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New York Publik Library und der Schritt in die Zukunft

Vor einem Jahr gab der Präsident der New York Public Library Einzelheiten über das 300-Millionen-Dollar-Projekt bekannt: Das Stammhaus von 1911 sollte von einer Studien- in eine Leihbibliothek umgewandelt werden. Wissenschaftler sollten Platz für das Volk machen. Doch das gefiel nicht allen.

Von Sacha Verna |
    Könnten steinerne Löwen brüllen, wäre der Lärm an der Fifth Avenue, Ecke 42. Straße ohrenbetäubend. So aber schweigen die beiden Riesen am Eingang bloß würdevoll angesichts der Proteste, die die Erweiterungspläne der New York Public Library provoziert haben.

    Vor einem Jahr gab der Präsident der Bibliothek Anthony Marx Einzelheiten über das 300-Millionen-Dollar-Projekt bekannt. Das von den renommierten Beaux-Arts-Architekten Carrère und Hastings entworfene Stammhaus von 1911 würde von einer Studien- in eine Leihbibliothek umgewandelt und 3,3 der 4,5 Millionen Bücher nach New Jersey ausgelagert werden. Es sollte Platz für das Volk entstehen, Höhlen voller dunkler Folianten von Spinnweben befreit und die dort tätigen Wissenschaftler und Schriftsteller und anderweitig Intellektuellen in luftigere Gefilde komplimentiert werden.

    Das gefiel den betroffenen Stipendien- und geistigen Würdenträgern allerdings nicht. Die meldeten sich prompt mit einem offenen Brief zu Wort, zu deren 57 unterzeichneten Prominenz von Mario Vargas Llosa und Salman Rushdie bis zum Multimedialisten David Byrne gehörten. Sie betrachteten die beabsichtigten Veränderungen als Bedrohung für New Yorks kulturelles Erbe schlechthin. Es kam zu diversen wenig harmonischen Podiumsdiskussionen und dann zu Revisionen des Projekts. Vorgesehen sind nun eine Leih- und eine Studienbibliothek sowie die Verfrachtung von einem Großteil des Buchbestandes unter den Boden.

    Was bisher freilich kaum jemand wusste, war, wie die New York Publik Library der Zukunft überhaupt ausschauen würde. Jetzt haben die Verantwortlichen den vorläufigen Entwurf von Norman Foster enthüllt. Der britische Stararchitekt ist für seine Optimierungen oder je nach Standpunkt Dezimierungen historischer Bauten bekannt. Von ihm stammen die Glaskuppel über dem Berliner Reichstag und der Wintergarten des British Museum in London.

    Norman Fosters Design für die New York Public Library ist ein Durchbruch. Jedenfalls insofern, als danach die Mitte der Bibliothek zu offenen Ambulatorium werden soll. Wer das Gebäude an der Fifth Avenue betritt, wird bis zur verglasten Rückseite mit Blick auf den Bryant Park spazieren können. Dort befindet sich ein Atrium und auf mehreren Balkonen die Leihbibliothek. Darum herum sind gesonderte Arbeitsräume für dreihundert Akademiker und Autoren untergebracht. Statt wie heute 30 werden 66 Prozent des Hauses frei zugänglich sein. Baubeginn ist dieser Sommer.

    Die hiesigen Architekturkritiker haben auf das Modell zurückhaltend reagiert. In der "New York Times" drückte man sich in Eventualitäten aus und betonte die Unfertigkeit des Entwurfs. Der Kritiker des "New York Magazine" meinte, mit einer solchen Foster-Bibliothek leben zu können. Und in "Vanity Fair" wünschte sich Paul Goldberger von Norman Foster sogar etwas Gewagteres.

    "We are going to create the greatest library the world has ever seen", hatte der Präsident Anthony Marx verkündet: "Wir werden die großartigste Bibliothek der Welt bauen." Ein ziemlich ehrgeiziges Ansinnen in unserem digitalen Zeitalter, in dem die Rolle der Bibliotheken überhaupt hinterfragt wird. Immerhin konnten New Yorks Bibliotheken im vergangenen Jahr mit 40,5 Millionen mehr Besucher verzeichnen als je zuvor, und mehr als sämtliche Sportstadien und Kulturinstitutionen der Stadt zusammen.

    Bis die neue New York Public Library 2018 ihre Tore öffnet, hält man es wohl am besten wie die beiden Löwen am Eingang. Patience und Fortitude heißen die Zwei, Geduld und Stärke - und wovon sie nicht sprechen können, darüber schweigen sie.