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New York im Dunkel

Technik. – Für die USA ist es der größte Stromausfall der Geschichte. Zeitweilig waren im Nordosten des Landes und im angrenzenden Kanada 50 Millionen Menschen ohne Strom. Nach dem kompletten Zusammenbruch der Energieversorgung am Donnerstag Nachmittag wird das Elektrizitätsnetz der Region langsam reaktiviert. Im Deutschlandfunk nimmt Michael Lucht Stellung, Leiter der Abteilung Energietechnik des Fraunhofer Instituts Umsicht in Oberhausen. Die Fragen stellte Ralf Krauter.

    Krauter: Herr Lucht, was ist dort eigentlich passiert?

    Lucht: Letztendlich ist es so, dass Kraftwerke im Verbund arbeiten. Das ist notwendig, um Störungen auszuregeln. Die simpelste Störungen ist eigentlich schon der Verbraucher, denn die Systemlast, die Nachfrage, und die Energiebereitstellung, das Angebot, unterscheiden sich in der Regel, und das muss eben physikalisch ausgeglichen werden. Elektrische Energie kann ja nicht unmittelbar gespeichert werden. Dazu benutzt man ja eine Frequenzregelung, das heißt fehlende Leistungseinspeisung führt zur Absenkung der Frequenz, weil dem mechanischen Drehmoment der Turbine ein bremsendes Moment einer erhöhten Last entgegenstehen. Im Westeuropa wird deshalb die 50-Hertz-Frequenz des Netzes bis auf 0,05 Hertz ausgeregelt. Wenn jetzt ein Block mit der Leistung von einem Gigawatt ausfällt, ein Kernkraftwerk etwa, dann hätte man in ganz Westeuropa ein Frequenzabsinken von 0,08 Hertz, wie man so nach einer Faustformel sagt. Kraftwerke gehen etwa vom Netz, um sich und den Generator nicht zu beschädigen, wenn die Netz-Frequenz unter 47,5 Hertz sinkt.

    Krauter: Normalerweise würde da eine Reihe anderer Kraftwerke einspringen?

    Lucht: Richtig. In der Regel gibt es drei Stufen, in denen hier in Westeuropa eine Störung ausgeregelt wird. Zunächst einmal im akuten Notfall, bei Absinken der Netzfrequenz, tritt die Primärregelung in Kraft, das bedeutet erst einmal, dass die anderen Kraftwerke in gewissem Maße mehr Energie bereitstellen. Nur, da man in diesem engen Regelband bleiben muss, kann eigentlich nur 0,8 Prozent des Kraftwerks durch rotierende Massen ausgeglichen werden. Deswegen muss man innerhalb von 30 Sekunden 2,5 Prozent der Wirkleistungsreserven bereitstellen, indem man über die Einlassventile der laufenden Turbine mehr Frischdampf zuführt, was letztendlich auch einen erhöhten Brennstoffverbrauch bedeutet. An dieser Primärregelung beteiligen sich alle Kraftwerke im Verbund, unabhängig davon, ob der Fehler in ihrem Gebiet passierte oder nicht. Und in der Sekundärregelung wird letztendlich das Gleichgewicht der 50 Hz wiederhergestellt, indem der Elektrizitätsversorger, in dessen Regelbereich der Fehler passiert ist, seine Schnellstartanlagen mobilisiert, das sind dann beispielsweise Pumpspeicherwerke oder Gasturbinen, das nennt man auch Minutenreserve.

    Krauter: Warum hat dass in den USA nicht funktioniert?

    Lucht: Im Prinzip gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder stand die Regelreserve der Primärregelung nicht zur Verfügung, das heißt, die entsprechenden Kraftwerke liefen alle bereits am Limit und konnten keine Regelenergie mehr mobilisieren. Die zweite Möglichkeit ist, dass die Reserveleistung eben nicht in die entsprechenden Gebiete transportiert werden kann, dass also Leitungskapazitäten fehlen, es Engpässe im Netz gibt. Darüber kann man eigentlich nur spekulieren, welche dieser beiden Möglichkeiten da eine Rolle gespielt hat, gegebenenfalls sogar beide.

    Krauter: Könnte so etwas in Deutschland nicht passieren?

    Lucht: Also ich bin der Überzeugung, dass so etwas in Deutschland nicht passieren kann. Der bin ich auch mit Sicherheit nicht der Einzige. Denn wir sind hier in Bezug auf die Netzkapazität und die Kraftwerkskapazität doch noch mit einer gewissen Sicherheitsmarge ausgestaltet, so dass da keine Engpässe stattfinden, und ich denke auch, die technischen Systemen sind im Weltvergleich in einem sehr guten Zustand, weil auch der Gedanke der Versorgungssicherheit hierin Deutschland noch sehr breiten Raum bei den Verantwortlichenbetreiber von Kraftwerken und Netzen ein.