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"Neumann hat uns in Ruhe gelassen"

Klaus Staeck, Präsident der Berliner Akademie der Künste, hat die Kulturpolitik der Großen Koalition und Staatsminister Bernd Neumann (CDU) gelobt. "Wir sind gut mit ihm ausgekommen, überhaupt keine Frage", sagte Staeck.

Klaus Staeck im Gespräch mit Jacqueline Boysen |
    Boysen: Herr Staeck, Ihre politischen Plakate sind vielen in unserem Lande im Gedächtnis. Die Axt am Koffer der Banker und das Versprechen "Wir machen mit Ihrem Geld, was wir wollen" aus dem Jahr 1997 ist heute aktueller denn je. Was würden Sie dieser Tage plakativ zum Thema machen?

    Staeck: Ja, wenn ich jetzt was machen würde, hätte ich es ja gemacht. Die Lage ist so breiig und so langweilig auch, dass man – wie manche Leute meinen – mit einem Plakat auch nichts mehr retten kann. Sie haben ja eben mein altes Plakat zitiert, ich kann auch andere Plakate aus dem Schubfach ziehen, zum Beispiel: "Mit Angela von der CDU in eine strahlende Zukunft", das Atomthema steht ja wieder zur Diskussion. Also, das ist mein – wenn Sie so wollen – fast Pech, dass ich Dinge mache, die nicht altern wollen. Denn ich will ja gerade, dass sich die Sachen verändern, mit Bildern eingreifen in politische Prozesse, in Diskussionen. Aber wenn eben die Zeit offenbar rückwärts läuft, dann hat man schlechte Karten. Das gebe ich schon gern zu. Aber Sie brauchen immer auch Leute dazu, die da was mitmachen.

    Boysen: Also, verstehe ich Sie richtig: Die ironische Brechung zieht heute nicht mehr, die Satire hat keine Chance, weil die Welt – der Wahlkampf in diesem Fall – zu langweilig geworden ist?

    Staeck: Nein, die Satire hat immer eine Chance, das ist klar. Bloß es gehören immer andere dazu, die man als Partner braucht, ganz einfach. Satire ist nie ein Selbstzweck, sondern Satire hat immer einen Gegner, und der ist in der Regel ein starker Gegner. Nie die Schwachen werden durch die Satire irgendwie angegriffen, sondern immer die Starken. Und die entziehen sich ja zum Teil. Das Problem des Wahlkampfes, glaube ich, für mich besteht auch darin, dass die eine große Volkspartei sich ja eigentlich der Auseinandersetzung tatsächlich entzieht über wichtige Fragen. Noch einmal: Wahlkampf ist die Zeit der Auseinandersetzung. Und die Zeit der Auseinandersetzung ist dafür da, die Bürger aufzuklären, was die einen wollen, was die anderen wollen. Und wenn die eine große Gruppe meint, sie müsse gar nichts mehr machen, sie müsse bloß abwarten, sie müsse nur den Wahltag irgendwie bei möglichst günstigen Umfragen erreichen, dann ist das eine Arbeitsverweigerung im Sinne der Demokratie.

    Boysen: Werfen Sie das nur der einen Partei, der Union, vor, oder trifft das nicht auch Ihre eigene Partei, die SPD?

    Staeck: Das ist natürlich immer ein Wechselspiel, aber in erster Linie natürlich der Union – und den Medien, die das Spiel mitmachen. In Wahrheit wollen sie diese Schlafwagenrepublik im Augenblick, aber der Zug rast in eine Richtung, davon bin ich überzeugt, der schon in eine schon gefährliche Richtung fährt.

    Boysen: Bleiben wir mal bei Ihrer Partei, Herr Staeck. Es interessiert uns natürlich Ihre Sicht auf die Lage der SPD. Sie sind seit fast 50 Jahren Mitglied dieser Partei und haben eine ganze Reihe von Wahlkämpfen miterlebt. Sie haben gekämpft für Willy Brandt, für Helmut Schmidt, auch für Oskar Lafontaine. Wie hat sich Ihr Verhältnis zu Ihrer Partei gewandelt?

    Staeck: Ich möchte Sie schon korrigieren: Ich habe nicht gekämpft für Willy Brandt, für Helmut Schmidt, für Oskar Lafontaine, sondern für eine Idee, die ich mit dieser Partei verbinde. Das ist schon was anderes. Ich habe nie dem Personenkult, schon gar nicht der SPD gehuldigt. Nein, die Situation ist natürlich eine andere. Was mich generell stört: Dass wir uns alle miteinander das Politische abtrainiert haben. Also, wir erregen uns Tage, fast Wochen über einen Dienstwagen, der, wie wir jetzt wissen, korrekt eigentlich abgerechnet wurde, und die großen Themen – soll es zum Beispiel mit der Atomenergie weitergehen oder nicht, bleiben wir beim Ausstieg oder nicht – die werden am Rande abgetan. Das große Thema "Klima" – es gibt zwei große Weltthemen, das sind der Hunger und das Klima – das kommt so gut wie nicht vor. Das haben wir selbst hier in der Akademie gemerkt: Wir machen eine große Veranstaltung, und das findet relativ wenig Resonanz, in den Medien schon mal gar nicht. Also man kann auch nicht im Kleinen gegensteuern.

    Boysen: Wie erklären Sie sich das?

    Staeck: Erst mal gibt es ein generelles Phänomen der Verdrängung, diese Probleme sind tatsächlich so groß – wenn man den Wissenschaftlern tatsächlich zuhört beim Thema Klima, dann kann man es schon mit der Angst zu tun kriegen, ob überhaupt noch was zu ändern wäre. Viele sind der Meinung, da ist nichts mehr zu ändern, selbst wenn wir heute auf morgen umsteuern würden. Dann gibt’s aber trotzdem viele Initiativen, viele Leute versuchen, die Stadtwerke wieder in die eigenen Hände zu nehmen, die Privatisierung rückgängig zu machen. Es gibt immer alles gleichzeitig, und deshalb gibt es kein Pauschalurteil über das Ganze. Aber ich wünschte mir natürliche eine Auseinandersetzung: Wie soll das mit schwarz-gelb weitergehen oder mit rot-rot-grün – oder was immer dann nachher für Konstellationen sich die Leute ausdenken.

    Boysen: Wenn ich Sie aber da unterbrechen darf: Die Ziele, die Sie eben beschrieben haben, decken sich heute weitgehend auch mit der Linken. Teilen Sie etwa den Vorwurf, den Oskar Lafontaine als Parteichef der Linken allenthalben erhebt, dass die SPD sich entsozialdemokratisiere?

    Staeck: Na gut, das ist sein Konzept. Für einen ehemaligen Vorsitzenden einer großen Volkspartei finde ich diese Angriffe auch teilweise ein bisschen lächerlich. Ich glaube, das hängt damit zusammen: Unser lieber Oskar, der kräht, aber die Leute wissen schon ziemlich genau, wer hinter ihm steht, was für eine Truppe er da anführt. Und da war ich nie in der Gefahr, mich etwa der Linken zuzuwenden – dieser Partei, die sich "Die Linke" nennt, die schon mehrere Namensänderungen durchgemacht hat inzwischen – weil ich mal irgendwann aus der DDR auch geflüchtet bin, aus guten Gründen, mit 18 Jahren. Und ich möchte nie wieder dahin zurück. Ich möchte auch nicht, dass die Leute, die damals mich aus dem Lande getrieben haben, dass die in irgendeiner Form noch mal spektakulär entscheidend das Sagen bekommen. Da ist bei mir einfach eine Hürde davor gebaut, rein persönlich ist das aber.

    Boysen: Die SPD steht ja in zwei Bundesländern vor der Frage, wie weit sie sich auf die Linke einlässt, und möglicherweise wird sich diese Frage nach der Bundestagswahl noch einmal ganz anders auf Bundesebene stellen, selbst wenn dort Positionen, wie Parteichefs beider Parteien immer wieder betonen, weit auseinander liegen – was den Afghanistaneinsatz beispielsweise angeht, aber auch noch andere Punkte. Wie weit – würden Sie sagen – kann die SPD sich auf Die Linke einlassen?

    Staeck: Schon mit Oskar Lafontaine geht das nicht . . .

    Boysen: . . . das ist die Person . . .

    Staeck: . . . das ist die Person, in dem Fall ist es die Person. Nein, das geht nicht. Aber auf Landesebene – in Berlin hat man ja eine rot-rote Koalition, rot-rot nur, und das läuft gut, wie ich sehe. Aber auf Bundesebene, da geht es eben auch um Außenpolitik, und in der Außenpolitik sind ja nun die beiden wirklich weit auseinander. Und da ist auch viel Heuchelei im Spiel. Also, wenn ich höre: Einmal sagt die Partei Die Linke: In zwei Jahren müssen wir da raus, wenn man aber ihn auf den Marktplätzen hört, dann heißt es "sofort" muss man raus. Sofort – das wäre heller Wahnsinn. Also da würde man die Leute ja nun wirklich zum Opfer machen, obwohl man ihnen vorher – denen zumindest, die Demokratie ja wollten – helfen wollte. Also, das halte ich für fast kriminell.

    Boysen: Sie haben eben gesagt, für Sie ist es nicht möglich, die Nachfolgepartei der SED, PDS in eine Regierung zu holen. Das ist etwas, was Sie nicht ertragen können. Wie soll sich Ihre Partei in so einem Fall dann verhalten?

    Staeck: Also, nicht ertragen ist ein zu hartes Wort. In dem Falle, da bin ich auch Realist, ich weiß, dass es eben auch da Leute gibt, die nicht diese Vergangenheit haben . . .

    Boysen: Insbesondere der Spitzenkandidat.

    Staeck: Ja, also der ist auch kein unbeschriebenes Blatt. Also, da bin ich nun leider ein erfahrener Politikbeobachter und hin und wieder auch Täter. Wir haben ja gesprochen vom Bund. Da kann ich es mir nicht vorstellen. Und außerdem, ich lebe nicht in Thüringen, für mich stellt sich diese Frage als Person nicht. Trotzdem glaube ich, dass es schon eine linke Mehrheit in der Bundesrepublik gibt. Bloß die letzte Bundestagswahl hat nun mal uns zu dieser großen Koalition geführt, was immer nicht ein großer Vorteil für die Demokratie ist. Das haben sich aber weder die CDU/CSU noch die SPD vor vier Jahren gewünscht. Und ich glaube, dass im Augenblick auch diese Schlappheit und diese Müdigkeit daher rührt im Wahlkampf, dass die Leute offenbar vermuten, es gäbe doch wieder eine große Koalition, was aber gleichzeitig bedeutet, dass sie offenbar schwarz/gelb auch keine Mehrheit zutrauen. Das entspricht natürlich nicht der allgemeinen Prophetie, die SPD sei völlig am Ende, am Abgrund, keine Volkspartei mehr. Es gibt ja eine regelrechte psychologische Kriegsführung, die SPD in ein tiefes Loch zu singen.

    Boysen: Ist denn das nur mediengemacht Ihrer Ansicht nach?

    Staeck: Nein, es ist nicht mediengemacht, es ist nie etwas nur. Gucken Sie mal die ganzen Talkshow-Runden an, da werden immer SPD-Leute geholt, von denen man sicher sein kann, dass sie gegen die SPD mehr oder weniger hetzen. Das finden Sie auf der anderen Seite kaum.

    Boysen: Wie könnte denn, Herr Staeck, die SPD wieder zu einem klareren Profil zurück finden?

    Staeck: Indem sie einfach wieder ihren alten Ideen vertraut. So einfach ist das letztlich. Von sozialer Gerechtigkeit, diese Privatisierungsgeschichten, die sie auch mitgemacht hat, dass sie davon lässt, endlich. Es gab ja auch einen neoliberalen Virus, der den einen oder anderen, Gott sei Dank nicht die ganze Partei, aber den einen oder anderen befallen hat, und der dachte, er müsse da mitmachen.

    Boysen: Herr Staeck, lassen Sie uns Ihr eigenes Haus betrachten. Lassen Sie uns einen Blick werfen auf die Kulturpolitik in diesem Land und die Funktion, die Ihre Institution, nämlich die Akademie der Künste in Berlin, in dieser Kulturpolitik spielt. Sie wurden im Frühjahr mit großer Mehrheit für weitere drei Jahre als Präsident der Akademie wiedergewählt, und diese Akademie wollte und sollte mit Ihrem Amtsantritt politischer werden. Ist das aus Ihrer Sicht gelungen?

    Staeck: Ich glaube schon. Das ist nicht nur mein Verdienst, aber es ist gelungen. Wir werden wieder akzeptiert. Wir waren mal ziemlich weit unten, aber wir werden ernst genommen, wir sind ja auch in einer besonders privilegierten Lage. Wir werden vom Bund finanziert und wir haben deshalb auch dem Steuerzahler, um den mal ins Spiel zu bringen, eine gewisse Verantwortung gegenüber. Das nehme ich sehr ernst. Und wir mischen uns in viele, viele Dinge ein, manchmal auch ungefragt, das gehört dazu. Aber zum Beispiel bei so wichtigen Themen wie Urheberrecht sind wir ganz nah dran an der politischen Auseinandersetzung, weil es da schon um so was wie eine Enteignung geht der Urheber. Und die Künstler leben nun mal von ihrer Arbeit.

    Boysen: Haben sie in Bezug auf das Urheberrecht und die Nutzung von Texten und künstlerischen Produkten im Internet, Stichwort Google, eine Forderung an die Politik?

    Staeck: Ja. Die Forderung wurde Gott sei Dank auch so weit erfüllt, dass die Politik respektiert, dass das Urheberrecht ein, sagen wir mal, von Goethe sogar erkämpftes Recht ist durch die Jahrhunderte, um Künstler auch in den Stand zu setzen, wie bescheiden auch immer von ihrer Arbeit zu leben. Und wir reden immer groß von Kreativwirtschaft jetzt. Was nützt die schönste Kreativwirtschaft, wenn der Kreative im Netz denn untergeht. Und deshalb bin ich auch ein Gegner dieser lustigen Truppe, die sich Piratenpartei nennt, die möglichst alles, das klingt immer sehr schön, alles muss frei sein. Ich möchte mal wissen, ob deren Leistung, die die vollbringen, wo auch immer, wo sie ihr Geld verdienen, ob das auch der Allgemeinheit vielleicht sofort zur Verfügung steht. Das ist sehr wohlfeil, wenn es auf Kosten anderer geht, in dem Falle der Kreativen, der Urheber. Und Google ist unser Hauptgegner, wenn Sie so wollen, im Augenblick. Der ist diese Krake, möchte eigentlich das Weltkulturerbe für sich letztlich finanziell vermarkten.

    Boysen: Also doch ein strengeres Reglement?

    Staeck: Da in dem Falle ja, eindeutig. Außerdem ist das ganz einfach. Es gibt doch keinen rechtsfreien Raum. Die Demokratie lebt davon, dass sie ein wunderbares Gerüst hat. Und das ist der Rechtsstaat, was manche Leute missverstehen. Da bin ich dann auch noch Jurist. Der Rechtsstaat, wenn der angegriffen wird, wenn der in Gefahr gerät, dann wird es ganz eng für die Demokratie. Und deshalb sind Regeln. Das sind Regeln nun mal Regeln, die wir uns selber ja gegeben haben. Das Grundgesetz ist die beste Regel, die oft verändert wurde und oft dran rumgeschnippelt wurde. Trotzdem ist es ein großartiges Werk, das unser Zusammenleben regelt, demokratisch regelt.

    Boysen: Nun sprechen Sie schon über das Grundgesetz. Es lief ja im Bundestag in dieser Legislaturperiode auch erneut die Debatte über die Frage, ob man die Kultur in die Kategorie des Staatsziels erheben sollte. Würden Kunst und Kultur somit einen anderen Stellenwert in dem öffentlichen Bewusstsein oder auch in der politischen Auseinandersetzung bekommen?

    Staeck: Kunst und Kultur zum Staatsziel zu machen war ja auch eine Forderung der Enquete-Kommission, und da war das eine zentrale Forderung. Leider ist es nicht zustande gekommen. Ich glaube, die Union hat das dann doch zum Schluss verweigert, obwohl die Unionspolitiker in der Enquete-Kommission auch dafür waren. Es ist natürlich keine Garantie, aber das Problem auch der Kultur. Deshalb ist Deutschland immer noch zu beneiden und wird von vielen Ländern beneidet, zum Beispiel in Amerika, dass wir eine gute staatliche Kulturförderung haben. Und die hat aber den Makel, dass sie eine sogenannte freiwillige Aufgabe ist, keine Pflichtaufgabe. Und da kommen sehr ernste Zeiten auf uns zu, weil es eben nicht gelungen ist – außer im Freistaat Sachsen gibt es eine Regelung, wo die Kultur eine Pflichtaufgabe ist, aber auch zum Teil eingeschränkt – wie werden sich die Politiker, vor allen Dingen die Kommunalpolitiker, auch Landespolitiker in erster Linie, Kultur ist ja Landessache, verhalten, wenn es jetzt mal daran geht, die ganzen Schulden, die ja jetzt aufgehäuft werden, wenn die abgebaut – vorsichtig gesagt "abgebaut" – werden sollen. Wer greift in wessen Tasche und wer lässt zu, dass ihm in die Tasche gegriffen wird?

    Boysen: Herr Staeck, der Bund hat in der vergangenen Legislaturperiode tief in die Tasche gegriffen. Der Kulturetat hat sich deutlich erhöht. Wie beurteilen Sie insgesamt die Kulturpolitik der großen Koalition? Es ist ja überdurchschnittlich viel Geld in Kunst, Kultur und Kulturwirtschaft, die von Ihnen schon erwähnte Kreativwirtschaft, geflossen. Aber stellt sich angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht noch viel mehr und stärker die Frage auch nach der Funktion von Kultur, die Frage nach dem Inhalt?

    Staeck: Wenn mich was interessiert, dann ist es immer die Frage nach dem Inhalt, mich persönlich natürlich. Und Geld ist wunderbar. Keine Kritik, es ist viel geflossen, ich glaube vor allen Dingen auch in die Filmwirtschaft. Die Frage noch mal, ob es bleibt in schwierigen Zeiten. Aber es war doch eine schon große Tat damals, gegen viele Widerstände, dass das Amt des Kulturstaatsministers zuerst mit Michael Naumann von Schröder eingerichtet wurde, und auch Lob an die CDU, an die große Koalition, dass es beibehalten wurde. Es gab ja mal kurze Erwägungen, das auch wieder fallen zu lassen. Nein, die Kultur hat jetzt eine Adresse. Und sie hat einen Platz am Kabinettstisch im Kanzleramt. Das ist schon sehr wichtig.

    Boysen: Aber wie beurteilen Sie die vier Jahre, die jetzt der Christdemokrat Bernd Neumann da absolviert hat?

    Staeck: Ja, gut, also noch mal, auch Herr Neumann ist ein Teil der großen Koalition. Wir sind gut mit ihm ausgekommen, überhaupt keine Frage. Er hat uns in Ruhe gelassen und wir haben ihn in Ruhe gelassen. Das habe ich bei meinem Antrittsbesuch bei ihm so auch deutlich werden lassen. Und das hat sich bewährt. Es ist auch nicht die Sache von Herrn Neumann, was die Künstler mit dem Geld dann machen. Das ist unser Problem. Und viele machen es sich da ein bisschen leicht, indem sie immer gleich die Politik für alles verantwortlich machen. Ich bin einer, der Politik immer verteidigt. Da gucken zwar manche Leute ein bisschen komisch bei Veranstaltungen. Wenn Sie Politik angreifen, kriegen Sie immer Applaus von allen Seiten.

    Nein, Politik hat uns ein finanzielles Fundament geliefert, aber was damit gemacht wird, noch mal, das bleibt unsere Aufgabe und wir könnten eigentlich mehr machen. Der gesellschaftliche Dialog, wie das so schön abstrakt heißt, den vermisse ich, also die Auseinandersetzung, zu sagen, wo sind jetzt auch die Institutionen, die Künstler, die immer behaupten, sie sprechen eine andere Sprache. Und wo sind die Leute, die jetzt in dieser schwierigen, wirklich schwierigen Auseinandersetzung, in der wir uns befinden, die dann auch mit ihrer anderen Sprache kommen und sagen: Wir weisen einen anderen Weg, wir haben andere Vorschläge. Es reicht ja nicht, über die Kraken und die Banker und die Heuschrecken nur zu schimpfen. Das tun wir alle gemeinsam, da sind wir ja in einer ganz, ganz großen Koalition.

    Aber wie überwinden wir denn das? Wie überwinden wir denn die Gier, die ja immer noch besteht? Nun kann man sagen, das ist eine menschliche Eigenschaft. Das ist mir zu wenig. Da haben wir die Banker, die jetzt noch ihre Boni einklagen in Unternehmen, die sie selber ruiniert haben. Das ist pervers. Und eine Gesellschaft, die das für normal hält, die muss sich fragen lassen, ob sie noch normal ist. Also, das ist meine harte Kritik an allgemeinen Zuständen. Und wir reden immer über alles und schwadronieren, aber mal zu sagen, wo ist denn jetzt die Grenzlinie, wo wir sagen – wo Kultur wirklich auch gehört wird.

    Boysen: Sie fordern das ein, dass die Gesellschaft das fragt. Ich würde gerne von Ihnen, Herr Staeck, andersherum wissen, ob Sie spüren, dass in der Gesellschaft ein stärkeres Bedürfnis danach ist, dass Künstler intellektuellen Rat geben oder identitätsstiftende Momente liefern in eben dem Moment, wo es sich zeigt, dass Gewinnmaximierung nicht nur hässliche Blüten treibt, sondern einfach zum Lebensziel auch nicht gemacht ist?

    Staeck: Na ja, bei den Menschen, die ich kenne: Ja. Allgemein würde ich sagen: Nein. Ich sag es mal anders: Der Kunstfreund nimmt schon ein bisschen übel, wenn die Politik in die Kunst hineinragt. Bestes Beispiel: Grass, der große Nobelpreisträger. Wenn der jetzt wieder auf eine Wahlkampftournee zieht – Häme über Häme: Der alte Mann, der da noch mal loszieht – die arme SPD, die so was nötig hat. Ich finde das toll, dass ein 82-Jähriger noch mal losgeht und allen etwas vormacht, natürlich denen etwas vormacht, die längst für sich beschlossen haben: Uns geht das alles nichts an. Also, das ist etwas, was mich immer nur empört.

    Nein, die Gesellschaft, die lechzt nicht danach, nach dem Urteil der Künstler. Das kann ich schon beurteilen. Und Sie haben ja erwähnt, dass ich ja mit großer Mehrheit wiedergewählt worden bin. Die Leute wissen ja, wo ich stehe, was ich will, wofür ich auch arbeite, wofür ich agiere. Also war das schon ein klares Votum für auch ein politisches Engagement, nicht bloß meines Engagements, sondern offenbar auch der Leute, die mich gewählt haben. Und wir haben einige Dinge auch in die Wege geleitet, zum Beispiel ein Projekt für Kunstwelten, wo wir - wie heißt es so schön - ins Land hinausgehen, nach Anklam, nach Bitterfeld, Wolfen, nach Halberstadt, nach Frankfurt/Oder, hauptsächlich in Ostdeutschland, wie sagt man so schön - in teilweise kulturferne Gegenden, um mit Schülern zu arbeiten.

    Natürlich, die Opas setzen immer die Hoffnung auf die nächsten Jungen. Und das läuft auch sehr erfolgreich. Und da engagieren sich sehr viele unserer Mitglieder, Und ich glaube, dass der Bedarf auch steigen wird. Alle die Gemeinden, die Städte, wo wir waren, die fragen immer: "Sie werden doch wohl wiederkommen?". Also, es ist nicht irgendwie, dass da ein paar Leute angeflogen kommen und sie beglücken für einen Abend, sondern sie erkennen offenbar den Wert der Kultur. Was verbindet eine Gesellschaft eigentlich? Das ist der berühmte kulturelle Zusammenhang. Und wenn man den gefährdet irgendwie, dann tut man schon der Demokratie auch einen Tort an.

    Boysen: Das darf sich ja diese Gesellschaft, insbesondere 60 Jahre nach Verabschiedung des Grundgesetzes und 20 Jahre nach dem Fall der Mauer und fast 20 Jahre nach der Wiederherstellung der Einheit auch fragen. Ich würde gerne mit Ihnen, Herr Staeck, über Erinnerungskultur und Erinnerungspolitik in Deutschland sprechen. Wir debattieren über so etwas wie ein Freiheits- und Einheitsdenkmal in Berlin. In dieser Woche wurde ein Ehrenmal der Bundeswehr eingeweiht. Sehen Sie darin ein neues Bedürfnis nach Selbstdarstellung der Demokratie, die ja, als sie noch in Bonn ihre Hauptstadt fand, doch sehr bescheidene Ausdrucksweisen für sich wählte, ganz bewusst und im Kontrast stand auch zu der betonten Eigendarstellung und Abgrenzung in der DDR?

    Staeck: Na ja, es ist so ein bisschen Symbolpolitik, wenn man es salopp beurteilen wollte. Ich bin kein Anhänger von Denkmälern. Das ist jetzt mein persönliches Problem. Ich finde viel wichtiger, wenn Sie das Ehrenmal da nehmen, dass wir zum ersten Mal, glaube ich, in der deutschen Geschichte als Bevölkerung keine Angst haben müssen vor dem Militär. Das machen sich viele Leute gar nicht klar. Wir müssen keine Angst haben, dass morgen ein Putsch hier passiert in irgendeiner Form und dass die Leute, die da auch jetzt nach Afghanistan gehen – ein Neffe von mir war im Kosovo –, die gehen da hin, weil sie denken, sie tun wirklich etwas für den Frieden. Das ist eine ganz neue Perspektive, in der deutschen Geschichte jedenfalls ein Novum.

    Boysen: Wird sich das möglicherweise ändern, wenn die Pläne des Bundesinnenministers wieder aufgegriffen werden, die Bundeswehr auch im Inneren zum Einsatz zu bringen?

    Staeck: Das halte ich für einen ganz gefährlichen Gedanken, und den sollte man ganz, ganz schnell vergessen. Wir haben eine relativ gut ausgebildete Polizei. Wir haben gute Gerichte, wo man sich auch beklagen kann. Der eine oder andere wird immer noch sagen, ich muss trotzdem bis zum Menschengerichtshof vorgehen, um mein Recht zu bekommen. Nein, das wäre eine schlimme Entwicklung. Da würde ich alles dagegen tun, um das zu verhindern. Und ich bin ein klassischer Einmischer. Noch mal, ich antworte auch auf Fragen, die mir nicht gestellt werden. Ich hoffe, Sie haben jetzt nicht den Eindruck bekommen, dass das anders sei.

    Nein, ich glaube, die Demokratie ist keine Zuschauerangelegenheit. Das muss man immer wieder in Erinnerung bringen. Die Leute, die immer mit dem Finger auf die anderen zeigen, die versuche ich immer zu stellen, zu sagen: Du bist beteiligt an dem Ganzen, du bist der Raser auf der Autobahn, es sind doch nicht alles Politiker, die da hin und her rasen. Du bist derjenige, der am liebsten die Sonntagsschau guckt, wenn Herr Schumi, als er noch rasen konnte, in der Formel 1 sich tummelte, in diesem Zirkus, dem Umweltschädlichsten, was man sich vorstellen kann, als Individualzerstörung. Und, und, und. Also, die Leute, die bei Lidl kaufen, die es nicht müssen, die fragen nicht danach, wie es den Angestellten geht, dass es in den 2.600 Filialen gerade mal in acht einen Betriebsrat gibt. Also, der Bürger hat eine ungeheure Macht, wenn er sich der bewusst ist und sie dann auch wahrnimmt, hoffentlich im demokratischen Sinne. Wehe dem, es geschieht im anderen.

    Boysen: Dann muss es Sie schmerzen, dass das Desinteresse gerade jetzt im Wahlkampf so groß ist, dass der Anteil an Nichtwählern in Deutschland steigt. Was, um das abschließend zu fragen, Herr Staeck, was kann man dagegen tun?

    Staeck: Natürlich schmerzt mich das. Und wir, jetzt in dem Fall spreche ich auch von der Akademie, versuchen, alle möglichen Angebote zu machen. Und der Kult, der von manchen inzwischen auch um den Nichtwähler gemacht wird, den teile ich nicht. Demokratie – noch einmal – heißt Beteiligung. Ich habe großen Respekt vor Leuten, die wissen, sie werden garantiert nicht gewählt, trotzdem ihr ganzes Geld, ihre Feizeit hineinstecken, weil sie der Überzeugung sind, da muss sich etwas ändern. Aber nur diese Sofahocker, die den Fernseher anschalten und dann immer ein großes Urteil haben über alle die, die da agieren, die verachte ich eigentlich. Da kann man schon das Wort benutzen.

    Demokratie, noch mal, bedeutet Beteiligung, mitmachen, und nicht alles mitmachen, sondern eben das machen, was man auch selber für notwendig hält, wo man eine Veränderung für erstrebenswert hält, da sich dann einbringen, um es noch mal mit einem anderen Wort zu belegen. Ich glaube, Joop war es, der gesagt hat: "Nur wer hier auch Steuern zahlt, hat das Recht, den Staat und die Verhältnisse zu kritisieren". Das finde ich ganz gut. Da haben wir aber ganz prominente Bürger in diesem Staat, die keinen Cent hier Steuern zahlen, aber die Helden der Nation sind, wenn Sie das Fernsehen mal anmachen, im Sportbereich vor allen Dingen, in der Unterhaltungsindustrie. Und da werde ich dann immer zornig, wenn die mich belehren wollen, mich, den treuen Steuerzahler, was ich alles falsch mache. Nein, es gibt schon Leute, die auch auf Kosten immer der anderen leben. Und das hat mich immer gestört, das habe ich immer verachtet.

    Boysen: Herr Staeck, ich danke Ihnen.