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"Next Level Parzival"

Der Autor Tim Staffel hat ein Computerspiel auf die Bühne gebracht. Parzival, die Figur aus dem mittelalterlichen Versepos von Wolfram von Eschenbach, taucht in einem Game namens "King A." auf, wo er wie ein Virus wirkt - und neben den Spielfiguren auch die sieben jugendlichen Gamer ganz schön durcheinanderbringt. "Next Level Parzival" wurde gestern im Salzlager der Kokerei Essen im Rahmen der RuhrTriennale uraufgeführt.

Von Karin Fischer |
    Dieses ist ein Spiel auf ganz vielen Ebenen. Es fängt damit an, dass die jungen Gamer schwyzerdeutsch sprechen, ihre Spielfiguren, Ritter namens Orilus, Gawan oder Jeschute, alle in martialisch schwarzem Leder, ein elektronisch gepitchtes Hochdeutsch. Dann gibt es das ziemlich überzeugend miteinander verknüpfte "draußen - drinnen", die Bühne also und die Spielebene mit ihren festen Regeln, mit mittelalterlicher Minne, mit einer unsterblichen Königin und mit den üblichen Zweikämpfen. Sieben schwarze Sessel im Halbkreis und sieben schwarze Türme aus Kästen und Boxen in verschiedener Größe, Höhe und Form bilden das ganze Setting.

    Zu Beginn sieht man: mehr Galanterie als Gemetzel vor einer beeindruckenden Sound-Kulisse in einer Inszenierung, die die Atmosphäre eines Computerspiels - auch wenn das noch so unwahrscheinlich klingt - gut einfängt. Die "Übersetzung" der Aktionen der Gamer an der Tastatur in die "Action" im Spiel funktioniert, und was die die junge Truppe auf sportlich-energetischen Level in den turbulenten Kampfszenen leistet, ist große Klasse.

    Doch plötzlich, das wäre die nächste Ebene - taucht Parzival auf, der von den Gamern als Virus betrachtet wird, der ARTUS (das Programm) infiziert hat. Das Spiel muss gestoppt werden, in der Pizzapause wird klar, worum es geht. Die Gamer treffen sich, weil es im Spiel feste Regeln gibt und jeder sich fair verhält; die wirklichen Zombies sind für sie die normalen Menschen außerhalb. Wenn es aber keine feste Regeln mehr gibt und alles ist wie im "real life", was macht Spielen dann noch für einen Sinn? Für die Zuschauer ist schneller als für die Gamer klar, dass es hier um die Außenseiterfigur an sich geht, die als personifizierte Frage nach der eigenen Identität durchs Spiel geistert: Wer bin ich? Was ist der Gral? Was bedeutet Mitgefühl? Kann man Mitleid lernen? Die Gamer entscheiden, Parzival nicht zu killen, sondern ihn zu "erziehen":

    Doch je mehr Parzival über sich lernt - was faszinierend zu beobachten ist -, desto chaotischer wird die Geschichte, die auf der Bühne erzählt wird. Die Spieler benutzen ihre Figuren für private Händel, weil irgend jemand immer mit dem Falschen vögelt und man auch nicht weiß, ob man mit dem schwulen Kumpel einfach nur befreundet sein kann. Parzival hat da was in Gang gesetzt, was keiner mehr so richtig unter Kontrolle hat. Die Gamer überwerfen sich, ARTUS negiert die Regeln, Parzival tritt aus dem Spiel heraus, irgendwann haben alle die Tastatur wie ein Brett vor dem Kopf, Parzival weiß immer noch nicht, wer er ist, ARTUS drückt die "escape"-Taste, das Orakel orakelt, und man versteht nur noch Bahnhof, und nicht nur wegen des Schweizer Dialekts.

    "Next Level Parzival" ist ein Jugendstück, dem beim anspruchsvollen Versuch, die virtuelle Welt im "real life" abzubilden, ein bisschen die Geschichte verloren geht, die es erzählen will. Und doch vermittelt es ein paar fast pädagogisch zu nennende Einsichten. Erstens: Jugendliche Gamer lieben nicht "Ballerspiele", sondern feste Regeln und altmodische Tugenden. Zweitens: Der Gral ist alles, was man nicht hat oder nicht ist: die Liebe, eine sichere Identität, eine Freundin. Drittens: Erwachsen werden ist möglich! Viertens: Spielen ist probehandeln. Fünftens: Nichts ist unmöglich, weder sozusagen exterritoriale Figuren wie Artus oder das Orakel, noch das Switchen der Ebenen. Dafür braucht man nun allerdings wieder das Theater. Im Game hinterlässt ein Virus bloße Verwüstung. Im Spiel auf der Bühne transportiert er alte Literatur ins 21. Jahrhundert. Da verzeihen wir den jungen Gamern auch, dass sie meinen, uns erklären zu müssen, was ein "Schutzschild" ist.