Mittwoch, 08. Mai 2024

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New Yorker Band Nada Surf
Freundliche Humanisten

Das Album "Let Go" aus dem Jahr 2002 ist aus keiner Indie-Plattensammlung wegzudenken. Mit ihrem neunten Studioalbum "Never Not Together" verfolgt Nada Surf weiterhin ihre humanistische Weltsicht durch euphorische Rocksongs.

Von Anke Behlert | 15.03.2020
    Nada Surf stehen in einer Parkanlage.
    Live funktionieren die hymnenhaften Songs von Nada Surf sehr gut (City Slang)
    Musik: "The way you wear your head"
    In der sehr unterhaltsamen Mockumentary "This is Spinal Tap" über die fiktive Band Spinal Tap gibt es eine Szene, in der die drei Gründungsmitglieder über ihre Drummer sprechen. Genauer gesagt darüber, wie einer nach dem anderen verstorben ist und wie viele sie im Laufe der Jahre verschlissen haben. Einen guten Drummer zu halten ist eben nicht so leicht, vor allem wenn man noch ganz am Anfang seiner Karriere steht. Das weiß auch Matthew Caws: Gitarrist, Sänger und Songwriter bei Nada Surf. Als Drummer Ira Elliot 1995 zur Band kam, hat ihn das deshalb ordentlich angespornt.
    Matthew Caws : "Einmal saß ich in der U-Bahn neben Mitch Easter, dem Produzenten von REM. Ich hab mich aber nicht getraut ihn anzusprechen. Danach hab ich mich so geärgert und geschworen, dass mir soetwas nie wieder passiert. Etwas später habe ich Ric Ocasek von The Cars vor einem Club in New York gesehen. Ich hab ihm ein Tape von uns gegeben. Er war super freundlich und bot an, unser erstes Album zum Freundschaftspreis zu produzieren. Beim Singen war ich sehr nervös, aber er wusste immer, welcher Take der beste war. Er ist die erste Person außerhalb der Band gewesen, die an mich und an uns geglaubt hat."
    Das erste Nada Surf-Album "High/Low" erscheint 1996 und mit dem sarkastischen Teenie-Ratgeber-Song "Popular" gelingt ihnen gleich mit der ersten Single ein mittelgroßer Hit.
    Musik: "Popular"
    1998 erscheint das zweite Album "The Proximity Effect", aber zunächst nur in Europa. Ihr amerikanisches Label Elektra ist der Meinung, dass darauf ein Hit wie "Popular" fehlt und verzögert die Veröffentlichung. Nach einigem Hin und Her bringt die Band die Platte schließlich selbst heraus. Das wiederum findet Elektra nicht gut und lässt Nada Surf fallen.
    Musik: "Dispossession"
    Die erste Platte ein Erfolg, die zweite nicht so sehr. Das ist schon oft das Ende einer Band gewesen. Aber Nada Surf sind damals schon ein bisschen zu alt, um gleich das Handtuch zu werfen. Stattdessen widmen sie sich für eine Weile erstmal dem ganz normalen Leben.
    Matthew Caws "Wir hatten keinen Vertrag, waren nicht auf Tour, hatten dafür aber viel Zeit. Ich habe in Brooklyn in einem Plattenladen gearbeitet, bin auf Konzerte gegangen und habe mit Aufnahme-Equipment herumprobiert. Mit der Liebe war es auch kompliziert damals und naja, es sind eine Menge Songs daraus entstanden."
    Bunte Klekse auf dem Cover
    Einige dieser Songs landen auf dem Album "Let Go", das 2002 erscheint, darunter das bittersüße "Inside of love".
    Musik: "Inside of love"
    Vom College-Rock-Sound und den Postgrunge-Anleihen der ersten beiden Platten haben sich Nada Surf auf "Let Go" endgültig verabschiedet. Dafür gibt's Power-Pop mit großem P, ausgefeilteren Kompositionen und vor allem üppigen, hell strahlenden Melodien, die wie die bunten Kleckse auf dem Cover mit lockerem Pinselstrich über das ganze Album verteilt sind. Caws' Stimme wandert problemlos durch die Register, die leicht verzweifelten Texte handeln vom Fehlen der Liebe und dem Trost in der Musik. Nada Surf treffen damit einen Nerv und "Let Go" läuft Anfang der 2000er in jeder Indiedisko rauf und runter.
    Nada Surf stehen an einem Flußufer.
    Nada Surf Songs haben oft etwas Tröstliches (City Slang)
    Musik: "High-speed Soul"
    Sie hören den Deutschlandfunk "Rock et cetera" mit einem Porträt der New Yorker Band Nada Surf. Nach "Let Go" veröffentlich sie weiter in regelmäßigen Abständen Alben mit prägnanten Uptempo-Songs und ruhigeren atmosphärischen Stücken auf verlässlich hohem Niveau. Selten rutscht dem immer freundlichen Matthew Caws in diesen auch mal ein Schimpfwort dazwischen. Aber manchmal ist gerade das der Kern der Aussage, wie in "Blankest Year" vom 2005er Album "The weight is a gift". Es dauert gerade mal 12 Sekunden bis Caws verkündet: "Oh fuck it, I'm gonna have a party". Schon Pete Townshend wusste, dass Rock'n'Roll zwar keine Probleme löst, aber man damit zumindest zu ihnen tanzen kann. In diesem Sinne singt sich Caws den Frust des vergangenen Jahres von der Seele, in dem er sich - laut eigener Aussage - von sich selbst entfremdet und sein Leben wie ferngesteuert beobachtet hat. Dazu feuert er große Glam-Riffs ab, und Ira Elliot haut entschlossen auf seine Trommeln.
    Musik: "Blankest Year"
    Musik: "Jules and Jim"
    Ängste, Sorgen, Verlust – Matthew Caws ist kein politischer Songwriter, Zwischenmenschliches und das emotionale Innenleben sind sein Metier. Das gilt auch für das neue, mittlerweile neunte Studioalbum "Never not together". Allerdings hat man schon den Eindruck, dass sie mit Songs wie dem Album-Opener "So much love" der allgegenwärtigen Krisenstimmung etwas entgegensetzen wollen.
    Die Songs haben oftmals etwas Tröstliches
    "Eine Freundin hat mich gefragt, ob ich nicht einen Song mit dem Titel "So much love" schreiben könnte, weil das immer unter meinen Emails steht. Und sie sagte, dass sie sich jedes Mal darüber freut. Ich dachte erst: nein, wir haben schon so viele Songs mit "Love" im Titel. Dann habe ich es aber doch gemacht. Ich will nichts beschönigen oder so, die Welt ist kompliziert und es gibt viele Schwierigkeiten. Aber gleichzeitig gibt es auch so viel Gutes in uns und Kooperation zwischen den Menschen. Und das sollten wir nicht vergessen."
    Musik: "So much love""
    Die humanistische, menschenfreundliche Sicht zieht sich durch das gesamte Schaffen von Nada Surf. Ihre Songs haben oftmals etwas Tröstliches und "Never not together" fühlt sich an, wie eine albumgewordene Umarmung, ohne ins Kitschige zu rutschen. Die Idee, dass wir – wie im Albumtitel ausgedrückt – alle miteinander verbunden sind, ist zum einen irgendwie beruhigend. Aber es ist auch eine Herausforderung.
    "Das hört sich aus der Entfernung einfach an und gut, aber wir leben nicht aus der Entfernung. Wir leben sehr nah zusammen. Unsere Probleme mögen objektiv betrachtet klein sein, trotzdem sind sie real. Aber es ist nützlich, sich immer mal das große Ganze vor Augen zu führen. Daraus kann man auch Inspiration für seinen Alltag schöpfen. Wie können Gegensätze ausgeglichen werden? Wie können wir besser miteinander kommunizieren? Denn es ist heute so erschreckend einfach in der eigenen Blase zu bleiben."
    Musik: "Something I should do"
    Der Song "Mathilda" ist von Matthew Caws' eigenen Erfahrungen inspiriert. Es geht um Männlichkeit, Homosexualität und Anderssein.
    Musik ist eine Quelle purer Freude
    "In der Schule haben sich die anderen Kinder über mich lustig gemacht, weil ich nicht so der toughe Typ war, sondern eher feminin. Deswegen heißt der Song "Mathilda", das ist die weibliche Variante von Matthew. Zu Hause war das kein Problem, mein Vater hat mich so akzeptiert wie ich bin. Der Grund für das Verhalten meiner Mitschüler damals ist meiner Ansicht nach ein sehr einseitiges Verständnis von Männlichkeit und diese merkwürdige Angst vor Homosexualität. Eigentlich unglaublich, dass es sowas immer noch gibt."
    Musik: "Mathilda"
    Es gibt zwei Arten von Karrieren im Musikgeschäft: entweder man hat mit dem ersten Song gleich einen Hit und ist von heute auf morgen ein von einem Majorlabel mit aller Macht auf den Markt gedrückter, heißer neuer Act. Oder man tourt jahrelang, macht Platten und baut sich seine Fanbasis nach und nach auf. Nada Surf hatten beides: Den Instant-Hit, den Flirt mit einem Major, die heiße-Kartoffel-Erfahrung und den zweiten Anlauf mit Platten und einer langsam aber stetig wachsenden Fangemeinde. Diese Phase hält nun schon seit fast zwanzig Jahren an. Und wenn es nach Matthew Caws geht, ist sie auch noch lange nicht vorbei.
    "Musik ist eine Quelle purer Freude für mich. Wenn es nicht mein Job wäre, würde ich trotzdem Musik machen. Und wenn ich keine Band hätte, würde ich trotzdem mit einem kleinen Recorder oder so Songs aufnehmen. Ich liebe Musik und Platten so sehr, dass mir alles was damit zu tun hat Spaß macht. Es ist wie eine Sucht."
    Dazu gehört natürlich auch Konzerte spielen, und gerade live funktionieren die hymnenhaften Songs von Nada Surf sehr gut. Überhaupt zeigt sich dann die eigentliche Qualität der Band und der einzelnen Musiker, die einerseits professionell und routiniert zusammenspielen. Andererseits schwappt ihre positive Energie schnell auf das Publikum über, das sie jederzeit enthusiastisch zurückgibt. Anders gesagt: Ein Nada Surf-Konzert ist ein echtes Fest der Liebe.
    Musik: "See these bones" (live)