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Nicht nur wie Kälber auf die Schlachtbank ...

Das Thema Holocaust lässt das Deutsche Historische Museum in Berlin nicht los: ein knappes halbes Jahr nach dem Ende der Holocaust-Ausstellung widmet sich jetzt eine von der internationalen jüdischen Organisation B’nai B’rith (Söhne des Bundes) zusammengestellte Schau dem Thema des Jüdischen Widerstands gegen die Massenvernichtung. Diese Ausstellung, die im vergangenen Jahr in Brüssel gezeigt wurde, will erstmalig alle Formen des jüdischen Widerstands während des Holocausts aufzeigen, der sich über den gesamten europäischen Kontinent erstreckte.

Ein Beitrag von Sigrid Hoff | 05.09.2002
    Das Gefühl, das es andere Menschen waren, die unsere Arbeit machten, das andere Nationen unseren Kampf fochten, dieses Gefühl hat jahrelang überwogen. Wir wussten etwas über den jüdischen Widerstand, aber wir beachteten ihn nicht genug, erkannten nicht, wie stark er eigentlich war, bis wir an dieser Idee der Ausstellung arbeiteten. Sie ist vor allem für die junge Generation wichtig, die sehr wütend auf ihre Eltern und Großeltern war, weil sie sich nicht gewehrt haben. Die Ausstellung zeigt, das auch wir in diesem Kampf – wie in jedem anderen Kampf – unseren Part übernommen und gekämpft haben.

    Mit bewegenden Worten sprach Bent Melchior von der Scham, die viele Kinder des Holocausts empfanden angesichts der vermeintlichen Passivität und Willenlosigkeit, mit der sich ihre Eltern und Großeltern hatten in die Vernichtungslager schicken lassen. Der dänische Ober-Rabbi hatte während seiner Präsidentschaft von B’nai B’rith das Ausstellungsvorhaben befördert, er eröffnete die Schau im Deutschen Historischen Museum.

    Prof. Ernst Ludwig Ehrlich, ebenfalls ein Überlebender des Holocausts und Ehren-Vizepräsident des Ordens B’nai B’rith, betont das Anliegen, falsche Vorstellungen abzubauen:

    In dem Bewusstsein vieler Menschen, dass die Juden sich haben abschlachten lassen wie die Lämmer. Was wir hier versuchen ist zugleich ein neues Geschichtsbild herzustellen, dass sehr viele Juden und Nichtjuden nicht haben. Insofern hat die Ausstellung eine Bedeutung für das Geschichtsbild von uns allen, rückt das Bild jener Juden zu jener Zeit in eine andere Richtung als man es bisher gesehen hat.

    Bekannt ist die Geschichte jener Juden, die emigrieren konnten und als Soldaten in den alliierten Armeen am Kampf gegen die Nationalsozialisten teilnahmen. Andere schlossen sich den Widerstandsbewegungen der besetzten Länder an. Über diese Seite des jüdischen Widerstands ist vielfach berichtet worden. Die Ausstellung würdigt sie in ihrer Eingangsgestaltung mit der etwas seltsam anmutenden Darstellung eines Empfangssaals im Stil eines bürgerlichen Salons mit Sitzgruppe.

    Doch dann wird es dunkel und eng: Das zahlreiche Juden sich noch angesichts ihrer eigenen Vernichtung dagegen aufbäumten, sich wehrten oder zumindest die Grausamkeit und das Ausmaß der Verfolgung für die Nachwelt in Geheimarchiven zu dokumentieren suchten ist ein Kapitel des Holocaust, das bisher weniger Aufmerksamkeit erhalten hat. Diesen Krieg gegen die Vernichtungsmaschinerie der Nationalsozialisten führten die Juden oft allein, im Verborgenen, nur zum Teil im Kontakt mit anderen Widerstandsgruppen, die oft fürchteten, durch Verbindungen mit jüdischen Mitbürgern selbst von der Gestapo aufgespürt zu werden.

    Diese Geschichte, die die Ausstellung in sechs Kapiteln aufblättert, ist dennoch nicht ganz neu: erst kürzlich war im Polnischen Kulturinstitut Unter den Linden eine kleine Tafelausstellung zu sehen, die an Oneg Schabbat, einer Untergrundbewegung im Warschauer Ghetto unter der Leitung des Historikers Ringelblum erinnerte. Das Verdienst der von B’nai B’rith organisierten Ausstellung ist es, auf die vielfältigen Formen des Widerstands aufmerksam zu machen: von Bemühungen mittels geheimer Aufzeichnungen eine Chronik der Schikanen durch die Nationalsozialisten für die Nachwelt zu dokumentieren, über die Darstellung der verschiedenen vergeblichen Formen des Widerstands in den Ghettos selbst, von denen der Aufstand im Warschauer Ghetto der bekannteste ist. Auch das Verstecken unter der Mithilfe nichtjüdischer Mitbürger wird hier als Widerstand gewertet, bis hin zum bewaffneten Kampf durch Untergrundkämpfer und Partisanen.

    Obwohl überwiegend nur Faksimiles für die Ausstellung zur Verfügung standen, gelingt es dem Gestalter Marcel Meyer für die unterschiedlichen Kapitel eindrucksvolle Bilder zu schaffen.

    Die Grundlage für die Ausstellung leistete das bereits 1995 publizierte Buch des jüdischen Historikers Arno Lustiger: Zum Kampf auf Leben und Tod. Vom Widerstand der Juden 1933 – 1945. Auf die Frage, was die von B’nai B’rith organisierte Ausstellung an neuen Erkenntnissen bringt, muss Ernst Ludwig Ehrlich zugeben:

    Er hat Material geliefert, aber die Ausstellung ist unabhängig von dem Buch aufgestellt, ich halte sein Buch für ausgezeichnet. Die Ausstellung geht nicht darüber hinaus, aber sie gibt eine Anschauung.

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