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Nicht nur zur Weihachtszeit

Gedichte aufsagen in der Schule. Oder jetzt in der Adventszeit, unterm Weihnachtsbaum. Das gehört für viele zu den unangenehmsten Kindheitserinnerung überhaupt. Dass Gedichte vortragen aber auch Spaß machen kann, zeigt der Rezitationskurs an der Universität Freiburg. Das Angebot des Deutschen Seminars und des Studium Generale erfreut sich großer Beliebtheit. Hier macht es den Teilnehmern hörbar Spaß, Gedichte aufzusagen.

    Der Leib des Weibes ist das hohe Lied der Lieder, gar wunderbare Strophen sind die schlanken, weißen Glieder.

    Wer Heinrich Heines Hohelied so rezitieren will, muss mit dem Üben ganz vorne anfangen. Uni Freiburg, Hörsaal 3301, Montag 19 Uhr:

    ... lasst uns anfangen einen Rhythmuskreis zu machen, einfach mit den Füssen einen Rhythmus im Kreis weitergeben- Und ganz präzise vom anderen abnehmen, so wie mans nachher auch braucht, wenn man nacheinander spricht.

    Die Füße fangen an. Geübt wird: das richtige Timing, Dann: Stimmbildung: richtiges Tempo, voller Klang, präzise Aussprache.

    Jetzt sucht euch mal eine Silbe raus, irgendwas Präzises, Prägnantes (alle: Schapu, penang, usw.)

    Wilfried Vogel ist Logopäde. Er leitet den Rezitationskurs seit 3 Jahren. Jeder Text hat seinen eigenen Rhythmus, sagt er:

    Und das ist gerade bei Gedichten nicht einfach. Denn ihre metrische Struktur verführt dazu, dass man so leiernd spricht: "Das Wasser schwoll, das Wasser rauscht, ein Fischer saß daran, dadadadada. Jeder muss seinen eigenen Rhythmus darein geben, dass es spannend wird.

    Gar himmlisch wars wenn ich bezwang meine sündige Begier. Und wenn's mir nicht gelang so hat ich doch ein groß Pläsier.

    Gedichte vortragen, Texte rezitieren ist selten geworden im Germanistikstudium. Es wird zwar viel über Texte gesprochen. Aber dass Literatur auch klingt, wurde in den letzten Jahrzehnten vernachlässigt. So ist der Freiburger Rezitationskurs einzigartig an deutschen Universitäten. Dabei wird ein Gedicht erst persönlich beim lauten Sprechen, sagt Wilfried Vogel:

    Durch die Rezitation beginnt ein Gedicht erst zu atmen. Und die historische Distanz zu einem Gedicht was vor Jahrzehnten oder Jahrhunderten entstand, wird geringer. Früher zu Goethes Zeiten war es gar nicht üblich, Gedichte so leise zu lesen. Man traf sich in Lesezirkeln und geselligen Runden und rezitierte zum gegenseitigen Vergnügen.

    Germanistik und Sprechkunde wieder zusammenzubringen ist ein Ziel des Kurses. Wichtig sind Wilfried Vogel aber auch die öffentlichen Auftritte:

    Es geht auch darum, Lyrik wieder populärer zu machen. Auch gerade verstaubte Texte wieder aus den Büchern rauszuholen und wieder in die Herzen der Zuschauer zu bringen.

    Er reitet dahin in heftigem Zorn, und stachelt die Mär mit spitzigen Sporn, In heftigem Zorn dahin er reit', weil ihn betrogen die schändliche Maid.

    Aus dem Munde der jungen Studenten wirkt Hugo der Finstere von Paul Scheerbart gar nicht verstaubt. Und gerade an sperrigen, kuriosen Texten haben die Kursteilnehmer ihren Spaß. Es ist fast ein "Club der toten Dichter", und unter den Studenten hat er längst Kultstatus erreicht. Es bewerben sich weit mehr, als aufgenommen werden können- denn nicht nur Germanisten profitieren davon. Letztlich wird auch sicheres Auftreten geübt.

    Es bringt viel, was freies Reden angeht, und das zahlt sich natürlich auch bei Referaten aus.

    Ich studiere auf Lehramt, und will mir hier auch Anregungen für einen lebendigeren Unterricht holen.

    Ich finde es ist eine tolle Art um Schüler an Gedichte ranzuführen. Hier in der Gruppe lernt man halt noch mal was ganz anderes aus Gedichten rauszuholen, und das ist unheimlich schön, auch so als Kontrast zum normalen Germanistikstudium.

    (Autorin: Sandra Helmeke)

    Links zum Thema:

    Universität Freiburg