Jahresende um ein Drittel. Dafür steigt offenbar die Zahl der Toten, weil die Boote, um den Kontrollen zu entgehen, noch kleiner und damit unsicherer geworden sind. Der Versuch, das Meer vor Libyen abzuriegeln, ist aber wohl ganz offensichtlich ein Riesenflop. Die Boat People haben neue Wege gefunden. An der Südküste der Insel Sardinien, die bisher vollkommen unberührt war vom Menschenstrom aus Afrika, kommen inzwischen Dutzende von Booten mit Menschen aus Richtung Algerien an. Viele Italiener, die an den Stränden derzeit Urlaub machen, halten inzwischen nichts mehr von der versuchten Abschottung der italienischen Küsten:

    "Der Strom der Immigranten ist nicht mehr aufzuhalten. Italien liegt viel zu nahe an Afrika, und deshalb kommen sie hier an.

    Einzig ein neues Gesetz, mit dem die Einwanderung legalisiert und damit geordnet wird, kann verhindern, dass die Menschen auf dem Meer sterben, "

    meint Paolo Ferrero, der römische Sozialminister. Und auch der Schleppermafia könnte man endlich das Wasser abgraben, wenn die Menschen auf sicheren und viel billigeren Wegen nach Europa kommen dürfen.